Die Florentiner Villen und Giuliano da Sangallo
Als Villa wird ein zum ländlichen Aufenthalt geeignetes Anwesen bezeichnet, das sowohl Bauten umfasst, die für die Bewirtschaftung durch Pächter und Bauern (casa da contadino) geeignet sind, wie auch ein Haus (casa da signore), das dem padrone, also dem der städtischen Oberschicht angehörenden Eigentümer, zum geselligen und komfortablen Sommeraufenthalt (villeggiatura) diente. Für Florenz ist es bezeichnend, dass diese Landsitze in den die Stadt umgebenden Hügeln liegen, die im Kern oft auf mittelalterliche Turmkastelle oder auf einfache Landhäuser zurückgingen, von der Stadt aus schnell und sicher erreichbar waren. Dank der Domkuppel >L.IV.2 und des Turms des Stadtpalastes blieb das Weichbild der Stadt von den meisten Landsitzen aus sichtbar, ein Umstand, dem eine strategische Dimension zukommt. Wegen ihrer kastellartigen Befestigung hat sich für diesen Villentyp der Begriff der Villa-Castello eingebürgert. Als charakteristisches Beispiel dafür ist die Villa von Careggi zu nennen,die seit 1417 den Medici gehörte. In den folgenden Jahrzehnten wurde sie von Michelozzo den neuen Bedürfnissen angepasst und zu einem „pallatio bellissimo“ transformiert, dem Galeazzo Maria Sforza, der Markgraf von Mantua, bei seinem Besuch im Frühjahr 1459 größtes Lob zollte.
Wie keine andere Villa der Medici wurde Careggi zum Inbegriff und Symbol ihrer Macht. Sie war nicht nur über drei Generationen hinweg ihre bevorzugte Sommerresidenz, sondern war als Sitz der von Lorenzo de’Medici gegründeten Accademia Platonica – einer Vereinigung von Florentiner Humanisten und Künstlern, die für den geistigen Gehalt der villeggiatura sorgten – auch das geistige Zentrum ihrer Herrschaft in Florenz. Das erklärt, dass diese Villa nach der zweiten Vertreibung der Medici (1529) geplündert und zerstört wurde. Dabei blieb zwar die architektonische Struktur im Wesentlichen erhalten, die gesamte Innenausstattung ging jedoch verloren. Der markanteste Teil der aus einem massiven Kernbau mit innerem Arkadenhof und einem dekorativen Zinnenkranz bestehenden Anlage sind die beiden kurzen Gartenflügel mit Loggien im Erdgeschoss sowie die im ersten Geschoss des südlichen Anbaues gelegene Altane, die wegen der ionischen Ordnung ihrer Säulchen als „ionische Loggia“ bezeichnet wird. Früher Michelozzo zugeschrieben, gilt sie heute als Werk von Giuliano da Sangallo.
Giuliano da Sangallo (1443–1516) war der bedeutendste Architekt in der Generation der um 1440 Geborenen und konnte sich zeitlebens der Protektion der Medici erfreuen. Er war der Bruder des älteren Antonio (1455–1534), der vor allem als Architekt der Kirche Madonna di S. Biagio in Montepulciano bekannt ist. Sein Neffe war Antonio da Sangallo der Jüngere (1484–1546), der hauptsächlich in Rom gewirkt hat >L.IX.8. Eines von Giulianos frühesten Werken ist die über der Grundform des griechischen Kreuzes angelegte Kirche S. Maria delle Carceri in Prato (1485–1492), deren Finanzierung Lorenzo de’ Medici übernommen hatte. Seit seinem ersten Aufenthalt in Rom im Jahr 1465 hatte sich Giuliano intensiv mit dem Studium antiker Bauten beschäftigt und entwickelte auch bei den in Florenz ausgeführten sakralen Bauten eine deutlich an der Antike orientierte Formensprache. Dies zeigt sich vor allem am 1489 ausgeführten Vestibül der Sakristei von S. Spirito, das ein mit Kassetten ausgekleidetes Tonnengewölbe besitzt und am Klosterhof von S. Maria Maddalena de’Pazzi, der nicht – wie bis dahin in Florenz üblich – aus einem Geviert von Arkadenloggien besteht, sondern aus einem Kolonnadenhof mit antikisierenden Kapitellen.
Giuliano da Sangallo war auch der Architekt einer weiteren Villa, die sich Lorenzo de’Medici ex novo und unter direktem Rückgriff auf antike Vorbilder nach 1485 in Poggio a Caianoerrichten ließ. Mit diesem Bauwerk wurden sowohl in der Typologie der Villa wie im Formenrepertoire neue Maßstäbe gesetzt. Schriftliche Quellen des frühen 16. Jahrhunderts geben an, dass die Idee der Anlage auf den Bauherrn zurückzuführen ist. Lorenzos Interesse für die Architektur war durch Bernardo Rucellai bereits in jungen Jahren geweckt worden. Während seines Aufenthaltes in Rom (1472), bei dem ihn Leon Battista Alberti begleitet haben soll, erhielt diese Neigung neue Impulse. Obwohl die Villa beim Tode ihres Bauherrn (1492) nicht vollendet war, wurde bis 1494 ohne größere Planänderungen weiter an ihr gebaut. Welche Bedeutung man diesem Bau beimaß, wird daran deutlich, dass die Pläne und die plastischen Modelle zum Teil auch kopiert und an andere Höfe geschenkt wurden, so etwa 1492 an Ludovico il Moro in Mailand. Nach 1512 kümmerte sich Papst Leo X. persönlich um die Vollendung des von seinem Vater begonnenen Projekts, so dass die Anlage einschließlich wesentlicher Teile der Innenausstattung durch prominente Maler (Andrea del Sarto, Pontormo) bei seinem Tod (1521) im Wesentlichen abgeschlossen war.
Die beiden bedeutendsten Neuerungen der Villa sind das nach dem Vorbild antiker Villen gestaltete und mit einer umlaufenden Arkatur versehene Podium (basis villae), auf dem der blockhafte Bau ruht, und der mit einem all’antica gebildeten Tempelgiebel bekrönte Vorbau der Hauptfassade. Vermutlich geht diese originelle Idee auf Lorenzo de’Medici zurück. Berühmt vor allem wegen des Frieses in weissblauer Maiolica, der von Luca della Robbia ausgeführt wurde, ruht das Tympanon auf einer eleganten fünfachsigen Kolonnade, die das in den Baukörper einschneidende Vestibül abgrenzt. Obwohl die Proportionen und das architektonische Vokabular dieser „Tempelfront“ nicht dem antiken Kanon entsprechen, begann mit dieser Verbindung zwischen Villa und Tempel ein neues Kapitel in der Geschichte der Villenarchitektur, in dem einige Jahrzehnte später Palladio die Führung übernehmen sollte.