Florentiner im Veneto
Auf dem Gebiet der bildenden Kunst blieb Venedig länger als andere italienische Zentren dem byzantinischen Einfluss verhaftet. Erste Impulse zur künstlerischen Modernisierung lassen sich im 14. Jahrhundert an der skulpturalen Ausstattung des Dogenpalastes und der Fassaden von San Marco festmachen. Der formale Einfluss der „Internationalen Gotik“ verdankte sich vor allem Künstlern aus der Toskana und aus Padua. 1365 hatte der Paduaner Maler Guariento in der Sala del Maggior Consiglio eine monumentale Marienkrönung gemalt, die 1577 dem Brand zum Opfer fiel und an deren Stelle Tintoretto 1588 eine gigantische Vision des Paradieses gemalt hat >L.XVI.11. Nach 1405 verstärkte sich der Zustrom von Künstlern aus der terraferma und zwar auch auf dem Gebiet der Malerei. Für die 1409 durch den Maggior Consiglio beschlossene Ausmalung des Dogenpalastes wurden mit Michelino da Besozzo,Pisanello und Gentile da Fabriano angesehene Künstler berufen, die das auf die Geschichte Venedigs bezogene ikonographische Programm der Sala del Maggior Consiglio in große historische Kompositionen umsetzten. Ihre in Freskotechnik ausgeführten Malereien wiesen jedoch schon 1456 größere Schäden aufund wurden daher ab 1474 durch Leinwandgemälde ersetzt, die dem früheren Bildprogramm folgten. Mit Gentile und Giovanni Bellini übernahmen nun venezianische Künstler diese Aufgabe. Der hier erstmalig in größerem Umfang eingesetzte Bildträger Leinwand (tela) sollte in Venedig die Zukunft der Malerei bestimmen. Der von den Bellini ausgeführte Historienzyklus, den Vasari noch mit eigenen Augen sah, wurde durch zwei Brände (1574 und 1577) vollständig zerstört. Aus diesem Grund ist das Bild, das man sich heute von der venezianischen Malerei des 15. Jahrhunderts machen kann, sehr lückenhaft.
Zwischen 1425 und 1431 lebte der Florentiner Paolo Uccello in Venedig, wo er als Mosaizist in S. Marco dokumentiert ist. Nach ihm hielt sich von ca. 1440 bis 1444 Andrea del Castagno in Venedig auf. Er wird mit jenem „Andrea de Florentia“ identifiziert, der 1442 zusammen mit „Francesco de Faventia“ die Apsisfresken der Cappella San Tarasio in S. Zaccaria signiert hat. Hierbei handelt es sich um Einzelfiguren, die ohne Beiwerk in das kleinteilige Rippengewölbe gestellt sind, die sich aber durch einen expressiven Realismus auszeichnen, der ihre Florentiner Herkunft verrät. Castagno gilt außerdem, wenn auch nicht unwidersprochen, als Entwerfer der Mosaiken Heimsuchung Mariae und Tod Mariae in der Cappella dei Mascoli in S. Marco, deren übriger Dekor von dem venezianischen Maler Michele Giambono stammt. Nicht nur die Komposition, sondern auch die architektonische Kulisse und das dekorative Beiwerk sind florentinisch geprägt und weisen in ihrem kraftvollen Realismus enge Parallelen zu den Florentiner Werken Castagnos auf. Auf Florentiner Vorbildern beruht auch der marmorne Altar der Kapelle, dessen Statuen den Einfluss Lorenzo Ghibertis zeigen.
Wie andere Gruppierungen von in Venedig ansässigen nationi verfügten die Florentiner Kaufleute seit 1435 über eine eigene Bruderschaft, die in einem ihren Bedürfnissen dienenden Gebäude (scuola) residierte. 1436 erhielt die scuola dei fiorentini eine Kapelle in S. Maria dei Frari zugesprochen, die sie 1443 in Besitz nahmen. 1437 wandte sie sich an Cosimo de’Medici mit der Bitte um finanzielle Unterstützung. Vermutlich in diesem Zusammenhang entstand die 1438 datierte und signierte Holzfigur Johannes des Täufers, der Patron der Bruderschaft war. Ob dieses Werk, das in Florenz entstand, ursprünglich den Altar der Kapelle oder einen Raum der scuola schmückte, ist nicht geklärt. Ein wesentliches Merkmal der farbig gefassten hölzernen Figur ist ihr Naturalismus, der die Deformation des Gesichtes als ein Mittel zur Intensivierung des Ausdrucks einsetzt >L.V.6. Seinen wichtigsten Beitrag zum Durchbruch der Renaissance in Venedig und im Veneto leistete Donatello dann zwischen 1445 und 1453 mit seinem aus sieben Statuen und 21 Reliefs bestehenden bronzenen Hochaltar des Santo in Padua, den er innerhalb von nur vier Jahren vollendete >L.XIV.1. Die figürlichen Teile des 1579 demontierten Altares wurden 1895 neu installiert und seitdem hält die Diskussion über die ursprüngliche Anordnung des figürlichen Apparates an >L.VI.6.
Sein gleichzeitig in Padua entstandener Gattamelata ist das erste als freistehendes Denkmal konzipierte Reiterstandbild der Nachantike, das auf einem öffentlichen Platz errichtet wurde und das ursprünglich wohl auch als „sepoltura“ (Grablege) diente. Der hohe, ebenfalls von Donatello entworfene Sockel ist in Anlehnung an antike Vorbilder mit zwei Reliefs wappenhaltender Genien und zwei marmornen Scheintüren geschmückt. Der in antikisierender Rüstung und barhäuptig dargestellte Heerführer (condottiere), der Generalissimus der venezianischen Republik war, evoziert trotz seiner realistisch gestalteten Physiognomie antike Vorbilder in der Art des Marc Aurel auf dem römischen Kapitol. Seine Gestik und die gelassene und doch beherrschte Pose, in der sich „überlegte Handlung und überlegte Ruhe“ manifestiert, sind Merkmale seiner virtus.
Martialisch und theatralisch tritt dagegen das vier Jahrzehnte später geschaffene Reitermonument des Bartolomeo Colleoni auf, der als Generalkapitän ebenfalls im Dienst der Republik Venedig gestanden hatte. Als Sieger eines von der Republik Venedig ausgeschriebenen Wettbewerbs erhielt der Florentiner Andrea del Verrocchio 1483 den Auftrag zu diesem Denkmal, von dem er nur noch das lebensgroße Tonmodell vollenden konnte. Nach seinem Tod (1488) wurde es samt dem Piedestal durch Alessandro Leopardi vollendet. Mit dieser auf dem Platz vor der Kirche Santi Giovanni e Paolo wirksamen platzierten Inszenierung von gewaltbereiter Macht wurde der Colleoni zum Prototypus vieler späterer Reitermonumente. In vollem Harnisch und mit gespannter Energie stemmt sich der Reiter in den Sattel und vermag das vorwärts drängende Pferd kaum zu bändigen. Künstlerisch, aber auch technisch setzten der Gattamelata und der Colleoni neue Maßstäbe für die monumentale Plastik Oberitaliens.
Vom hohen Können der Bronzebildner des Veneto zeugen auch die beiden monumentalen Figuren Adam und Eva von Antonio Rizzo, die um 1483 neben dem Arco Foscari des Dogenpalastes aufgestellt wurden. Ihr naturalistischer und zugleich monumentaler Duktus ist dem Vorbild Donatellos und Mantegnas verpflichtet, d. h. den beiden Künstlern, von deren Tätigkeit im Veneto die wichtigsten Impulse zur „Modernisierung“ der venezianischen Kunst ausgingen.