Antonello da Messina in Venedig

Von 1475 bis 1476 hielt sich der aus Messina stammende Antonello da Messina in Venedig auf. Seine meistens mit Signatur und Datum versehenen Werke sind in Ölmalerei ausgeführt, die er nach Vasari bei Jan van Eyck in Flandern erlernt haben soll. Diese Behauptung ist ebenso aus der Luft gegriffen wie Vasaris Annahme, Jan van Eyck habe die Ölmalerei erfunden. Allerdings ist bekannt, dass die Maler des Nordens früher angefangen haben, in dieser Technik zu arbeiten. Vasari zufolge war es Antonello, der diese technische Neuerung in Italien einführte. Er zitiert als Beleg dafür den Text seines Grabsteins in Messina, wo er 1479 im Alter von 40 Jahren starb. Mit Antonellos Aufenthalt in Venedig verbinden sich Werke, die als Meilensteine der venezianischen Malerei gelten. Seine im 17. Jahrhundert zerschnittene und nur in Fragmenten erhaltene Altartafel für die Kirche San Cassianoin Venedig wurde sofort nach ihrer Entstehung berühmt. Das zeigen zahlreiche Kopien und Derivationen des Bildes, die es ermöglicht haben, seine ursprüngliche Form zu rekonstruieren. Die erhöht thronende Muttergottes wird von vier Heiligen gerahmt, die sich mit ihr zusammen unter einem architektonischen Baldachin versammelt haben. Der Auftraggeber des Bildes von Antonello war der Patrizier Pietro Bon, der am 9.3. 1476 in einem Brief an den venezianischen Botschafter in Mailand über das noch in Arbeit befindliche Altarbild schrieb, es werde eines „de le più eczellenti opere di penelo che habia Italia e fuor d’Italia.“[LIT=Sciascia/ Mandel 1967, 84]. Lange Zeit war umstritten, ob Antonello da Messina diesen neuen Bildtypus nach Venedig brachte oder ob er ihn dort von Giovanni Bellini übernahm. Dessen 1867 durch einen Brand vernichtete Altartafel in Santi Giovanni e Paolo wird jedoch heute um 1470 datiertund stellt somit den Prototypus der neuen Bildgattung dar, die sich innerhalb kürzester Zeit im gesamten Veneto durchsetzen konnte und der Antonello offenbar als erster gefolgt ist.

Bellinis spätere Altartafeln von San Giobbe (1478–1485) und von San Zaccaria sind eindrucksvolle Belege für die Variationsbreite und das Entwicklungspotential, das er diesem neuen Thema zu geben wusste. Seine voluminösen und raumgreifenden, zugleich aber auch kontemplativen und in sich ruhenden Heiligen wirken in einer an reale Kirchenräume erinnernden Bildarchitektur ebenso diesseitig wie entrückt. Aus diesem Bildtypus, der bevorzugt für Altäre auf den Seitenwänden der Kirchen gewählt wurde, generierten sich die meisten Innovationen bei der Gestaltung und Organisation von Altargemälden während des 16. Jahrhunderts.

Dass Antonellos Anteil an der venezianischen Malerei prägend war, belegt vor allem sein Gemälde Hl.Hieronymus im Studierzimmer, ein Bildthema, das sich seit der Mitte des 15. Jahrhunderts großer Beliebtheit erfreute, verkörperte es doch exemplarisch die Welt des humanistischen Gelehrten und eignete sich daher auch für Porträtanspielungen. Die Verschachtelung der Bildräume und –ebenen, sowie das virtuose Spiel mit Trompe l’oeils und Durch- und Ausblicken auf kleinstem Raum werden als Symptome von Antonellos Beeinflussung durch die altniederländische Malerei interpretiert, die sich bei italienischen Fürsten größter Beliebtheit erfreute, wie Bartolomeo Facio in seiner Schrift „De viris illustribus“ von 1456 unterrichtet. Das in einer Werkstattreplik überlieferte Gemälde des Jan van Eyck, das er 1435 für den Kardinal Niccolò Albergati gemalt hatte, gelangte später in den Besitz von Lorenzo de’Medici in Florenz und wurde dort durch Ghirlandaio und Botticelli rezipiert. Ein zweites Gemälde des Themas gehörte zum Lomellini-Triptychon, das 1456 im Besitz des Königs von Neapel war. Antonello war Schüler des Neapolitaners Colantonio, der um 1440 dort mit Barthélemy van Eyck, dem Hofmaler des Renée d’Anjou in Kontakt gekommen sein muss. Seine Kenntnisse der flandrischen Malerei und der Öltechnik würden sich auf diese Weise erklären, ohne dass eine Reise in den Norden angenommen werden muss.

Antonellos Hl. Hieronymus fand in Venedig eine direkte Resonanz in Vittore Carpaccios Darstellung der Vision des hl. Augustinus, die zum Zyklus der Scuola di S. Giorgio degli Schiavoni gehört. Vergleichbar ist die perspektivische Anlage des Interieurs, das mit seiner Weite eher an eine Bühne als an ein Studierzimmer denken lässt, mit seinen Geräten und Statuetten aber der Typologie des Studiolo entspricht. Perspektivisch facettierte Bildräume, ähnlich denen, die Antonello da Messina in seinem Hieronymus-Gemälde dargestellt hat, begegnen auch in einigen Bildern von Carpaccios Ursula-Legendevon 1495. Als „Leitfigur frommer und zugleich wissenschaftlicher Haltung“wurde der hl. Hieronymus im Gehäuse auch von Albrecht Dürer interpretiert. In seinem Holzschnitt von 1492 sind in einem engen, rückseitig geöffneten Raum Attribute seiner Gelehrsamkeit versammelt; der Kirchenvater selbst verarztet allerdings liebevoll den Löwen, der dadurch zu seinem treuen Begleiter wird.

Dass Dürer Carpaccios Gemälde 1506 in Venedig gesehen hat und dass es ihn zu einer anderen Sicht auf das Thema inspirierte, zeigt sein „St. Hieronimus im gehaiß“ von 1514, der zu den drei so genannten Meisterstichen gehört. Die Wirkungen des seitlich einfallenden Tageslichts und die kräftigen Schatten auf Boden und Gegenständen hat er meisterhaft in das Medium des Kupferstichs übersetzt. Auch die bühnenhafte Wirkung und die Organisation des Bildinventars durch eine, wie Panofsky sagt „elementare perspektivische Konstruktion“, der alle Gegenstände unterworfen werden bis hin zu dem Täfelchen mit dem Monogramm“ sind ein Hinweis darauf, dass Antonellos und Carpaccios Gemälde hier Pate gestanden haben. Dürers Komposition hat dann ihrerseits auf die italienische Malerei zurückgewirkt, vor allem auf Lorenzo Lotto.

 

zu 5. Giorgione