Hunde in der Kultur und Literatur der Weimarer Republik. Zwischen Familienmitgliedern und Lifestylephänomen

Von Prof. Dr. Maren Lickhardt

Erich Maria Remarques ‚Station am Horizont’

Erich Maria Remarque wurde vom Ullstein-Verlag erfolgreich als Nichtberufsschriftsteller vermarktet. So konnte der Eindruck entstehen, es handele sich bei ‚Im Westen nichts Neues‘ um den authentischen Kriegsbericht eines einfachen Soldaten. Bis heute ist Remarque so im kollektiven Gedächtnis verankert geblieben, was bezeugt, wie erfolgreich Ullsteins Inszenierungen waren. Remarque war allerdings sehr wohl Berufsschriftsteller, und er arbeitete keineswegs in männlich-kriegerisch codierten Ressorts und Kontexten, sondern als Redakteur ausgerechnet beim mondänen Magazin ‚Sport im Bild. Das Blatt der guten Gesellschaft‘, in dem 1927/28 sein Roman ‚Station am Horizont‘ abgedruckt wurde, der in einer illustren Gesellschaft spielt und pop-literarische Züge trägt. Im Folgenden geht es aber zunächst einmal um Hunde.

Sämtliche Zusammenfassungen von Remarques Roman ‚Station am Horizont‘ beschreiben das Verhältnis des Protagonisten Kai zu drei Frauen, die jeweils verschiedene Lebenskonzepte verkörpern und zwischen denen er sich entscheiden muss, und außerdem Kais Leidenschaft für den Rennsport. Mit dem Thema der professionellen Autorennen fügt sich der Roman in einen gängigen Diskurs der 1920er Jahre. Sport war allgemein beliebt; Motorsport mit seiner Verbindung von Mensch und Maschine als Phänomen der Modernisierung auf der Höhe der Zeit; besagte Verbindung, die Menschmaschine oder der Maschinenmensch vielleicht das zivilisierte Pendant zu den anthropologischen Konzepten, die sich im Ersten Weltkrieg – etwa bei und durch Ernst Jünger – ausgebildet haben. 

Bei aller Konzentration des Textes auf das gängige Thema Rennsport könnte man in diesem Roman aber über einen anderen Aspekt stolpern. Der Protagonist Kai verzichtet in einem Rennen auf den Sieg; er bremst ab, um zwei Hunden auf der Fahrbahn das Leben zu retten (SH 110-112). Die Passage ist als ästhetizistische Geste interpretiert worden, beispielsweise von Rolf Parr, weil im Roman explizit die Frage aufgeworfen wird, ob Kai dies aus „Pose oder Liebe“ getan habe. Diese Frage wird im Roman allerdings ziemlich eindeutig beantwortet: Echte Hundeliebe lässt alles andere in den Hintergrund treten. Die Rennfunktionäre zeigen sich darüber entsetzt, dass Kai für die Hunde gebremst hat. „Er hätte doch ruhig durchfahren können, bei den kleinen Hunden hätte der Wagen nicht geschleudert, wenn er darüber hinweggefahren wäre; wahrscheinlich hätte er überhaupt nichts bemerkt als einen kurzen Stoß.“ (SH 113) Kai möchte nach der Szene nicht zu seinen mondänen Rennsportfreunden gehen, sondern „entfloh“ (SH 114) bezeichnenderweise zu seiner Dogge Frute.

Die Passage ist ein Stolperstein, der das Lesen ausbremst, um die Wahrnehmung neu einzujustieren. Man kann sie als poetologischen Hinweis darauf deuten, die Hunde nicht zu überlesen, ebenso wenig wie Kai über sie hinwegfahren kann. Aber eigentlich könnte schon von Anbeginn des Textes auffallen, dass Hunde keine Neben-Sache sind, spielt Kais Dogge Frute doch eine wichtige Rolle als Figur und Subjekt. Ab der zweiten Seite findet sie in hoher Frequenz Erwähnung. Damit Leser*innen nicht vergessen können, dass sie Kais stete Begleiterin ist, wird in die aufregendsten Szenarien immer wieder eingestreut, dass Kai der Dogge Futter besorgt (SH 15, 20), dass er sie nicht alleine lassen möchte (SH 19, 155), dass er mit ihr spazieren geht (SH 32) oder dass er sie in eine Decke wickelt, damit sie nicht friert (SH 215). Sie ist, wie auch folgende Passage zeigt, immer dabei. Nicht nur die romantische Stimmung wird mit dem Hund geteilt, sondern auch in dieser Passage ist es nicht eine der Frauen, die ebenfalls anwesend ist, mit der der Protagonist Körperkontakt hat, sondern die Hündin.

