»Die Auflösung des Rätsels folgt im nächsten Heft«. Kreuzworträtsel in illustrierten Magazinen der 1920er Jahre
Von Antonia Porst
»Die neue Epidemie« (H. M. 1925, S.29) – Massenpsychose, Seuche, Modekrankheit. Nach Jazz und Mah-Jongg »überflutet« nun eine neue Manie die Gesellschaft der 1920er Jahre: Das Kreuzworträtsel. So zumindest bezeugt dies H.M. in ›Das Magazin‹ von August 1925 H.M., das ist vermutlich Hubert Miketta, zu dieser Zeit Chefredakteur der Zeitschrift. In Amerika sei eine regelrechte Kreuzwortindustrie entstanden, die nun allmählich auch nach Europa überschwappe. Das Rätsel an sich tritt dabei über den eigenen Rahmen des schwarz-weißen Feldes hinaus, beeinflusst Kleidermode, Sport und Unterhaltung und wird damit zu einem popkulturellen Phänomen der 20er Jahre. Indem der Artikel über die Kreuzwortmanie dieses Spektakel scheinbar abwertend aufzeigt, liest er sich gleichzeitig als Werbetext, der inklusive einer Fotostrecke zur Kreuzwort-inspirierten Mode und enthusiastisch Rätselnden auch gleich noch den Hinweis auf die hefteigene Rätselseite enthält.
Das Kreuzworträtsel ist in seiner amerikanischen Form zu diesem Zeitpunkt erst einige Jahre alt. Arthur Wynn, der Redakteur der FUN-Rubrik in der Tageszeitung ›New York World‹ veröffentlicht eine neue Version des damals bereits etablierten Silbenrätsels in der Sonntagsausgabe am 21. Dezember 1913 (vgl. Raphel 2018, S. 24). Aus dem ersten ›Word-Cross‹ wird kurz danach das ›Cross-Word‹, das von anderen Periodika adaptiert wird und von da an in seiner Bekanntheit und Beliebtheit wächst (vgl. ebd., S. 26). Im Jahr 1924 erreicht die Begeisterung ihren Höhepunkt, den sogenannten »crossword-craze« (vgl. ebd, S. 34). Die Tageszeitung ›Chicago Tribune‹ diagnostiziert im September 1924 eine nationale »cross-word-puzzle-itis«, deren Symptome sich unter anderem in Kleidermode, Musik, Kulinarik und Theater zeigen (vgl. ebd., S. 37). Davon inspiriert beginnen nun auch die Medien des deutschsprachigen Raums damit, Kreuzworträtsel zu veröffentlichen. Das erste deutsche Kreuzworträtsel erscheint angeblich 1925 in der Ullstein-Publikation ›Berliner Illustrirte Zeitung‹ (vgl. Veh 2013), der auflagenstärksten illustrierten Wochenzeitung ihrer Zeit (Wilke 2010, 518). Doch auch in der Januarausgabe des ebenfalls im Hause Ullstein verlegten ›Uhu‹ im Jahr 1925 findet sich bereits ein Kreuzworträtsel. Es ist das erste von vielen im Magazin.
In den Digitalisaten der SLUB Dresden bzw. auf arthistoricum.net gibt es ab 1925 in einigen Magazinen Kreuzworträtsel, neben ›Das Magazin‹ und ›Uhu‹unter anderem im ›Auto-Magazin‹, in ›Das Kriminal-Magazin‹, in ›Das Leben‹, in der ›Revue des Monats‹ und in ›Scherl‘s Magazin‹. In einigen davon wird das Rätsel ein fester Teil der monatlichen Ausgabe in Rätsel-Rubriken, die häufig im oder vor dem letzten Werbeblock zu finden sind. Diese Platzierung spricht einerseits dafür, dass Rätsel zwar etabliert sind, nicht aber als wirklich seriöse Inhalte der Zeitschrift angesehen werden. Andererseits wird so der Fokus auf die Werbeseiten gelenkt, die ansonsten vielleicht eher überblättert werden würden.
»In der fröhlichen Hoffnung, daß auch bei uns diese Seuche bald ihre Opfer fordern wird« (o.A. 1925a), veröffentlicht der ›Uhu‹, offenbar inspiriert von der aus dem amerikanischen Diskurs übernommenen Metapher der Krankheit, sein erstes Kreuzworträtsel. Es wird von einem Text eingeleitet, in dem, wie einige Monate später auch im ›Magazin‹,von der amerikanischen Rätselbegeisterung erzählt wird.
In der illustrierten Zeitschrift ›Roland‹ des gleichnamigen Verlags äußert sich der österreichische Schriftsteller und Herausgeber Franz Blei ebenfalls zur ›Seuche‹: »Man sagt, der Tod des Kreuzworträtsels werfe schon seine Schatten voraus, und in einigen Monaten sei es überstanden.« (Blei 1925) Aus Amerika würden ohnehin nur die dümmsten Seuchen kommen; als bessere Alternative schlägt der Autor die japanische Gedichtform Hai-Kai (heute bekannt als Haiku) vor (vgl. ebd.).
