›Sex Appeal‹. Wunschphantasie und Schreckensvision in Unterhaltungsmagazinen der 1920er Jahre

Von Anna Wentz

In den 1920er Jahren taucht der Begriff ›Sex-Appeal‹ in Unterhaltungszeitschriften auf. Hier stellt sich die Frage, ob dieses Konzept im Kontext der Neuen Frau diskutiert werden kann. Denn schließlich rankt sich letzteres in großem Maß um weibliche Berufstätigkeit etc. (Flemming 2008: 61), was nun nicht gerade mit Sex-Appeal einher geht. Aber die Neue Frau wird als Frau öffentlicher (Dorgerloh 1993: 33f.); sie wird in glamourösen Kontexten wie Kino und Zeitschriften thematisiert und somit zum Vorbild für junge Frauen (ebd.: 46; Drescher 2008: 175). Ob mit oder ohne Bezug zur mittlerweile gut erforschten Neuen Frau, soll der Frage nachgegangen werden, was es mit Sex-Appeal auf sich hat, ob es sich hierbei um eine weitere Aufwertungsstrategie für die moderne Frau in den Massenmedien handelt oder ob sich dahinter traditionelle Vorstellungen von Weiblichkeit im ‚male gaze‘ verbergen.


Eine Volltextsuche auf arthistoricum.net (man betrachte das Korpus) liefert unabhängig von der Schreibvariante 98 Treffer für den Begriff ›Sex-Appeal‹. Die Ergebnisse erstrecken sich über einen Zeitraum von 1928 und dem spätesten 1949. Hinsichtlich der zeitlichen Verteilung zeichnet sich eine eindeutige Kurve ab: In den Jahren 1928/29 und 1932/33 tauchen ca. 20% der Treffer auf, 54% im Jahr 1930/31. Zwischen 1934 und 1936 finden sich lediglich zwei Prozent der Treffer, dies zeigt einen klaren Einbruch hinsichtlich der Begriffsverwendung. Es lässt sich ein noch späterer ‚Ausreißer‘ im Jahr 1949 finden, der den Begriff genau ein Mal in Bezug auf ein weibliches Kleinkind verwendet (Neues Magazin 1949 (H. 5): 11). Bei einer Zählung der absoluten Anzahl an Begriffsverwendungen findet man in den Jahren 1928/29 (44%) einen etwas höheren Wert als 1930/31 (40%). Die Jahre 1928 bis 1931 können insgesamt als Höhepunkt hinsichtlich der Begriffsverwendung angesehen werden. Laut den Zeitschriften können nicht nur Frauen, sondern auch Männer Sex-Appeal besitzen, dieser wird aber nur in neun Prozent der Fälle explizit Männern zugeschrieben. In 70% der Texte bezieht er sich klar auf Frauen, weitere 22% bleiben ohne geschlechtliche Zuschreibung. Im Folgenden wird es, nicht zuletzt aufgrund der geringen Datenlage, nicht um männlichen Sex-Appeal gehen.

 

So wie auch die Neue Frau lässt sich die ›Frau mit Sex-Appeal‹ als Projektionsfläche unterschiedlicher Ideologien einordnen. Sie ist eine Figur fernab der Realität, die eine fast mystische Anziehungskraft auf Männer ausübt. Nach Ansicht der VerfasserInnen der Zeitschriftenartikel kann man Sex-Appeal nicht oder nur begrenzt erwerben bzw. erlernen. Vielmehr sei die Veranlagung für jene erotische Wirkung angeboren. Man schreibt durchaus auch verheirateten Frauen Sex-Appeal zu (Koebner 1929: 3783), wohingegen mit der Neuen Frau meist unverheiratete Frauen bis Mitte zwanzig gemeint sind. Sex-Appeal ist schwieriger zu definieren als die Merkmale der Neuen Frau. So stelle etwa »keine dieser Frauen [mit Sex-Appeal] einen ausgesprochenen Schönheitstyp« dar. Es hänge immer vor allem von der Ausstrahlung und der Wirkung auf andere ab (Miketta 1930: 1017f.). Wirkung wird hier also quasi tautologisch durch Wirkung definiert. Diese definitorische Ungenauigkeit bildet gewissermaßen den Kern des Verständnisses von Sex-Appeal, wie er in den Zeitschriften der Zwanziger Jahre abgebildet ist. Bezüglich des Grades an Nacktheit gehen die Ansichten in den Artikeln auseinander. Es wird mehrfach betont, dass Sex-Appeal »nichts mit Ausgezogen-sein zu tun« habe und dass der Effekt durch die Kleidung sogar verstärkt würde (Koebner 1929: 3783). Nacktheit solle erahnbar sein und nicht tatsächlich zur Schau gestellt werden, wohingegen gerade ein Novum der Neuen Frau, vor allem in ihrer sportlichen Variante, im offeneren Umgang mit Nacktheit besteht. Zwar findet man auch Artikel, die nackten Frauen eine hohe erotische Wirkung zuschreiben, insgesamt dominiert aber die Haltung, dass Sex-Appeal eher mit Kleidung als mit vollständiger oder partieller Nacktheit assoziiert wird (vgl. Abb. 1).