„Langsam tappte es über das Deck. Dann schnoberte es, und Frute erschien, fahl im Mond, grau und seltsam mit ihren Beinen und den gläsernen Augen. Aber die Haut war warm und die Bewegung vertraut, mit der sie ihren Kopf unter Kais Hand wühlte. Es wurde still. Nur Frutes Atem ging vernehmlich. Im gedämpften Klatschen der Wellen hob und senkte sich leise das Schiff – es nahm den Horizont mit, der wie eine Krinoline bebte. Ein sanftes Kreisen begann, in dessen Mittelpunkt die drei waren – drei Herzen, um die eine Nacht schwang.“ (SH 178)

Die Dogge ist nicht einfach nur anwesend. Ist die Wahrnehmung erst einmal auf die Hunde beziehungsweise die Dogge gerichtet, muss auffallen, dass Frute als gleichberechtigte Figur neben den anderen, menschlichen entworfen wird. So wird beispielsweise die Kommunikation von Kai und Frute als reziproke dargestellt. 

„Frute hörte Kai mit der geduldigen Überlegenheit der Kreatur zu. Sie verstand ihn vorläufig nicht, versuchte aber einstweilen durch einen pfiffigen Gesichtsausdruck zu beschwichtigen, bis sie ihn erraten hatte. Kai redete lange auf sie ein. Schließlich aber unterbrach er sich, klatschte ihr auf die Schulterblätter und sagte freundschaftlich: ‘Du hast recht, Frute –‘“ (SH 146)

Im ersten Satz wird noch der Anschein erweckt, als projiziere Kai die geduldige Überlegenheit auf Frute, und auch das Fazit stammt von ihm. Aber im Grunde liegt eine Empfindungswidergabe aus der Perspektive der Hündin vor: Das Erzählmedium beschreibt ihre Ratlosigkeit, die sie mit einem pfiffigen Gesichtsausdruck zu kaschieren versucht. 
‚Station am Horizont‘ hat eine zweite Protagonistin neben Kai, die Liebesobjekt wie -subjekt ist, die eigene Gedanken, Intentionen und Erlebnisse hat. Damit zeigt Remarque eine sehr spezielle Auseinandersetzung mit dem Hund. Dass überhaupt ein Hund in den Fokus rückt, ist in den 1920er Jahren nicht ungewöhnlich. Hunde bewegen sich dabei im Spannungsfeld von emotionalen Beziehungen und modischen Begleitaccessoires. Bei Remarque steht ersteres im Vordergrund. 

Die Hündin ist bei Remarque im Wesentlichen Beziehungspartnerin. Sie ist ein aus menschlicher Sicht ein wenig rationales, aber empfindungsfähiges Lebewesen. Sie weist nicht nur aufgrund ihrer arttypischen Lebensweise eine besondere Form der Körperlichkeit auf, indem sie eigene, von Menschen unterschiedene körperliche Bedürfnisse hat, die repetitiv artikuliert werden, sondern der Kontakt zu ihr ist auch ein körperlicher. Man würde sich nur wenigen Menschen so innig, intim und taktil nähern, wie Kai es bei Frute tut. Damit steht sie für einen anti-sachlichen Zug. Frute eröffnet eine Nische jenseits utilitaristischer, kompetitiver rationaler Funktionalität, jenseits maschinenhafter Kälte, jenseits des ‚oberflächlichen‘, kalkulierten Umgangs innerhalb der menschlichen Gesellschaft der 1920er Jahre. Die Anforderungen der Modernisierung sowie der damit einhergehende neusachliche Diskurs hat in der Beziehung mit der Hündin eine Auszeit. Der Hund taucht hier als Figur auf und als Sehnsuchtsphantasie für Nähe und Zärtlichkeit, die das moderne Leben und die Nachkriegsgesellschaft nicht bieten. 

