Domenico Beccafumi

Als “Exzentriker“ gilt auch der Sienese Domenico Beccafumi,der laut Vasari gleichzeitig mit Lotto von 1510–1512 in Rom weilte und der ihn hier vielleicht auch kennen gelernt hat. Es gibt jedenfalls formale Berührungspunkte zwischen den Werken beider Meister, insbesondere in den Nachtlichtdarstellungen, die sich durch ihr leuchtendes Kolorit auszeichnen. Eine der Quellen dieser neuen Mode des Nachtbildes ist zweifellos Raffaels Darstellung der Befreiung Petri in der Heliodors-Stanze >ABB L.XIII.4, die jedoch erst nach Beccafumis Rückkehr nach Siena im Januar 1513 entstanden ist. Seine Stellung als führender Künstler der Stadt wird durch die sich über Jahrzehnte hinziehende Tätigkeit als Entwerfer der figürlichen Stein-Intarsien des Fußbodens im Sieneser Dom belegt. Außerdem malte er von 1529 bis 1534 das Gewölbe der Sala del Concistoro im Palazzo Pubblico von Siena aus. Thema der Bemalung sind die bürgerlichen und politischen Tugenden beziehungsweise deren Vertreter in der Antike. Als Quellen wurden die Texte antiker Autoren, wie Fabius Maximus, Cicero, verwendet. Die Verweise auf die gleichzeitige römische Malerei sind überall in Beccafumis Werk deutlich, sei es in den architektonischen Versatzstücken seiner Bildhintergründe oder in den Posen und Gewändern seiner Figuren. Besonders offensichtlich ist der Einfluss der Raffael-Loggien >L.XIII.7 mit ihren kontrastreichen und leuchtenden Farben und der kraftvollen, aber auch vereinfachenden und zeichenhaften Wiedergabe der Figuren. Für die Vermittlung der Kenntnis von Raffaels nach 1512 entstandenen Werken, die Beccafumi nicht mehr aus eigener Anschauung kennen konnte, kommen seine Sieneser Landsleute in Frage, die wie Peruzzi und Sodoma zwischen Siena und Rom pendelten. Außerdem scheint Beccafumi 1519 und 1541 weitere Romreisen unternommen zu haben und war Vasari zufolgean der Ausmalung der villenartigen Residenz des Andrea Doria in Fassolo vor den Toren Genuas beteiligt, die unter der Leitung des Raffael-Schülers Perino del Vagas stand >L.XV.6. Der Aufenthalt Beccafumis in Genua wird heute in die Jahre 1533–1534 datiert. Seine dortigen Arbeiten lassen sich jedoch nicht mehr nachweisen, was mit den Substanzverlusten zu erklären ist, die die Ausmalung dieser ehemals prächtigen Residenz erlitten hat, die Künstler aus ganz Italien anzog. Beccafumis Vorliebe für grelle und kontrastreiche Farbeffekte, übertriebene Bewegungen und Perspektiven führte zu einem sehr individuell geprägten Stil, vor allem in den Körperproportionen und Gesichtern. Hier gibt es Berührungspunkte mit den Florentiner Manieristen >L.XV.4, XV.5. Auch wenn er während seines dreißigjährigen Wirkens in Siena über die in Rom aufgenommenen Anregungen nicht hinausgegangen ist, fand er in Siena ein reiches Betätigungsfeld, um einen unverkennbar eigenen Stil zu entwickelnund zugleich auf die Unterschiedlichkeit der Aufgaben einzugehen. Als sicherer und phantasievoller Zeichnerverfügte er souverän über verschiedene Stilmodi, wie sich vor allem in seinen sakralen Arbeiten zeigt, etwa den Intarsienbildern im Fußboden des Sieneser Doms, die näher am Vorbild Raffael bleiben. Vasari, der seinen zurückgezogenen Lebensstil und seine christlichen Prinzipien betont, nennt seinen Stil „capriccioso“ (kapriziös) und lobt besonders das nach seinen Entwürfen gefertigte monumentale Intarsienbild im Fußboden des Sieneser Doms mit den Geschichten Mosis und die Fresken des Palazzo Pubblico, die er ausführlich beschrieben hat. Die Altartafel mit dem Hl. Michael als Bezwinger Luzifers faszinierte ihn wegen der Lichteffekte und der erfindungsreichen und kapriziösen Komposition, die sich Vasari selbst 1540 bei der Konzeption eines eigenen Altarbildes – der Allegorie der Immaculata Concezione in Santi Apostoli in Florenz – zunutze gemacht hat. Beccafumis letztes Werk waren acht bronzene Leuchterengel für den Hochaltar des Sieneser Doms, die er 1547 vollendete. Dass er seine führende Stellung in Siena so lange behaupten konnte, hing nicht nur mit seiner Vielseitigkeit zusammen, sondern war der langen politischen Selbständigkeit der Stadt geschuldet. Sein Kolorit und sein artifizielles Schönheitsideal sollten die Sieneser Malerei noch während der nächsten 50 Jahre prägen.

 

zu 5. Giulio Romano in Mantua