 

Es lässt sich vermuten, dass Frauen mit Sex-Appeal eher einer Männerphantasie entsprechen, während die Konstruktion der Neuen Frau als Ermächtigungsgeste auch von weiblicher Seite her vollzogen wird, denn bestimmte Merkmale von Progressivität und Modernität, wie der kurze Haarschnitt, finden sich nicht bei dem, was als Sex-Appeal imaginiert wird. Der Uhu schreibt 1933 über die Schauspielerin Greta Garbo, der in unzähligen Zeitschriftentexten die ›Erfindung des Sex-Appeal‹ nachgesagt wird, Folgendes: »Sie trug immer schulterlanges, gelocktes Haar. Da sie den Begriff des ›sex appeal‹ in die Welt gebracht hat, so hat ihr Beispiel vermutlich die Frauen überzeugt, daß langes Haar weiblicher und schöner ist als die kurzgeschnittene männliche Frisur. […] Die Frauen erkannten, daß eine Frauen-Emanzipation nicht möglich ist, und daß die Frau zuerst und vor allen Dingen Frau sein muß, liebenswürdige, begehrenswerte Frau. Und sie wandeln mit großer Geschicklichkeit ihren strengen, herben Typ zum Fraulichen.« (Uhu 1933: 77, Abb. 2)

 

Obwohl diese Aussage nicht verallgemeinert werden darf, ist der reaktionäre Artikel dennoch bezeichnend. Die vollendete Emanzipation der Frauen wird als gescheitert dargestellt, um einem traditionelleren Frauenbild den Weg zu bereiten (und das, obwohl die Machtübergabe an Hitler und die NSDAP erst im Januar stattgefunden hat, man im März in den wenigsten Zeitschriften davon bemerkt und die Presselenkung seitens des NS noch in keiner Weise ausgearbeitet war, geschweige denn durchgegriffen hatte). Nicht Haare, sondern Bekleidungsmode sind Gegenstand, wenn es ein Jahr zuvor in der Revue des Monats heißt, die Gesellschaft sei von der »üppigen Fleischkost übersättigt« und man habe nun »wieder Linie, den Sex Appeal des Bekleideten gefunden« (Revue des Monats 1932: 28, vgl. Abb. 3). Der Sex-Appeal wird des Öfteren, insbesondere in den späteren Artikeln ab 1932/33, geradezu als Argument gegen eine zu ›freizügige‹ Bekleidung von Frauen angeführt. An dieser Stelle sei angemerkt, dass sich kein einziger Text finden lässt, der übermäßige Nacktheit bei Männern kritisiert.

