Ludwig Hohlwein zum 140. Geburtstag
von Patrick Rössler
Unter den deutschen Reklamegestaltern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war er zweifellos ein Star: der Münchner Ludwig Hohlwein, dessen Plakate mit ihrem flächig-dekorativen Stil schon vor dem Ersten Weltkrieg die Litfaßsäulen im Reich zierten. Die Gebrauchsgraphik widmete Hohlwein gleich zwei Themenhefte – und nicht nur das: Herausgeber Frenzel produzierte 1926 einen opulenten Bildband mit Farblithografien und Plakatreproduktionen, gleichzeitig das erste umfangreichere Coffee-Table-Book überhaupt, das einem Werbegrafiker gewidmet war.
Sein Stil ist bis heute unverwechselbar, »einen Hohlwein« erkennt man. Und wenn nicht an seiner typischen Bildsprache, dann an dem auffälligen Logo mitten im Motiv. Für den Auftraggeber ein Imagegewinn und für den Künstler ein selbstbewußter Ausweis seiner Autorschaft – Ludwig Hohlwein hat es schon früh verstanden, seine Entwürfe zum Markenzeichen des eigenen Schaffens werden zu lassen. Seine Genreillustrationen orientieren sich an einem gehobenen Massengeschmack; da ist also nichts Verstörendes oder Verwirrendes in seinen Motiven, sondern es dominieren die kraftvoll-expressiven Ansichten. Diese klaren, naturalistischen Bildaussagen waren später auch im so genannten »Dritten Reich« gefragt, als sich Hohlwein den faschistischen Machthabern mehr als nur andiente. Bereitwillig bannte das NSDAP-Mitglied Nr. 2945937 den SA-Uniformierten und den SS-Offizier ebenso auf seine Entwurfskartons wie Hitler und Göring, die BDM-Maid und den Olympioniken von 1936. Aus heutiger Sicht eine »geschmeidige Anpassung«, lud Hohlwein als »geschickter Vorteilsnehmer des Regimes Schuld auf sich«, wie es Volker Duvigneau treffend ausdrückte.
Vor 140 Jahren, am 26. Juli 1874, wurde Ludwig Hohlwein in das bürgerliche Milieu der Kurstadt Wiesbaden hineingeboren. Obwohl er sein wilhelminisch geprägtes Elternhaus schon früh (für eine Ausbildung zum Architekten) zugunsten der Metropolen München und Dresden verließ, blieb er zeitlebens seinen konservativen Anschauungen treu. Mit der gestalterischen Avantgarde hatte er deswegen nie viel am Hut, seine Designs blieben von Zeitströmungen wie dem Konstruktivismus oder den Prinzipien der »Neuen Typografie« verschont. Und dennoch – oder gerade deswegen? – feierte auch die Gebrauchsgraphik ihn 1924 als »begnadeten Meister […] der den Weltruf des deutschen Plakats begründete« und seine Arbeiten als »unversiegbarer Born der Frische und Jugend«.
Nachdem der passionierte Jäger um die Jahrhundertwende zunächst Aquarelle mit Tiermotiven anfertigte (Motive, die ihn stets begleiten sollten!) und sich allen Gebieten der Gelegenheitsgrafik widmete, sollte er um 1909 seinen Durchbruch als Plakatgestalter feiern, dem von ihm fürderhin besonders intensiv bearbeiteten Sujet. Schon 1913 widmete Das Plakat, der Vorläufer der Gebrauchsgraphik, Ludwig Hohlwein einen Themenschwerpunkt. Dessen vorderer Umschlag zeigt eine mondäne Dame in der für ihn typischen Farbigkeit – der »dem Jugendstil entlaufene Realist« (so Duvigneau 1970) präsentiert sich hier mit einer Vorstudie für ein Plakat auf der Höhe seiner Zeit, vieles vom internationalen Art déco und dem »Streamline« der kommenden Jahre vorwegnehmend. Im Heft selbst verfehlten insbesondere die lithografierten Kleinplakate wie die Werbung für den Münchner Zoo, eines seiner bekanntesten Motive, ihre Wirkung auf das Fachpublikum nicht: Der »begnadete Autodidakt« Hohlwein war auf dem Zenit seines Schaffens angekommen.
Nur folgerichtig widmete ihm die Gebrauchsgraphik anschließend im Zehnjahresabstand weitere Themenhefte, jeweils zu seinem 50. und 60. Geburtstag. Dies hatte sich bereits in der Probenummer von 1924 angekündigt, in der Hohlweins Leistungen namentlich hervorgehoben wurden (und bereits das zweite Heft über »Tabak und Likör« zeigte zwei seiner Entwürfe). Maßgeblich dürfte das der Freundschaft zwischen Herausgeber und Künstler geschuldet sein, denn Frenzel konnte, einer ähnlichen Generation entstammend, mit Hohlweins malerisch-verspieltem Zugang sicher mehr anfangen als mit der ungestümen Art der jungen, neusachlichen Designer rund um das Bauhaus.