Hunde in Unterhaltungsmagazinen der 1920er Jahre

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Unter der Überschrift ‚Mein Hund ist doch der schönste‘ widmet sich ein Artikel im ‚Uhu‘ dem Lob auf den eigenen Hund (Januar 1932, s. Abb. 1 u. 2). Der Hund ist hier nicht nur der schönste, sondern der geliebteste und liebendste. D.h. hier wird ähnlich wie bei Remarque dessen Schönheit letztlich an seine Liebes- und nicht an seine Salonfähigkeit geknüpft; der Terrier wird auf Bildern im Bett mit seiner – geschminkten – Besitzerin gezeigt und wie ein Kind präsentiert.

Dennoch sind Hunde in den Unterhaltungsmagazinen vor allem Klassifikationsobjekte. Es geht vorwiegend nicht um das Zusammenleben mit einem Hund, die Erziehung oder artgerechte Haltung, sondern um die Profile von Rassehunden, die fein säuberlich differenziert werden. Dabei spielen seltener die beruflichen Einsatzmöglichkeiten der Hunde aufgrund ihrer phylogenetischen Anlagen eine Rolle als ihr Aussehen und Image. Auf Abbildung 3 ist eine Dogge zu sehen, aber nicht irgendeine, sondern eine dänische Dogge. 

In fast jeder Ausgabe von Mode- und Lifestyle-Zeitschriften dieser Zeit wie ‚Uhu‘, ‚Dame‘ und ‚Revue des Monats‘ – die Auswahl dieser Zeitschriften markiert nur die Spitze des Eisberges – sind Texte, große Fotos und seitenlange Fotostrecken Hunden gewidmet. Hunde haben im Diskurs der 1920er Jahre – anders als bei Remarque – zumeist eine äußerliche Funktion; vielleicht sogar in einem besonderes großen und im Vergleich zu heute größeren Maß. Sie stehen in Verbindung mit dem Lifestyle und den Moden, denen ihre Besitzer*innen folgen – natürlich bedingt durch die Sparte der Zeitschriften. In den 1920er Jahren stellen Rassehunde Prestigeobjekte und Lifestyle-Phänomene dar. 

Bei der Darstellung spezifischer Hunderassen – die man aus heutiger Sicht kaum wiedererkennt – muss bedacht werden, dass es sich bei den 1920er Jahren um eine Zeit handelt, in der – im Sinne Helmut Lethens – gesellschaftliche Distinktionen im Zuge der Abschaffung der Monarchie weggebrochen sind, und man sich mit Massenängsten herumschlägt, also diversen Ängsten, die sich darauf beziehen, als vereinzelte Individuen in einer formlosen, indifferenten Masse unterzugehen. Es scheint, zumindest auf den ersten Blick, keine Gruppenzugehörigkeiten und -identitäten mehr zu geben. Wichtige Anstrengungen galten also einem pop-kulturellen ästhetisch distinguierenden Self-Fashioning, das eine sichtbare Zugehörigkeit zu einer Gruppe indiziert. Die Kombination der richtigen Kleidung, des richtigen Reiseortes, des Cafés, der Musik, des Tanzes etc. zeigt neue Zugehörigkeiten an, wo alte weggefallen oder unsichtbar geworden sind. Dazu gehört auch der Besitz des richtigen Hundes. Ebenso wie eine Marlenehose eben kein Charlestonkleid ist, ist eine Dogge leicht erkennbar kein Terrier.

‚Der Querschnitt‘ (Okt. 1927) widmet den Diskurs um Hunde aufgreifend eine ganze Ausgabe diesen tierischen Begleiter*innen und informiert seine Leser*innen in einer Ausgabe über Polarhunde, chinesische Palasthunde und Londoner Hunde-Moden, porträtiert diverse Rassen, bringt eine literarische Geschichte über Zecken bei Hunden, ein Gedicht von Franz Werfel mit dem Titel ‚Der Hund‘ usw. In der Ausgabe – und nicht nur in dieser – werden eine Reihe von Hunderassen bildlich vorgestellt, darunter King Charles Spaniels, Chow-Chows eben viele Terrier (s. Abb. 4, 5 u. 6).