Im 1924 gegründeten ›Das Magazin‹, publiziert im Giesecke & Devrient Verlag, erscheinen ab der Märzausgabe 1925 regelmäßig Kreuzworträtsel. Das erste Rätsel wird, wie im ›Uhu‹, als amerikanisches Phänomen vorgestellt, betitelt als: »Ein neuer amerikanischer Sport« (o.A. 1925b). Dazu werden Fotografien abgedruckt, die zeigen, wie verhaftet dieser Sport im amerikanischen öffentlichen Leben sein soll. »Konzertsängerin Dorithy [sic!] Summers« versteigert beispielsweise ihren mit einem Kreuzworträtsel bemalten Rücken für wohltätige Zwecke (Abb. 3). Es wird kurz erklärt, wie das Rätsel funktioniert – wobei es sich nicht viel vom bereits bekannten Silbenrätsel unterscheidet – in den folgenden Ausgaben erscheint es dann regulär in der Rätselrubrik.
Fünf Ausgaben später, im August, äußert sich H. M. im ›Magazin‹ ausführlich zur Kreuzworträtselmanie, der amerikanischen »Modekrankheit« (H. M. 1925, S. 29). Der Fokus wird im Artikel auf das Visuelle gesetzt: auf vier Seiten sind sieben Fotografien und eine Karikatur abgedruckt. So wirkt der Artikel auf den ersten Blick wie eine der zeitgenössisch typischen Fotoreportagen zum kuriosen amerikanischen Leben, wie sie sich in den illustrierten Magazinen der Weimarer Republik so häufig finden lassen. Der Text bewegt sich dabei zwischen Kopfschütteln und Faszination für die Bilder, ist angereichert mit Anekdoten und dramatischer Metaphorik. Ernsthafte Kritik findet sich dabei nicht. Der Text entfaltet eher eine werbende bzw. motivierende Wirkung, sich ganz nach amerikanischem Vorbild auch von der Seuche anstecken zu lassen. Wie die Musikrichtung Jazz oder das Brettspiel Mah-Jongg überflute nun also diese Mode die Gesellschaft. Wer sich nicht damit auskenne, sei ein Hinterwäldler – besonders in Gegenwart junger Damen (vgl. ebd.). Es handelt sich hier also nicht nur um die Darstellung einer Freizeitbeschäftigung, sondern um einen Lifestyle, dessen Adaption den US-Amerika-interessierten Leser:innen in Aussicht gestellt wird. Der Autor entwirft ein Bild der amerikanischen Gesellschaft, jung modern und gebildet, in Dachgärten von New Yorker Hotels auf teppichgroßen Kreuzworträtseln liegend (Abb. 4) und die Freizeit neben dem Sport nun mit Kreuzworträtseln verbringend. (Abb. 5)
Auch an amerikanischen Bildungsinstitutionen oder in der Kirche hätte die Rätselform inzwischen Einzug gehalten, bspw. als Mentalgymnastik. Zudem wird das Kreuzworträtsel als Werbung für Zigaretten genutzt, wobei sich dessen werbeästhetische Komponente offenbart. Das Kreuzworträtsel steht auch insofern mit Konsum in Verbindung, als es den Verkauf der Periodika, in denen es erscheint, anregen soll. So werden die Lösungen des Rätsels der jeweiligen Ausgabe erst in der nächsten Ausgabe veröffentlicht. Wer das Rätsel also nicht lösen konnte, aber Vollständigkeit anstrebt, muss zwangsweise das nächste Heft kaufen und damit auch das neue Rätsel, das darin enthalten ist. Im Magazin erscheint das Kreuzworträtsel auch unter dem Aspekt Eigenwerbung. So ist die Antwort auf waagerecht 1.: »Geschlechtswort« und 2.: »Amüsanteste und bestausgestattetste Monatszeitschrift Europas«, in der Dezemberausgabe von 1925 offensichtlich »Das Magazin«.
Auch in gestalterischer Hinsicht wird dies deutlich. Das Rätsel der Juliausgabe von 1925 enthält die wenig versteckte grafische Botschaft »Das Magazin« (Abb. 6).
Dass man Kreuzworträtsel auch rein wegen ihrer Ästhetik konsumiert, zeigen die Fotos zur Kleidermode, die den Artikel im ›Magazin‹begleiten: »Es konnte natürlich nicht ausbleiben, daß sich auch die Mode dieser Massenpsychose zunutze machte und mit Kreuzwortwürfeln bedruckte Kleiderstoffe, Strümpfe und Schuhe, ja, sogar Badeanzüge auf den Markt brachte, die auch sofort ›einschlugen‹.« (H. M. 1925, S. 30f) Den Bildern zufolge (Abb. 7) scheinen die Kleidungsstücke auch in ihrer Rätselfunktion fortzubestehen. Die abgebildeten Frauen lösen ihre Kleidung buchstäblich – immer mit Lexikon auf dem Schoß – oder fragen den »Männe« nach des Rätsels Lösung (Abb. 8). Was nach der Beschriftung der Kleidungsstücke passiert, bleibt unklar. Ein vollgeschriebenes Magazin kann immerhin im nächsten Monat ganz einfach durch die neue Ausgabe ersetzt werden.
