Modernität vs. Avantgarde II: Wo bleibt das Bauhaus?

von Patrick Rössler

Werbung zielt darauf ab, Aufmerksamkeit zu schaffen – weshalb es nicht verwundern darf, das das Grafikdesign seit jeher innovativen Gestaltern eine besondere Spielwiese eröffnet. Die Gebrauchsgraphik fühlte sich diesen Strömungen immer verpflichtet, wenngleich der Grat zwischen Moderne und Avantgarde schmal ist: Radikale künstlerische Experimente wurden nur ausnahmsweise präsentiert, im Mittelpunkt standen eher die kommerziell adaptierten Gegenwartstrends fortschrittlicher Gestalter.

Herausgeber Frenzel war um Vermittlung zwischen Traditionalisten und Innovatoren bemüht: Er mußte die einen ernst nehmen, ohne die jeweils anderen zu verprellen, was auch seiner eigenen Auffassung durchaus entsprach – »das redaktionelle Profil der Gebrauchsgraphik war also pluralistisch und modern, wenngleich mit einer spürbaren Tendenz für modernistische und marktgerechte gegenüber avantgardistischen Gestaltungen«, wie Roland Jaeger 2005 bilanzierte. Aufgrund ihrer kritisch-distanzierten Haltung verstand sich die Gebrauchsgraphik niemals als ein Forum der Avantgarde, wenngleich das Bekenntnis zur Vielfalt – »unser Programm soll nach allen Seiten offen bleiben«, heißt es schon in der Probenummer von 1924 – unweigerlich dazu führte, daß die Zeitschrift in ihrer jeweiligen Zeit eine gewisse Modernität ausstrahlte.

Das oben angedeutete Spannungsfeld läßt sich auch innerhalb der einzelnen Hefte beobachten: Beispielsweise behandelte die Januar-Nummer 1934, also ein Jahr nach dem Beginn der faschistischen Gleichschaltung, unter dem Titel »20 Jahre zurück« zunächst die gute alte Zeit der Plakatgestaltungen von Gipkens, Scheurich, Schnackenberg, Bernhard und anderen. Unmittelbar darauf stellt sich Man Ray mit seinen Werbefotografien vor, seinerzeit ein international gefragter, zwischen Paris und New York pendelnder Avantgarde-Künstler und früherer Dadaist (zur Fotografie in der Gebrauchsgraphik siehe novum 07.14).

Vielleicht ist es aufschlussreich, der Vorstellung einzelner Beiträge zur Avantgarde vorauszuschicken, welche wichtigen Zeitströmungen die Gebrauchsgraphik geflissentlich ignorierte: Weder schlägt sich die epochale Werkbund-Wanderausstellung »Film und Foto« (1929ff.) spürbar nieder (einen Themenschwerpunkt hierzu hätte man durchaus erwarten können, ob der Resonanz der Schau in der übrigen Fachpresse), noch die thematisch deutlich näher liegenden Ausstellungen des »Rings neuer Werbegestalter« zwischen 1928 und 1931.

Überhaupt wird Kurt Schwitters als ein wesentlicher Initiator des »Rings« (selbst im Hannover-Heft von 1926!) ebenso ignoriert wie dessen Mitglieder Piet Zwart, Paul Schuitema und die holländische Szene, die damals tonangebend für die Weiterentwicklung der funktionalen Typografie war. Deren Pionier László Moholy-Nagy tritt ebenso wenig in Erscheinung wie die Reklamewerkstatt des Dessauer Bauhauses, das in Deutschland wesentliche Akzente setzte. Hermann Karl Frenzel verzichtete somit bewußt darauf, die radikaleren Entwicklungen zu dokumentieren, selbst wenn sie kommerziell erfolgreich waren.