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Der ‚Uhu‘ zeigt im Juli 1925 eine Fotostrecke, die den Titel ‚Hunde-Moden‘ trägt und ausdrücklich thematisiert, dass Rassen Moden unterliegen – fast wie ein Kleid (s. Abb. 7). Dass Hunde beziehungsweise Hunderassen nicht nur zu Moden passen, sondern selbst auch Moden unterliegen können, wird anhand dieser Fotostrecke deutlich, die auf einer Seite mit ‚Hunde von gestern und von heute‘ betitelt ist. Demnach sind Dackel, Mops und Terrier out, die Französische Bulldogge in (Abb. 8). Welche Rasse aber von gestern oder von heute ist, wandelt sich schnell, denn an der Häufigkeit der Abbildungen kann leicht ersehen werden, dass Terrier gegen Ende der 1920er Jahre sehr beliebt waren. Terrier wurden insgesamt besonders häufig abgebildet, wobei bei der Rassebezeichnung sorgfältig zwischen dem Skye-, Scotch-, Searlyham-, Westhighland-, Clydeidale- (heute Paisley-), Bedlington-, Bull- und irischem Terrier unterschieden wird. 

Die Hunde sind nicht nur Accessoires, sondern auch insgesamt dem menschlichen Lifestyle angepasst, wie sich in folgender Abbildung im ‚Querschnitt‘ (Sep. 1925, Abb. 9) zeigt.

Dass die Zeitschriften im Wesentlichen dem Lifestyle und der Bekleidungsmode gewidmet ist, wird angesichts der Inszenierung von Hunden nicht eingeschränkt. Vielmehr werden die Hunde zu einem Teil des modischen Outfits, teilweise wirken sie wie Accessoires. Maud Virgin schmücken modische Insignien, indem sie in ‚Das Magazin‘ (Okt., 1933, s. Abb. 10) im Auto und mit Barsoi präsentiert wird.

Ruth Landshoff-Yorcks ‚Die Vielen und der Eine'

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Ein Kerry-Blue-Terrier-Rüde namens Cecil spielt in Ruth Landshoff-Yorcks Roman ‚Die Vielen und der Eine‘ aus dem Jahr 1930 eine große Rolle. Der Hund, so heißt es im Text, „ist prima. […] Ausgezeichnet. Nur der Schwanz ein bißchen lang kupiert.“ (VE 54) „Ausgezeichnet“ bedeutet konkret, dass der Rüde auf einer Show einen Preis gewonnen hat. Hier geht es um Elite und Distinktion, was den Status der Protagonistin Louis Lou spiegelt, die – wiederum Landshoff-Yorck spiegelnd (Das Leben, Okt. 1931, s. Abb. 11) – als berühmtes It-Girl durch die Gesellschaft düst, das sich immer perfekt zu inszenieren vermag.

Sehr divenhaft verteidigt Louis Lou die Anwesenheit Cecils in einem Luxushotel.

„‘Hunde sind hier verboten.‘ ‚Ach, das stört ihn nicht.‘ Und als der Mann ernst wird, faucht sie ihn an: ‚Verboten, das weiß ich ja, aber Cecil hat im Ritz in Paris schon an eine Mamorsäule gepißt, er wird doch dann wohl im Ambassador stubenrein sein können. Und das Gesetz ist natürlich richtig und wunderschön, und Cecil ist am liebsten einziger Hund irgendwo, und gucken Sie sich doch die Leute an, denen Sie etwas verbieten. Mir doch nicht! In ganz Europa traut sich das kein Mensch.‘“ (VE 8)

Natürlich gehören auch Grand-Hotels, die den Leser*innen des Romans ebenfalls aus der illustrierten Presse bildhaft vertraut waren dazu, wenn es um die Beschreibung eines mondänen Lebensstils geht, aber auch Cecil ist Accessoire von Louis Lous Selbstinszenierung und Ausdruck ihrer Persönlichkeit.

Aber Cecil ist auch der einzige, der der Protagonistin in der gesamten Geschichte wirklich nah ist. Wie der Titel andeutet, geht es im Roman um die vielen Männer, die um Louis Lou schwärmen, und den Einen, den sie finden wird: einen Amerikaner namens Percy. Aber auch in Landshoff-Yorcks Roman gibt es noch den eigentlichen Einen, nämlich Cecil, der in hoher Frequenz Erwähnung findet und der der Protagonistin am nächsten steht. In Gesellschaft hat Louis Lou plötzlich Sehnsucht nach ihrem Hund, mit dem sie zusammen sein möchte, „ohne die Gesellschaft von Männern ertragen zu müssen“ (VE 25). Auch hier – wie in Remarques Text in größerem Maß – deutet sich – neben dem Stil-Phänomen Hund – die dezidiert nicht-sachliche Sehnsucht nach Geborgenheit an, die sich auf den Rüden richtet.