Ob sich die Herrenmode ebenfalls zur Kleinkariertheit hinreißen lässt, wird dagegen nicht offenbart. Die Rolle des Mannes scheint im Lösen der Rätsel zu liegen – und das sogar beruflich, wie auf Abb. 9 zu sehen: »Auch ein Beruf: Ein junger Amerikaner, dessen Hauptberuf es ist, besonders schwierige Kreuzworträtsel besonders hübschen jungen Damen gegen Entgelt zu lösen«.
Gerichtet sind die Kreuzworträtsel also vorerst an alle Geschlechter und es wird betont, wie einflussreich sie auf die gesamte Gesellschaft sein können, »in allen Berufen, in allen Lebensaltern« (H. M. 1925, S. 30). Gleichzeitig wird auch ein Bild der Personen entworfen, die diesem Trend folgen bzw. ihn vorantreiben, abgebildet sind hauptsächlich junge Frauen, modisch gekleidet, sportlich, gebildet, großstädtisch und auch beruflich aktiv (s. Abb. 10) entsprechend der Zielgruppe, die die Magazine der Weimarer Republik ansprechen möchten (vgl. Leiskau, Rössler, Trabant 2016, S. 12).
Das Rätseln als Aktivität gliedert sich außerdem in den modernen Alltag dieser Zielgruppe ein. Dazu gehören Wochenende und Freizeit, die in der Presse der Weimarer Republik »erfunden« werden (vgl. Schwarz 2016). »In allen Berufen, in allen Lebensaltern konnte man Leute beobachten, die ihre Freizeit mit der Lösung der neuen Rätselart verbrachten.« (H. M. 1925, S. 30) Das Lösen von Kreuzworträtseln gilt zudem als beliebte Sonntagsbeschäftigung (ebd.). Neben Sport und Ausflügen in die Natur außerhalb der Stadt (vgl. Schwarz, S. 283f., 286f.) gehört nun also auch das Rätseln zur »guten« Freizeitunterhaltung. Portabilität der Magazine und menschliche Mobilität gehen dabei Hand in Hand (vgl. Lickhardt 2018, S. 147): gerätselt werden kann überall und immer, gemeinsam oder alleine. Auch die Pausen im Berufsalltag können dafür genutzt werden, das zeigt das Bild der Krankenschwestern im Londoner Kinderhospital, die noch in Uniform über einem Zeitungsrätsel brüten.
Während die Magazine und ihre Rätsel eine breite Masse ansprechen, werden in der Darstellung auch Ausschlüsse generiert. Eine derartige Zelebrierung der Kreuzworträtsel als Lifestyle kann nicht allen Personen – auch wenn der Artikel dies andeutet – möglich sein. Klassenzugehörigkeit, Bildungszugang oder Zeit sind die realen Faktoren zur Adaptierung des Lifestyles, während der Text suggeriert, dass es lediglich einer »Ansteckung« bedarf, welche wiederum anscheinend an den Faktoren Immersion und Enthusiasmus gemessen wird. Schließlich ist dem Kreuzworträtsel neben der Funktion als Zeitvertreib auch der Wettbewerbsgedanke eingebaut: »Natürlich haben sich auch bereits Klubs gebildet, wo die Rätselenthusiasten zusammentreffen und regelrechte Rätselwettkämpfe mit wertvollen Preisen veranstalten.« (H. M. 1925, S. 31) Der Lifestyle spitzt sich also auf Klubbildung zu – abgesetzt von der Masse, was gegenläufig zu der Ansteckungsmetapher bzw. der Seuche ist, die alle befallen kann.
Wie sich die Kreuzworträtsel-Manie letztendlich im deutschsprachigen Raum verbreitet, wird in den Magazinen nicht mehr berichtet. Indikator, dass es auch hier eine Begeisterungswelle gab, ist zum Beispiel der Kreuzworträtsel-Foxtrott von Rudi Schwarz bzw. dem Wenskat-Orchester. Der so laut angekündigte Tod der Seuche geschieht wohl eher unauffällig. Im ›Magazin‹werden zum Beispiel von 1925-1927 in fast jeder monatlichen Ausgabe Kreuzworträtsel und -lösungen gedruckt, danach seltener. Allerdings etabliert sich die Rätselform in einigen Magazinen und auch heute noch ist der Erreger der Kreuzworträtsel-Manie in Zeitungen und Zeitschriften zu finden.
Antonia Porst, BA, BA, ist Masterstudentin der Fächer Germanistik und Gender, Kultur und Sozialer Wandel an der Universität Innsbruck und studentische Mitarbeiterin im Teilprojekt des SFB 1472 Präfigurationen von Pop in Unterhaltungsmagazinen der 1920er Jahre.