Filmreklame und der Film als Werbemittel

von Patrick Rössler

Für den »Iconic Turn« der Weimarer Jahre war der Visualisierungsschub maßgeblich, den der Durchbruch des Films als Unterhaltungsmedium einer breiten Bevölkerungsschicht mit sich brachte. Bis Ende der zwanziger Jahre in seiner stummen Variante und anschließend als »sprechender Film« war er wie kaum eine andere Innovation in der Lage, massenhaftes Interesse und Aufmerksamkeit zu generieren. Auch die Prominenz der Filmstars versprach neue Impulse für die Werbebranche, weshalb sich die Gebrauchsgraphik schon früh den Bezügen zwischen Film und Reklame widmete – sei es dem Kino und seiner Präsenzöffentlichkeit als Werbeträger oder der Filmpropaganda als Gestaltungsaufgabe.

Schon 1924, im ersten Heft der Gebrauchsgraphik, schrieb Walter Reimann eine programmatische Einführung über den »werbenden Film«. Dort betont er »die herrliche, werbetüchtige Fähigkeit des Films, daß er in geschickter, bildhafter Demonstration Beweise sichtbar und darum einleuchtend bringen kann« (S. 91). Reimann ließ seinem Auftakt eine regelmäßige Artikelserie folgen, in der er die Entwicklungen in der Filmbranche aus Sicht des Werbewesens kritisch reflektierte. Den hohen Stellenwert des Themas verdeutlicht einer der frühesten Themenschwerpunkte (GG 6/1924): Gleich im ersten Jahrgang der Gebrauchsgraphik beschäftigt sich ein Heft ausschließlich mit Fragen rund um die Leinwand. Das inhaltliche Spektrum zeigt bereits die Vielfalt einschlägiger Zugänge auf: Es geht um Filmplakate (36 Filmposter in hochwertigem, aber bloß monochromem Kupfertiefdruck) ebenso wie um die ersten Werbetrailer im Kinoeinsatz. Schon der Umschlag deutet auf die Ambitionen der Redaktion hin, denn entworfen wurde er von dem Berliner Werbegrafiker Otto Arpke [Abb. 1], der auch für die Gestaltung der opulenten Luxusausgaben der Fachzeitschrift Die Lichtbildbühne verantwortlich zeichnete.

Sieben lithografierte Tafeln verdeutlichen den hohen Stand der Plakatkunst, den die Filmreklame Mitte der zwanziger Jahre erreicht hatte: Weil für jeden der zahlreichen Neustarts in den Kinos eigenes Werbematerial geschaffen werden mußte, stellten die Verleihe seinerzeit ganz wesentliche Auftraggeber der Reklamebranche dar. Im Sonderheft wird dies anhand von verkleinerten Plakaten unter anderem aus den Ateliers von Theo Matejko, Paul Scheurich und Josef Fenneker verdeutlicht [Abb. 2]. Aus dem Rahmen fallen die eigenwilligen Anzeigenentwürfe von Carl Rabus, der mit konstruktivistischen Versatzstücken spielte [Abb. 3], noch bevor Jan Tschichold ab 1926 seine berühmten Filmplakate für den Münchner Phoebus-Palast entwerfen sollte.

Allerdings erstaunt, daß weder in dieser noch in einer späteren Ausgabe die Filmfotografie als wesentliches Werbemittel eine Rolle spielt. Zwar war man gegenüber der Fotografie als Thema alles andere als abgeneigt (s. novum 7/2014), aber in der Szene war der Beruf des Set-Fotografen nur wenig anerkannt, weil ihm ein vermeintlich geringer Gestaltungsspielraum zugestanden wurde – denn die Motive hatten sich an dem Geschehen auf der Leinwand zu orientieren. Schließlich blieben auch Fotoplakate bis in den Krieg hinein absolute Ausnahmen: Trotz der offenkundigen Nähe zwischen beiden Techniken war die Filmwerbung lange eine Domäne der künstlerischen Illustration, auch im internationalen Vergleich [Abb. 4 & 5]. Die verbreitete Praxis, die Fassaden der Lichtspieltheater mit individuellen Dekorationen zu versehen, dokumentiert der Gebrauchsgraphik-Beitrag über die Außenreklame von Rudi Feld (GG 3/1931) [Abb. 6 & 7].

Gleichzeitig nehmen bereits 1924 die Ausführungen zum Film als Werbeträger für andere Produkte breiten Raum ein. Die Binsenweisheit, wonach sich im dynamischen Medium Film viele Vorzüge von Produkten und deren Handhabung besser darstellen lassen als in einer statischen Anzeige, hatte sich längst herumgesprochen. Für werbliche Zwecke schienen insbesondere Trickfilme geeignet, die angesichts der noch in ihren Kinderschuhen steckenden Special-Effects-Möglichkeiten eine simple und kostengünstige Alternative darstellten, aufmerksamkeitsheischendes Geschehen auf die Leinwände zu bringen. Den deutschen Trickfilm-Pionier Hans Fischerkoesen feiert die Gebrauchsgraphikspäter als »genialen Schöpfer optisch-akustischer Wirkungen« [Abb. 8].

Es kann nicht verwundern, daß sich das zweite Sonderheft zum Thema Film einer entscheidenden Weiterentwicklung des Mediums widmete, nämlich dem Durchbruch des Tonfilms. Überraschend erscheint hingegen, daß dieses Heft erst 1935 realisiert wurde – also erst mehr als fünf Jahre, nachdem die Technologie ihren globalen Siegeszug angetreten hatte. Sein Umschlag zeigt eines der für die Zeit typischen Motive aus dem Tonfilmatelier [Abb. 9], die Hauptartikel widmen sich den aktuellen Filmplakaten von Josef Fenneker und anderen. Schließlich wird, in vager Anlehnung an Moholy-Nagys Experimente der zwanziger Jahre, ein »Filmentwurf« in Form eines »Bildmanuskripts « präsentiert, das »toten Dingen« wie dem Fachwerkbau Leben einhauchen soll.

Der letzte große Fortschritt in der Entwicklung des Kinos, nämlich die Verbreitung einer marktfähigen Farbfilm-Technologie, konnte sich freilich kaum noch in der Gebrauchsgraphik niederschlagen. Die Begleitumstände der Kriegswirtschaft, die die Hefte immer dünner werden ließen und schließlich 1944 zur Einstellung der Zeitschrift führten, verhinderten auch eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Farbfilm.

Quelle

novum. World of Graphic Design, Heft 12 (2014), S. 70-75.

Abbildung 3 | Gebrauchsgraphik, Heft 6, 1. Jahrgang (1924), Anzeigenentwurf für den Stummfilm »Der Sprung ins Leben«, Entwurf: Carl Rabus

Abbildung 7 | Gebrauchsgraphik, Heft 3, 8. Jahrgang (1931), Fassadenwerbung für Kinopaläste, Entwurf: Rudi Feld, Berlin

Abbildung 9 | Gebrauchsgraphik, Heft 4, 12. Jahrgang (1935), Zweites Themenheft »Film«: Umschlag »Im Tonfilmatelier«, Entwurf: Max Bittrof, unter Verwendung eines MGM-Fotos