Ein Vorfall mit Cecil bedingt den größten Handlungsumschwung im Roman. Unter Percys Obhut wird der Hund von einem Auto angefahren und an der Pfote verletzt; er muss in ein Spital eingeliefert werden (VE 76). Daraufhin verlässt Louis Lou Percy, dem sie bereits nähergekommen war. Zu einem Mann, der den Unfall ihres Terriers nicht verhindern konnte, hat sie weder Vertrauen noch Sympathie, was sich vor allem in der folgenden Begegnung zeigt.

„[Percy:] ‚Nicht richtig lieben könnt ihr modernen Mädchen. Vielleicht lieben Sie Ihren Hund, diesen Bastard.‘ Aber da hatte er ihre Faust im Gesicht. […] Sie wollte viel lieber weiblicher sein und sich küssen lassen, aber er hatte Cecil einen Bastard genannt. Und Percy, der sonst so hart im Nehmen war, weinte.“ (VE 85)

Dass Louis Lou einen Faustschlag austeilt, könnte vielseitig interpretiert werden. Sicherlich hat es etwas mit dem Vorwurf zu tun, sie könne nicht lieben, und auch damit, dass sie eigentlich sehr viel für Percy empfindet, aber sie katalysiert hier auch die vergangene Sorge um ihren Rüden, bestraft den fahrlässigen Hundesitter und verteidigt den Status ihres Rassehundes gegen die Beleidigung, er sei ein Bastard. Im Sinne des Textes reicht das als Begründung, denn auch wenn sich Louis Lou und Percy am Ende finden, so ist doch am wichtigsten, dass Cecil da ist. Das Indiz dafür, dass Percy letztendlich zu Louis Lous Leben gehört, bildet die Tatsache, dass sich Cecil auch bei ihm geborgen fühlt und ihn akzeptiert: „In seinen Armen hielt er einen graublauen Terrier, der ihm müde den Hals leckte, sorgfältig und zärtlich.“ (VE 161) Gemeint ist natürlich nicht irgendein graublauer Terrier, sondern Cecil, der – so Louis Lou – „wichtigste Hund, den man sich vorstellen kann“ (VE 161), und der nach seinem Unfall zuvor kurz verschwunden war, sodass Percy am Ende den Helden spielen kann, indem er ihn findet und zurückbringt, sodass er auch in der Geschichte für den wichtigsten Handlungsumschwung sorgt.

Louis Lou würde aber nicht nur explizit alles für Cecil tun (VE 146), sondern auch der Terrier wird im Roman als eigenständiges Subjekt präsentiert, dem ein souveränes Innenleben zugestanden wird. Denn dass Cecil Louis Lou entläuft, wird als bewusste und reflektierte Entscheidung aus seiner Perspektive ausgewiesen, weil Louis Lou durchaus nicht immer ihren eigenen Ansprüchen gerecht wird, alles für den Terrier zu tun:

„Ein Hundedasein unter so vielen Menschen zu leben! Nicht einmal die Anwesenheit von Louis Lou söhnte ihn damit aus. Die benahm sich ganz merkwürdig heut abend. Anstatt mit ihm herumzutollen, wo sie sich doch so lange nicht gesehen hatten, kümmerte sie sich kaum um ihn. Auch ein Terrier hat sein Ehrgefühl. Cecil war sehr gekränkt. Diese ganze Reise war überhaupt merkwürdig gewesen […]. Erst diese große Stadt mit den vielen Fahrstühlen […]. Und dann dieses scheußliche Schiff ohne jede Rasenfläche. Auch in Paris hatte sie ihn nach kurzer schöner Zeit wieder allein gelassen. Nein, Cecil wollte sich das nicht länger gefallen lassen.“ (VE 159)

Bei aller Liebe bewegt sich die Beziehung zwischen der Protagonistin und ihrem Rüden nicht ganz auf Augenhöhe, behandelt sie ihn – wie wir zumindest aus der hündischen Perspektive erfahren – bei allem guten Willen und aller Liebe manchmal doch als Objekt, dem sie Zuwendung zukommen lassen und entziehen kann. Neben dem Stolperstein des Unfalls, der sich als Prüfstein für Percy erweisen sollte, ist in den Text ein weiterer Widerstand durch das Entlaufen des Rüden eingebaut, durch den er zum Subjekt erhoben wird. Damit fordert er textimmanent und metafiktional sein Recht ein. Wo der Terrier ein Wort mitsprechen darf, geht es außerdem explizit um die Frage nach der artgerechten Haltung.

