Die oberitalienischen Anfänge des Nachtbildes

Romanino partizipierte auch an der Gattung des Nachtbildes, das sich nach Raffaels Fresko der Befreiung Petri in den Stanzen >L.XIII.5 zu einer eigenen, sehr geschätzten Bildgattung entwickelte. Zwischen 1521 und 1524 malte er für die Kirche S. Giovanni Evangelista in Brescia einen Hl. Matthäus mit dem Engel, der seine nächste zeitliche und formale Parallele in der seit 1746 in Dresden befindlichen Anbetung der Hirten von Correggio findet. Er ist motivisch der „Zwillingsbruder“ des Hirten, der in Correggios Bild am linken Bildrand steht. Gewandbehandlung, Profil und die flackernden Lichteffekte sind so verwandt, dass Romaninos Gemälde als frühester direkter Reflex von Correggios Bild gilt, das eines der ersten großformatigen Altargemälde war, in denen die Geburt Christi als nächtliches Ereignis dargestellt wurde. Auch wenn die Datierung nur vage auf die Jahre zwischen 1522 und 1530 eingegrenzt werden kann, bezeugt das berühmte Gemälde Correggios prägende Rolle für die Entwicklung des Nachtbildes. Bestätigt wird dies durch das früheste bisher bekannte reine Nachtbild in der italienischen Malerei, eine Darstellung der Judith mit ihrer Magd, das ebenfalls von Correggio stammt und das um 1514 entstanden ist. Möglicherweise gab es aber bereits eine vielleicht auf nordische Wurzeln zurückgehende venezianische Tradition für die Darstellung der Geburtsszene als Nachtbild. Dies ergibt sich aus einem Brief von Isabella d'Este, die 1509 versuchte, eine Nocte aus Giorgiones Nachlass zu erwerben, was ihr jedoch nicht gelang.

Die Entstehung der Nachtbilder, deren Wirkung auf dem Reflex von Licht auf Körpern und Flächen von unterschiedlicher Farbigkeit beruht, scheint von Leonardos Beobachtungen über Licht und Schatten und über die von ihnen bewirkten Veränderungen der Farben die Versuche der Maler mit den Wirkungen des Nachtlichts beeinflusst. Aus der Beobachtung der Lichtbrechung und der Phänomene der Spiegelung von Luft und der Mischung von Schatten und Licht entwickelte er die Hilfsmittel, die es dem Maler ermöglichen sollten, die natürlichen Licht- und Schattenverhältnisse zu berechnen und durch seine Malerei zu imitieren. Die von Leonardo erstmalig aufgezeichnete empirische Überprüfbarkeit der Veränderung von Farben und Formen durch die Art und durch die Intensität der Lichtquelle ist als eine der wichtigsten Neuerungen der Malerei des 16. gegenüber dem 15. Jahrhundert anzusehen. Sie war zugleich eine wichtige Voraussetzung für den von den Malern beanspruchten Primat der Malerei gegenüber der Skulptur >L.XV.7. Tatsächlich ist die Hervorbringung von Licht und Schatten durch die Malerei in Leonardos Schriften neben der Perspektive der zentrale Punkt in der Tätigkeit des Malers, durch die er sich über den Bildhauer stellt. Während das plastische Bildwerk des natürlichen Lichts und Schattens bedarf, um zu wirken, kann der Maler Licht und Schatten mit Farbe so nachahmen, dass es erscheint, als ob es sich um natürliche Phänomene handelt. Nachtbilder müssen demnach auch als Zeugnisse der künstlerischen Virtuosität gesehen werden, was ihre zunehmende Beliebtheit im 16. Jahrhundert erklärt. Zum Erfolg derartiger Versuche trugen vermutlich neue maltechnische Möglichkeiten und Materialien bei, so etwa die Verwendung von geeigneten Pigmenten, darunter das leuchtendgelbe „giallorino“, dessen Herstellung erstmalig in einem Bologneser Malbuch des 15. Jahrhunderts beschrieben worden war und das sowohl in den Raffael-Loggien wie auch von Beccafumi und von Correggioverwendet wurde.

 

zu 10. Correggio und Rom