Dürers italienische Werke

1506 entstand ein Werk, das aufgrund seines Standortes in San Bartolomeo, der Kirche der Deutschen, bis zu seinem Verkauf an Kaiser Rudolf II. im Jahr 1606 in Venedig von Dürers Kunst künden sollte. Die Tafel, die er, wie die Signatur angibt, in fünf Monaten gemalt hat, folgt der Typologie der Sacra Conversazione. Das Thema steht in der Tradition des Rosenkranzbildes, das durch die Dominikaner und durch die 1475 in Köln gegründete Rosenkranz-Bruderschaft vor allem in Deutschland verbreitet worden war. Diesen Bildtypus aktualisierte und politisierte Dürer, indem er den regierenden Kaiser Maximilian I. und Papst Julius II. als Anführer der beiden Gruppen von Laien bzw. von Geistlichen darstellt, die sich um die in der Mitte unter einem Baldachin thronende Muttergottes und den hl. Dominikus als Erfinder des Rosenkranzgebets versammelt haben. Rechts im Hintergrund hat sich Dürer mit der Signaturtafel verewigt, von den porträthaft dargestellten Adoranten im Vordergrund können nur wenige mit Sicherheit identifiziert werden. Bei dem Auftrag handelte es sich um eine Stiftung der deutschen Kaufmannsniederlassung, die anscheinend durch die eng mit dem Kaiser liierten Fugger finanziert wurde. Eines der Vorbilder für die Komposition war Giovanni Bellinis Votivbild des Dogen Barbarigo von 1488, das sich in dieser Zeit in einer Kirche in Murano befand. Dürer übernahm von diesem Bild das Querformat, das für Votivbilder der Dogen üblich war, die Konstellation der vor Maria knienden Figur und den beidseitigen Ausblick auf eine Landschaft. Der Thronbaldachin, unter dem Maria sitzt, ist ein venezianisches Motiv, das schon so eingeführt war, dass ein genaues Vorbild nicht benennbar ist. 

Anders verhält es sich mit dem ebenfalls venezianischen Motiv des musizierenden Engels unterhalb des Throns, der auf den Engel in Bellinis Pala di San Zaccaria zurückgeht. Nach der Vollendung des Altarbildes schrieb Dürer an Pirckheimer, dass alle „Künstner“ es loben und sagen, „dass sie erhabner l(i)eblicher gemal(de) nie gesehen haben.“Gelobt wurde vor allem das heute durch spätere Restaurierungen verdorbene Kolorit. Selbst der Doge und der Patriarch kamen, um sich das Bild anzusehen. Für die Darstellung des Rosenkranzes gab es in Venedig noch keine Bildtradition. Das Neue an Dürers Bild ist, dass sich das bis dahin für den Bildtypus der Sacra Conversazione übliche ruhige und statische Beieinandersein der Bildfiguren durch die Verteilung der Rosenkränze belebt und differenziert. Schauplatz ist nicht der Kirchenraum, sondern eine weitläufige Landschaft mit einer reichen Vegetation. Dürers Gemälde wurde in Venedig bald zu einem Magnet für die Besucher.

