Die Malerfamilie Bellini

Ein Maler namens Jacopo de Venetiis „olim famulus et discipulus“ von Gentile da Fabriano wurde 1425 in Florenz aktenkundig, weil er sich mit einem jungen Florentiner angelegt hatte, der die Werke seines Meisters im Hof von dessen Studio mutwillig beschädigt hatte. Es gilt als sicher, dass es sich bei ihm um Jacopo Bellini, den Vater von Gentile und Giovanni handelte, der seinem Meister zunächst nach Brescia und später nach Florenz gefolgt war, wo dieser die Anbetung der Könige für Palla Strozzi und andere Aufträge für hochgestellte Patrizierfamilien ausführte. Jacopo Bellinis Aufenthalt in Florenz, der bis 1426 dauerte, als Gentile da Fabriano sich nach Rom begab, wird durch zwei großformatige Zeichnungs-Alben dokumentiert, die eigene Studien, Kompositionen und auch Kopien nach anderen Werken, sogenannte ricordi, vereinen. Der Künstler vermachte sie später seiner Frau, die sie ihrerseits an Gentile weitergab. Dieser wiederum überließ eines der beiden Bücher 1507 seinem Bruder Giovanni (heute London, British Library), nachdem er das andere (heute Paris, Louvre) dem Sultan Mehmet II. >ABB L.II.5 geschenkt hatte, an dessen Hof ihn die Republik Venedig 1479 entsandt hatte. Die in den beiden Büchern enthaltenen Zeichnungen zeigen, dass sich Jacopo in Florenz eine mit der Zentralperspektive verknüpfte und ihr unterworfene Figurenregie aneignete, die bei ihm immer etwas schematisch bleibt. Die dominierende Rolle der Architektur, die durch ihre Struktur und Gliederung die Bildgestaltung bestimmt, verweist vor allem auf Lorenzo Ghibertis Reliefs der Porta del Paradiso, ein Werk, das in den Jahren von Jacopos Aufenthalt in Florenz begonnen wurde. Nach dem Tod von Gentile da Fabriano (1427), nach dem er seinen ältesten Sohn benannte, kehrte Jacopo in seine Vaterstadt zurück, und konnte sich hier, auch dank auswärtiger Aufträge für den Hof von Ferrara und für Verona, Brescia und Padua eine angesehene Stellung erringen. Ob und wie viele seiner figurenreichen Kompositionszeichnungen Vorarbeiten für Gemälde waren, ist unsicher, da sich von seinem malerischen Schaffen nur wenig erhalten hat. Sein größtes Verdienst wird darin gesehen, dass er seine beiden Söhne ausgebildet hat, denen das von ihrem Vater zusammengetragene Repertoire an Motiven und Erfindungen eine tragfähige Grundlage zur Einführung von epochalen Neuerungen in der Malerei Venedigs gab.

Neben dem Porträt, für das sich neue Typologien etablierten, die sich aus dem Kontakt mit der niederländischen Porträtmalerei erklären, entstand in den letzten Jahrzehnten des 15 Jahrhunderts in Venedig die eigenständige Bildgattung des vielfigurigen Historienbildes im Breitformat. Auftraggeber dieser auf Leinwand gemalten Bilder waren vor allem die sechs scuole grandi, die ihre Versammlungsräume mit ganzen Zyklen ihrer Heiligenpatrone ausmalen ließen. Diesen Aufträgen verdankten nicht nur die Brüder Bellini, sondern auch andere Maler, vor allem Vittore Carpaccio, ihre Karriere und ihr Ansehen. Auch wenn nichts über Carpaccios Werdegang und seine Lehrer bekannt ist, gibt es zahlreiche Berührungspunkte mit Gentile Bellini, wie sich besonders an den Leinwandbildern(teleri) mit dem Zyklus der Kreuzeswunder zeigt, den die Scuola di San Giovanni Evangelista bei mehreren venezianischen Malern in Auftrag gab.

