Leistungsschau: Die Beilagen
von Patrick Rössler
Mit dem Aufschlagen einer Gebrauchsgraphik-Nummer erschloß sich dem zeitgenössischen Betrachter ein ganzes Potpourri aus Druckproben und Gestaltungsmustern. Zuweilen öffnete sich das Heft sogar selbst – an den Stellen, an denen die zumeist farbigen Beilagen nicht nur lose hinzugefugt, sondern auf festem Karton aufgeklebt waren. Diese »originalen« Objekte erfüllten gleich mehrere Funktionen: Sie dienten Künstlern und Unternehmen als Qualitatsnachweise, dem Druckgewerbe als Leistungsschau seiner technischen Möglichkeiten und nicht zuletzt dem Verlag als eine willkommene Zugabe, um ein noch attraktiveres Heft anbieten zu können.
In der Einführung zur Probenummer hatte Frenzel bereits 1924 angekündigt, seine neue Zeitschrift werde »den Firmen, sei es nun im Druck oder in der Verwendung der Gebrauchsgraphik, Gelegenheit geben, ihre Leistungen geschlossen vorzuführen«. Besonders verbreitet war die Praxis von Druckereien und Druckmaschinenherstellern, Farbenfabriken, Papiermühlen oder Printveredlern, die Leistungsfähigkeit ihrer jeweils neuesten Errungenschaften anhand von eigens produzierten Arbeitsproben unter Beweis zu stellen [Abb. 01] – dies galt gleichermaßen für die Grafikdesigner. Eine Beilage für das Heft war freilich ein aufwendiges Unterfangen für den Initiator, der die repräsentativen Drucke in entsprechender Anzahl vorhalten mußte; aber ebenso für den Verlag, der sie anschließend logistisch und technisch in den Herstellungsprozeß einzubinden hatte [Abb. 02].
Schon die erste Ausgabe der Gebrauchsgraphik, ein Themenheft zur Werbung für die Schwerindustrie, enthielt zehn auf schwarzen Karton montierte Tafeln mit Plakatentwürfen von K. H. Schaefer aus Hagen, außerdem weitere Beilagen unter anderem zu Produkten von Osram und Siemens. Den drucktechnischen Höhepunkt des gesamten Gebrauchsgraphik-Satzes stellt wohl das opulente Sonderheft »Erasmusdruck« (GG 12/1924) dar: Konzipiert als repräsentative Firmenschrift für den gleichnamigen Druckereibetrieb in Berlin, bestechen insbesondere die vier Prägedruck-Proben, die die Verpackungs- und Umschlagmotive wie den »Wächter-Mann« der gleichnamigen Stahlhandlung [Abb. 03] plastisch zur Geltung bringen.
Flankiert von einer Vielzahl weiterer Beilagen als Sonderdrucke oder eingeklebte Druckmuster, Farbabbildungen aus dem Unternehmen und Rötelzeichnungen von Produktionsabläufen, steht diese Ausgabe exemplarisch für die international herausragende Qualität, die die deutsche Druckindustrie auszeichnete [Abb. 04].
Vereinzelt finden sich auch Beispiele für die moderne Reklamegestaltung [Abb. 05], wenngleich Herausgeber Frenzel die avantgardistischen Ansätze der »Neuen Typographie« nicht primär interessierten (s. novum 09/2014). Bemerkenswerte Ausnahmen sind sicher das auffällige Faltblatt zu Paul Renners Schrift Futura (GG 3/1929), die als »Schrift für die Fotomontage« propagiert wird, oder der Beitrag »handschrift – type / zeichnung – foto« des Bochumer Werbefachmanns Max Burchartz, der hier – in konsequenter Kleinschreibung nach Bauhaus-Tradition – ganz im Sinne der »Neuen Typographie« argumentiert. Als eine der wenigen Manifestationen der Avantgarde in der Gebrauchsgraphik gibt er diesem Artikel einen Originaldruck seiner Orion-Werbung bei. Herbert Bayers 24seitige Werbebroschüre für die »Deutschland«-Großausstellung in den Berliner Ausstellungshallen am Funkturm (GG 4/1936) sollte schließlich, begleitend zur Olympiade 1936, den ausländischen Gästen die Fortschrittlichkeit des Nazi-Staates verdeutlichen und wurde in die Gesamtauflage als Arbeitsprobe eingeklebt, noch bevor die Ausstellung überhaupt eröffnet war.
Einen eigenen Schwerpunkt unter den Beilagen bilden die Versuche von Laboren, Druckereien und lithografischen Anstalten, ihre speziellen Verfahren zur Anfertigung von Farbfotografien (siehe novum 07.2014) und deren Weiterverwendung in Drucksachen aufzuzeigen. In einem achtseitigen Portfolio demonstrierte beispielsweise die auf Farbentiefdruck spezialisierte Berliner Meisenbach Riffarth & Co A.G. ihre außergewöhnliche Expertise, die sich neben anderem in authentischer Chromatik und differenzierten Hauttönen niederschlug. Aber auch die klassische Schwarz-Weiß-Fotografie kam zu ihrem Recht, wenn auch mitunter in untypischen Zusammenhängen: In Heft 11 von 1935 warben die Graphischen Werkstätten Gerhardt & Teltow, Leipzig, unter Verwendung eines fotografischen Originalabzugs aus dem beliebten Berliner Studio Yva, der auf einen Trägerkarton aufgeklebt wurde, nachdem man ein farbig gedrucktes Parfümetikett im Miniformat appliziert hatte [Abb. 06]. Auch wenn all diese Beilagen in den heute noch erhältlichen Ausgaben der Gebrauchsgraphik oft separiert