In seinem Brief vom 23. September 1506, in dem er über die Vollendung der Tafel berichtet, schreibt Dürer, dass er auch ein anderes Bild („Quar“) vollendet habe „desgleichen ich noch nicht gemacht habe.“Vermutlich war damit die kompositorisch und stilistisch dem Rosenkranzfest sehr nahestehende Madonna mit dem Zeisig gemeint, deren Anordnung auf das Schema der halbfigurigen Marienbilder Bellinis zurückgreift, es aber um den Johannesknaben und einen Puttenengel erweitert, Motive, die auf Leonardo und auf den jungen Raffael verweisen. Der Landschaftsprospekt enthält links eine antikisierende (= italienische) Architektur, rechts dagegen spitzgiebelige nordische Fachwerkhäuser. Dem Maler, der sich in seiner Signatur als „germanus“ bezeichnet, ging es hier offensichtlich, wie auch im Rosenkranzfest, um eine Synthese zwischen der italienischen und der deutschen Manier. Ähnlich verhält es sich mit dem als „opus quinque dierum“ bekannten Gemälde Der zwölfjährige Jesus unter den Schriftgelehrten. Nach Aussage des gemalten Signaturzettels hat Dürer es 1506 innerhalb von nur fünf Tagen gemalt. 1959 fanden sich bei einer Restaurierung neben dem Monogramm Schriftspuren, die, gestützt auf weitere Bildquellen, als „F(ecit). Romae“ zu ergänzen sind. Gleichwohl bleibt der Romaufenthalt Dürers, der nur kurz gewesen sein kann, in der Forschung umstritten. Überliefert ist, dass er im Oktober 1506 beabsichtigte, nach Bologna zu reiten und diese Absicht anscheinend auch realisiert hat. Von hier aus könnte er über Florenz nach Rom weitergeritten sein, das, wie ein Brief belegt, eines seiner zuvor anvisierten Ziele war. Den Anlass dafür könnte der Tod seines römischen Grafik-Agenten geboten haben, dessen Schulden er mit dem in Venedig verdienten Geld begleichen musste. Künstlerische Reflexe des Florenz- und Romaufenthaltes lassen sich in Dürers späteren Werken erkennen. Eine besondere Rolle spielen in diesem Zusammenhang die Reminiszenzen an Leonardos Karikaturporträts, die das opus quinque dierum offenbart. Die Kenntnis von Leonardos Zeichnungen könnte Dürer aber auch schon früher über Pirckheimers italienische Kontakte erlangt haben. Dass es solche Bezugsquellen für seine Kenntnis italienischer Zeitgenossen gegeben haben muss, dokumentiert das 1495 detailgenau „kopierte“ Jesuskind aus einem Marienbild des Lorenzo di Credi. Als Vorbild für das opus quinque dierum kommt ein Bild von Cima da Conegliano in Frage, das die gleiche Thematik ebenfalls als Halbfigurenbild darstellt.

In Venedig stellte Dürer fest, dass seine Druckgrafik, für deren europäische Verbreitung er selbst unermüdlich sorgte, nicht nur Resonanz, sondern auch Nachahmer fand. Gegenüber Pirckheimer erwähnt er, dass er unter den Malern viele Feinde habe „und machen mein ding in Kirchen ab und wo sie es mügen.“Einer der Künstler, die schon vor 1506 einzelne Motive von Dürer übernommen haben, war Carpaccio. Welche Werke Dürer in den Kirchen Venedigs gesehen hat, die „seine ding“ d.h. seine Stiche kopierten, ist nicht mehr feststellbar. Ein anschauliches Beispiel dafür ist der zu großen Teilen auf seiner Druckgraphik basierende Zyklus des Leben Christi in der Scuola dei Battuti in Conegliano, der allerdings erst nach 1510 entstanden sein kann, da er auf den späteren graphischen Zyklen beruht.

Wie begehrt Dürers Druckgrafik in Italien war, beleuchtet der Bericht Vasaris in der Biographie des Stechers Marcantonio Raimondi, die einen Abriss der Geschichte des Kupferstichs nördlich der Alpen und der wichtigsten Stiche und Holzschnitte Dürers beinhaltet, die trotz ihrer Ungenauigkeitennicht ganz aus der Luft gegriffen sein dürfte: Raimondi habe auf der Piazza S. Marco ein Exemplar von Dürers Kleiner Holzschnittpassion gekauft, sie dann in fälscherischer Absicht kopiert und die Raubdrucke mit dem Dürer-Monogramm in den Handel gebracht. Dürer habe davon erfahren, sich auf den Weg nach Venedig gemacht und dort einen Prozess gegen ihn angestrengt, der damit endete, dass Raimondi auf das Monogramm verzichten musste. Belege für diese Vorgänge gibt es nicht. Vasari deutet andererseits an, dass es zwischen Dürer und Raimondi eine Art von Zusammenarbeit bei der Herausgabe der Stiche gegeben habe. Raimondi hat insgesamt 17 Blätter aus dem Marienlebenexakt reproduziertund mit dem gefälschten Monogramm AD versehen. In der Buchausgabe des Marienleben von 1511 hat Dürer daher dem Impressum einen Zusatz beigefügt, in dem er davor warnt, „Nachschnitte“ zu drucken oder zu verkaufen. Strafbar war das jedoch nur innerhalb des Reiches, in Italien konnte niemand belangt werden. Die Assimilation von Dürers Druckgrafik >L.XV.4 trug mit zur Herausbildung der als Manierismus bezeichneten Epoche der italienischen Malerei bei >L.XIV.11.

 

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