 

Weiters wird Sex-Appeal oft mit dem Typ der vornehmen Dame assoziiert, der im Gegensatz zum Girl steht. So titelt Das Magazin im Jahr 1929 »Tod allem Fleisch« und schreibt weiter:»Die hellen Girlbeine sind verschwunden, wo man hinsieht: dunkle, wohlerzogene Ladybeine!« (Anriette 1929: 3319). Obwohl Sex-Appeal Erotik impliziert, wird er doch fast durchgängig mit Sittlichkeit und Anständigkeit verbunden, was wohl daran liegt, dass es sich hier um ein – wie so oft paradoxes – männliches Idealkonzept für Frauen handelt. Auch die Charakterzüge und Verhaltensstrategien einer ›Frau mit Sex-Appeal‹ unterscheiden sich insgesamt vom Konzept der Neuen Frau. So stark die Meinungen auch auseinander gehen, die Kernthematik des Sex-Appeals dreht sich immer um das Bestreben des Gefallens und um die Wirkung auf andere, vor allem auf Männer. Gerade die (scheinbare) Unabhängigkeit vom männlichen Wohlwollen zeichnet hingegen die Neue Frau aus. Der Sex-Appeal wird dagegen in den Artikeln häufig als Strategie präsentiert, mithilfe derer man den, potentiellen oder bereits vorhandenen, Ehemann auf sich aufmerksam machen und ihm gefallen kann. Im Gegensatz zur Neuen Frau besitzt die ›Frau mit Sex-Appeal‹ also keinerlei Handlungsmacht, sondern sie ist trotz alles vermeintlichen Einflusses auf Männer, zur Passivität bestimmt und auf Bewertungen von außen angewiesen.

 

Die Zeitschriftenartikel wurden zu 43% von Männern und zu 20% von Frauen verfasst, 37% erschienen anonym. Demnach sind es eher Männer, die über die erotische Wirkung von Frauen schreiben, wenn von Sex-Appeal die Rede ist. Dabei fällt auf, dass mehrere männliche Autoren sich selbst als Experten für Sex-Appeal inszenieren bzw., dass Männer auch qua Fremdzuschreibungen als solche eingestuft werden. Autorinnen hingegen stellen sich selbst in diesem Kontext nicht als Expertinnen dar. Die Frau als Expertin und Kennerin ihres eigenen Sex-Appeals tritt innerhalb dieses Korpus nur zutage, wenn Schauspielerinnen oder Tänzerinnen ein bewusster Einsatz ihrer Reize nachgesagt wird. Ungefähr die Hälfte der Männer spricht mit neutraler oder uneindeutiger Bewertung über Sex-Appeal. Je ein Viertel der Männer bewertet ihn als eindeutig positiv oder negativ. Ein im Vergleich etwas höherer Anteil der Autorinnen steht dem Sex-Appeal neutral gegenüber. Hier lassen sich nur knapp zehn Prozent negativen Äußerungen zuordnen, ca. ein Drittel wertet positiv. Frauen haben also etwas häufiger eine neutrale oder positive Haltung. Obwohl es sich bei Frauen mit Sex-Appeal tendenziell um eine Männerphantasie handelt, steht das Konzept oftmals in Verbindung mit Wertungen, die auch die Femme fatale betreffen: v.a. die Begriffe ›dämonisch‹ und ›teuflisch‹ fallen in diesem Zusammenhang sehr häufig und werden fast immer von einer gewissen Bewunderung und mystischen Verklärung begleitet (vgl. Abb. 4). Gerade in der Ambivalenz scheint für die Verfasser der hauptsächliche Reiz dieser Phantasie zu liegen.

 

Bei der Inszenierung eines mystischen Sex-Appeals spielt die ökonomische Komponente eine große Rolle. Ein hoher Anteil der Personen, denen Sex-Appeal zugeschrieben wird, sind Schauspielerinnen, oft aus den USA, und gelegentlich Tänzerinnen. Gerade Schauspielerinnen bietet das Medium der Zeitschrift eine Plattform, die aus ökonomischen Gründen für sie von Vorteil ist: sei es, um die eigene Person durch abgedruckte Fotos einer großen Öffentlichkeit bekannt zu machen, im öffentlichen Gespräch zu bleiben, oder um einen neuen Film zu bewerben. Letztendlich kann in diesem Kontext ein öffentlich attestierter Sex-Appeal, so ambivalent dessen Bewertung auch ausfällt, in einer Zeitschrift eine positive Auswirkung auf die Karriere bedeuten, wobei die ökonomische Dimension natürlich invisibilisiert wird. Die allgemein vorherrschende Ansicht, Sex-Appeal sei in erster Linie angeboren und könne nur in begrenztem Maß erlernt werden, verweist die tatsächliche schauspielerische Leistung in den Bereich des Unbewussten und Unkontrollierbaren. Dadurch wird die berufliche Leistung der Schauspielerinnen in gewisser Weise abgeschwächt. Außerdem lassen sich häufig Vermischungen zwischen der Beschreibung einer Schauspielerin und der von ihr verkörperten fiktiven Figur finden, d.h. ihr Sex-Appeal wird in der öffentlichen Wahrnehmung noch dadurch gesteigert, indem ihr beständig die Attribute von begehrenswerten fiktiven Figuren zugeschrieben werden (so Anita Daniel im Uhu 1928: 74, vgl. Abb. 5).