Schlussbemerkung

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Insgesamt wird den Hunden in beiden Texten fiktionsimmanent viel Aufmerksamkeit gewidmet, genauso wie die Aufmerksamkeit der Leser*innen auf sie gelenkt wird: Neben der hohen Frequenz ihrer Erwähnung sind Störungen – je ein Autounfall, in dem das neusachliche Wahrzeichen mit dem fragilen Lebewesen kollidiert, und eine Streuner-Episode pro Roman – des üblichen Handlungsgangs in die Texte eingebaut, durch die es kaum möglich ist, die Hunde zu übersehen. Sie haben eine Agency in den Texten, und es liegen sogar Passagen vor, in denen ihre Innensicht auf die gleiche Weise wie bei menschlichen Figuren präsentiert wird, die zudem je zu den Protagonist*innen gegengeschlechtlich verfasst sind, während es gleichzeitig permanent um die Frage nach dem oder der Richtigen geht. 

Dass in der Kultur der 1920er Jahre der Besitz eines Rassehundes attraktiv ist und attraktiv macht, schwingt in Landshoff-Yorcks Roman mit. Aber auch bei Remarque handelt es sich nicht um irgendeinen Mischling; die Dogge begleitet ihren menschlichen Partner durch eine mindestens ebenso mondäne Welt, wie sie von Landshoff-Yorck entworfen wird. Die Romane zeigen die Schönen und Reichen der 20er Jahre, die sich textimmanent im Lichte massenmedialer Aufmerksamkeit inszenieren. Das heißt, dass die Figuren innerhalb der Handlung die Bilder liefern, die die Leser*innen in den zeitgenössischen Publikumszeitschriften zu Hunden, Hündinnen und ihren Besitzer*innen sehen konnten. 

Hier zeigt sich das poppige Element, das dem gesamten Medialisierungsprozess zugrunde liegt: Die Zeitschriften, die jeweils bestimmte Leser*innen-Gruppen adressieren und an sich binden, liefern Lifestyle-Hinweise, zu denen auch Wissen über Hunde(-Moden) gehört. Und Leser*innen können nicht nur eine Mode nachahmen, indem sie sich einen Hund anschaffen, sondern sich auch ein kleines bisschen in Kai und Louis Lou verwandeln. Bleibt zu hoffen, dass auch der Aspekt der Familienmitgliedschaft, der in den beiden Romanen in Bezug auf die Hunde zentral ist, ebenfalls kopiert wird. Denn dieser Aspekt ist, um es noch einmal zu betonen, in den Romanen bemerkenswert stark und stärker als in den Zeitschriften ausgeprägt, um dem bisweilen kalten und oberflächlichen neusachlichen Diskurs etwas entgegen zu setzen.

Literatur

Erich Maria Remarque: Station am Horizont. Köln 2000 (= im Text: SH)

RuthLandshoff-Yorck: Die Vielen und der Eine. Berlin 2001 (= im Text: VE)

Hans Joachim Jakob: Tiere im Text. Hundedarstellungen in der deutschsprachigen Literatur des frühen 20. Jahrhunderts im Spannungsfeld von ›Human-Animal Studies‹ und Erzählforschung. In: Textpraxis 8 (1.2014). Link zum Text, URN: urn:nbn:de:hbz:6-93349433063

Helmut Lethen: Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen. Frankfurt am Main 1994

Rolf Parr: Tacho. Km/h. Unfall. Kurve. Körper. Erich Maria Remarques journalistische und kunstliterarische Autofahrten. In: Thomas F. Schneider (Hrsg.): Erich Maria Remarque. Leben, Werk und weltweite Wirkung. Osnabrück 1998, S. 69-90

Thomas F. Schneider: Nur das Credo eines Snobs? Anmerkungen zu Station am Horizont. In: Erich Maria Remarque: Station am Horizont. Hrsg. von Thomas F. Schneider und Tilman Westphalen. Köln 1998, S. 217-229
 

Text: Maren Lickhardt 2022
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