Aber in der Gebrauchsgraphik bleiben immer noch einige Portfolios zu Vertretern der internationalen Avantgarde zu entdecken, die in ihrer Zeit sicherlich nicht wenig zur Popularisierung dieser Positionen beigetragen haben. So taucht das Bauhaus immerhin noch implizit in der Gebrauchsgraphik auf: vorzugsweise in Person Herbert Bayers, der ab 1921 am Weimarer Bauhaus studiert hatte, später in Dessau die Reklamewerkstatt aufbaute und dann deren Leitung übernahm. Schon im Plakat-Sonderheft von 1925 ist sein Assuh-Poster abgebildet, in der Ausgabe vom Februar 1926 Bayers experimentelle Entwürfe für Reklamebauten. Interessant wurde er für Frenzel aber, und dies ist vielsagend, erst nach seiner Zeit am Bauhaus, als er sich nämlich in Berlin als künstlerischer Direktor des Studios Dorland, der Kreativ-Abteilung der internationalen Agentur, in die Dienste der Werbewirtschaft gestellt hatte. Gleich vier Portfolios, nämlich 1930, 1931, 1936 und 1938, verdeutlichen die unverwechselbare Bildsprache des wohl kreativsten deutschen Grafikdesigners der dreißiger Jahre, dessen innovative Ansätze die Machthaber gerne für ihre Zwecke einsetzten (und dabei auch die unliebsame Bauhaus-Vergangenheit Bayers in Kauf nahmen).

Abbildung 4 | Gebrauchsgraphik, Heft 1, 10. Jahrgang (1933), Tschechische Moderne – Gestaltungen von Ladislav Sutnar (S. 42–43)

Den vielleicht konsequentesten Entwurf hinterließ Bayer für den Umschlag des Oktober-Heftes 1938 der Gebrauchsgraphik: eine Allegorie auf seinen Berufsstand einerseits, aber so konsequent modern in der Ausführung, daß man dieses Motiv nur schwer mit der Epoche nach dem Anschluß Österreichs und dem Vorabend von Weltkrieg und Holocaust in Einklang bringen kann. Seine unverwechselbare Bildsprache, die gerne klassisch-historische Idealprofile in Airbrush-Technik mit Fotoelementen verknüpfte, fand schon bald Nachahmer: Toni Zepf aus Saarbrücken, einer seiner Epigonen, kopierte Bayers Stil auf dem Rückumschlag des Juni-Heftes 1933 schamlos [Abb. 01] – und wurde dennoch (oder gerade deswegen) später Bayers Nachfolger als Leiter des Studios Dorland.

Überhaupt die Umschläge: Bei der Gebrauchsgraphik war es nie selbstverständlich, daß deren Gestalter auch im Heft vorkommen mußten. Umgekehrt existieren oft Titelgrafiken von Vertretern der Avantgarde, ohne daß die Artikel auf sie Bezug nähmen: Für den Umschlag als Aushängeschild jeder Zeitschrift verpflichtete Frenzel beispielsweise den Ex-Bauhäusler Walter Peterhans [Abb. 02] oder den Schweizer Herbert Matter, der erst im Juni 1936 mit einem eigenen Portfolio gewürdigt werden sollte [Abb. 3]. Seine bahnbrechenden Entwürfe für die Druckerei der Zürcher Gebr. Fretz AG waren zuvor anonym, das heißt ohne Angabe des Gestalters erschienen.

Daß auch nach 1933 immer wieder weltweit erfolgreiche Grafiker wie der Tscheche Ladislav Sutnar [Abb. 04], A. M. Cassandre aus Paris, Joseph Binder (Wien, später USA) [Abb. 05] oder der in London arbeitende E. McKnight Kauffer (dem schon im Mai 1929 ein eigenes Portfolio gewidmet war) prominent beachtet wurden [Abb. 06], zeigt nicht nur einmal mehr die Internationalität der Gebrauchsgraphik; vielmehr relativiert dies die Diskussion um die Grenzen zwischen Moderne und Avantgarde angesichts eines maßgeblichen Zielmarkts USA, der noch überhaupt nicht an den frischen Wind aus Europa gewöhnt war. Und sogar bis in den Krieg hinein waren überraschende Umschläge möglich, wie das gerasterte Frauenporträt aus dem November 1941 belegt [Abb. 07].

Quelle

novum. World of Graphic Design, Heft 10 (2014), S. 74-79.

Abbildung 5 | Gebrauchsgraphik, Heft 5, 10. Jahrgang (1933), Klassik meets Technik – Umschlaggestaltung von Joseph Binder, Wien

Abbildung 7 | Gebrauchsgraphik, Heft 11, 18. Jahrgang (1941), Umschlagporträt mit Rastervergrößerung, Entwurf: Wilm Wahl