 

Insgesamt lässt sich konstatieren, dass das Ideal des Sex-Appeals eher dem der Neuen Frau widerspricht, weshalb es nicht verwunderlich erscheint, dass Sex-Appeal in Zeitschriften etwas später diskutiert wird, mit einem Höhepunkt um das Jahr 1930. Damit liegt das Konzept in zeitlicher Nähe zur von Drescher erwähnten »deutschen Charakterfrau«, die in den dreißiger Jahren zum weiblichen Ideal wird (Drescher 2008: 185). Die ›Frau mit Sex-Appeal‹ erscheint als Angleichung der Neuen Frau an tradierte Rollenmodelle und als ein Übergangsstadium zum späteren Ideal der ›deutschen Charakterfrau‹ . Auch der Aspekt des Exotismus bietet einen Anhaltspunkt für weitere Forschung, da in den hier analysierten Artikeln an einzelnen Stellen auch der Sex-Appeal schwarzer Frauen besonders hervorgehoben und idealisiert wird, in Verbindung mit aus heutiger Sicht sehr stereotypen Darstellungen.

Anna Wentz studiert im B.A. Germanistik an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck.

Text: Anna Wentz 2023.
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Literatur

Anriette: „Tod allem Fleisch. Kein asketischer Vortrag – sondern eine modische Betrachtung“. In: Das Magazin, März 1929 (H. 55), S. 3319-3323.

arthistoricum.net: Illustrierte Magazine der Klassischen Moderne.

Daniel, Anita: „Sex Appeal. Ein neues Schlagwort für eine alte Sache“. In: Uhu, Okt. 1928 (H. 1), S. 72-77.

Dorgerloh, Annette: „‚Sie wollen wohl Ideale klauen…?‘. Präfigurationen zu den Bildprägungen der ‚Neuen Frau‘“. In: Sykora, Katharina (Hg.): Die Neue Frau. Herausforderung für die Bildmedien der ZwanzigerJahre. Marburg: Jonas 1993, S. 25-50.

Drescher, Barbara: „Die ‚Neue Frau‘“. In: Fähnders, Walter (Hg.): Autorinnen der Weimarer Republik. Bielefeld: Aisthesis 2008, S. 163-186.

Flemming, Jens: „‚Neue Frau‘? Bilder, Projektionen, Realitäten“. In: Faulstich, Werner (Hg.): Die Kultur der zwanziger Jahre. München: Fink 2008, S. 55-70.

Koebner, Franz Wolfgang: „Lerne ‚Sexappeal‘ zu Hause. Ein paar Anregungen“. In: Das Magazin, Aug. 1929 (H. 60), S. 3782-3788.

Miketta, Hubert: „Wer hat Sex appeal?“. In: Revue des Monats, Aug. 1930 (H. 10), S. 1016-1022.

o.V.: „,Der süße Kleine‘“. In: Neues Magazin, Mai 1949 (H. 5), S. 7-11.

o.V.: „Das Faschingskostüm 1932“. In: Revue des Monats, März 1932 (H. 5), S. 26-29.

o.V.: „Die Geschichte vom abgeschnittenen und wieder angewachsenen Zopf. Die Frisur richtet sich nach dem Zeitgeschmack“. In:Uhu, März 1933 (H. 6), S. 76-79.