Gentile Bellini, der als Maler offiziell im Dienst der Republik Venedig stand und in dieser Funktion eine nicht erhaltene Serie von Dogenporträts malte, gilt auch als Erfinder der autonomen Venedig-Vedute, da er während seines Aufenthaltes am osmanischen Hofe in Istanbul eine nicht erhaltene Ansicht von Venedig gemalt haben soll. Zu welcher Genauigkeit er es in der topographischen Wiedergabe gebracht hat, zeigt das größte seiner drei Bilder aus der Kreuzeslegende, das auf der realitätsgenau wiedergegebenen Piazza San Marco mit der Fassade der Markuskirche spielt. Der jüngere Carpaccio war der phantasie- und kraftvollere der beiden Maler, wie der Vergleich seiner 1494 entstandenen Szene der Heilung eines Besessenen durch die Kreuzreliquie mit Gentile Bellinis kompositionell ähnlich aufgebauter Bergung der Reliquie zeigt, die 1500 entstand. Fasziniert Carpaccios Gemälde durch den narrativen Reichtum der Details, und seine malerische Brillanz und Lebhaftigkeit, so konzentriert sich Gentile Bellini auf das genaue „Porträtieren“ der Stadt und der Personen, die in statischen Posen dem hier dargestellten Ereignis assistieren, das sich in der Nähe der Brücke von San Lorenzo abspielte. Im rechten Vordergrund des Bildes knien – abgesetzt von allen anderen Gruppen − fünf Männer, in deren Profilansichten die Bildnisse der Familie Bellini vermutet wurden, eine Ansicht, die jedoch nicht allgemein akzeptiert ist. Unabhängig von diesem umstrittenen Beleg für die öffentlich zur Schau getragene Geschlossenheit der Familie Bellini weist eine überlieferte Gemeinschaftssignatur darauf hin, dass Jacopo und seine beiden Söhne um 1460 eine gemeinsame Werkstatt unterhielten.

Giovanni, der jüngere der beiden Brüder, ist anfänglich vor allem als Maler kleinfiguriger Marienbilder fassbar. Zu seinen ersten komplexeren Bildkompositionen zählen zwei Gemälde, die seine stilistische Auseinandersetzung mit Andrea Mantegna dokumentieren. Sie war eine Folge von dessen Heirat mit Nicolosia, der Schwester der beiden Bellini-Brüder im Jahr 1453. Das erste dieser beiden Gemälde, ein Gebet Christi im Ölberg, lehnt sich sowohl an eine Predellentafel im Altar für San Zeno in Verona (1457–1460) an, wie auch an ein weiteres Gemälde dieses Themas, das Mantegna etwa gleichzeitig gemalt hat. Mantegnas Gemälde ist das an Handlung und Spannung reichere Bild und fügt sich nahtlos in seine damalige Stilsprache ein, während Bellini die stimmungsvolle Morgendämmerung in der weiten und durch Figuren und Häuser belebten Landschaft wiedergibt. Die kompositionelle Quelle für beide Maler war vielleicht eine Zeichnung in Jacopo Bellinis Londoner Album. Angesichts dieser Konstellation scheint es möglich, dass die Bilder der beiden Maler aus einer bewusst gesuchten Konkurrenz hervorgegangen sind. Ähnlich könnte sich auch die enge Beziehung von Bellinis um 1470 entstandener Darbringung Jesu im Tempel zu Mantegnas Gemälde des gleichen Themas erklären. Bellini fügte rechts und links je eine Gestalt hinzu und wählte insgesamt eine weichere Modellierung und ein wärmeres Kolorit. Hier kündigt sich bereits der meisterhafte Kolorismus an, der ihn nach 1470 zum Haupt der venezianischen Schule machen sollte. Als ein Auslöser für diesen Wendepunkt seiner Malerei galt für lange Zeit die Begegnung mit Antonello da Messina.

 

zu 4. Antonello da Messina in Venedig