Das erste Hohlwein-Heft der Gebrauchsgraphik war das dritte der Gesamtreihe, mit einem 32 Seiten starken Sonderteil, auf den bereits die Umschlagillustration aus dem Reitermilieu verwies. In Walter E. Schuberts Begleittext heißt es, »sein Element ist die breite Fläche, die Freiheit, der große Stil des Plakats«. Erneut konzentrieren sich die Abbildungen auf das Plakatwerk, speziell die Motive zu Mode und Sport, Konsumgütern und Industrie. »Da sind«, so Schubert weiter, »die köstlichen China- und Niggerboys für Blooker und vor allem für Riquet, die ganze exotische Kumpanei von Indern, Cowboys und Indianern und sonstigen farbigen Mitbewohnern dieser Erde für Sprengel-Schokolade, Wolff-Zigaretten, Marco-Polo-Tee […] die ein-und mehrfarbig auf den Seiten dieses Heftes dank der großzügigen Gastlichkeit des Herausgebers der Gebrauchsgraphik neu erstehen durften«. Ergänzt wird dieser Textteil durch 19 lithografierte Kleinplakate auf einzelnen Tafeln, darunter beispielsweise seine dynamische Momentaufnahme aus einem »Fussball-Wettspiel auf Motorrädern«, das »nach englischen Regeln« erstmals in Deutschland ausgetragen wurde.
Aus diesem Themenschwerpunkt heraus entwickelte Frenzel die Idee, im Phönix Illustrationsdruck und Verlag der Gebrauchsgraphik eine Monografie über den populären Künstler herauszubringen. Material war ja mehr als genug vorhanden und was dann zwei Jahre später an die Subskribenten ausgeliefert werden konnte, war ein seinerzeit für einen Reklamekünstler beispielloser Prachtband: Auf 432 Seiten im Format der Zeitschrift werden alle Facetten von Hohlweins kommerzieller Tätigkeit in einem deutsch-englischen Text angesprochen; wenngleich auch hier die Plakatarbeiten im Vordergrund stehen, so wird die Kleingrafik in Buchumschlägen, Kalendern, Verpackungen, Prospekten und Inseraten zumindest gestreift. Illustriert ist Schuberts Text mit sage und schreibe »226 ganzseitigen Bildtafeln in bestem Kupfertiefdruck und 64 vollfarbigen Kunstblättern« als Farblithografien, darunter auch seine weniger bekannten Filmplakate oder gewagtere Motive für den ausländischen Markt. Die Herstellung dieser opulenten Retrospektive dürfte den Verlag technisch und finanziell an seine Grenzen gebracht haben: Die Ausgabe wurde für 32 Mark angeboten, eine in Kalbsleder gebundene, numerierte Vorzugsausgabe in 100 Exemplaren für 80 Mark. Ob sich diese Investition finanziell gelohnt hat, kann heute nicht mehr nachvollzogen werden, aber Restexemplare der Monografie wurden noch Mitte der 1930er Jahre verkauft, später zu einem deutlich herabgesetzten Preis von 12 RM.
Auch in den Folgejahren druckte die Gebrauchsgraphik regelmäßig Arbeitsproben von Hohlwein ab, wenn es um thematische Übersichten oder aktuelle Einblicke in das Plakatschaffen ging. In geballter Form ereilte es den Leser dann aber zum nächsten runden Jahrestag im Juli 1934. Für diesen erneuten Themenschwerpunkt entwarf der Münchner Werbegrafiker Julius Ussy Engelhard ein Hohlwein-Porträt als Umschlagzeichnung, das sich deutlich an den Stil des Jubilars anlehnte. Die politischen Veränderungen schlugen sich nun spürbar in der Bildauswahl nieder: Ankündigungen zur zwei Jahre später bevorstehenden Olympiade finden sich ebenso wie das NSDAP-Plakat zur Reichstagswahl 1932 und sein martialischer SA-Mann passte wunderbar zu den propagandistischen Zwecken der neuen Machthaber im Reich. Ludwig Hohlwein starb 1949, zwölf Jahre nach seinem Förderer Frenzel, und erhielt zu seinem 100. Geburtstag 1974 einen weiteren Gedenkartikel in der Gebrauchsgraphik. Ungeachtet seiner durchaus streitbaren politischen Orientierung sind auch heute noch seine Fähigkeiten anzuerkennen, werbliche Aussagen auf eine visuelle Kernbotschaft zu reduzieren und diese in einer über Jahrzehnte hinweg konsistenten, stilbildenden Handschrift zu visualisieren – auch wenn der stets national-konservativ gesinnte Hohlwein damit in seinen späten Jahren Propaganda für ein terroristisches Regime und dessen menschenverachtenden Ziele betrieb.