Planänderungen nach Bramantes Tod
Die Fixpunkte für den Weiterbau war die bei Bramantes Tod (11.3.1514) mit Scheidbögen und Pendentifs versehene Vierung, mit denen die Proportionen des Bauwerks definitiv festgelegt waren, sowie die große gekuppelte toskanische Pilasterordnung, die den Chor Nikolaus’ V. >L.IX.6 umschloss. Gemessen an den monumentalen Vierungspfeilern waren die Proportionen und die Außengliederung des Westchores missglückt. 1585 musste er dem von Michelangelo für Nord- und Südarm konzipierten Typus des verschliffenen Chores weichen, dessen Außengliederung das Motiv der großen Pilasterordnung aufgriff, sie jedoch als gleichermaßen elastische wie fest gefügte Umkleidung des gewaltigen Baukörpers gestaltete. Bramantes Chorummantelung bestand aus kolossalen und gekuppelten Pilastern, die in rhythmischem Wechsel eine dreigeschossige schmale Travée mit halbrund geschlossenen Nischen und eine zweigeschossige breitere Travée mit Aedikula-Fenstern einrahmen.
Ein Grund für die vielen Planänderungen nach Bramantes Tod waren die statischen Schwierigkeiten, die das Terrain bereitete. Bereits wenige Jahre später mussten die Fundamente eines Vierungspfeilers nachgebessert werden. Serlio beklagte, dass Bramante zwar kühn, aber wenig behutsam gewesen sei. Condivi, der Biograph Michelangelos, kritisierte die Verwendung von schlechtem Baumaterial, das auch im weiteren Verlauf der Baugeschichte immer wieder zu Problemen führte. Kaum weniger nachteilig für das Ganze war der Umstand, dass es kein verbindliches dreidimensionales Modell gab, nach dem gebaut wurde. Daher bemühten sich die auf Bramante folgenden Architekten Raffael, Antonio da Sangallo d.J. und Baldassare Peruzzi lediglich um eine ihrem Stil und Vorstellungen entsprechende Interpretation der Intentionen des ursprünglichen Projektes. Raffael, dem Leo X. 1514 gemäß dem Wunsch Bramantes die Bauleitung übertragen hatte, war von den experimentellen Möglichkeiten, die sich durch die noch nicht bis in Einzelheiten festgelegte Planung der Basilika eröffneten, offensichtlich fasziniert. Ein Brief, den er am 1. Juli 1514 schrieb, bringt dies anschaulich zum Ausdruck. Das Bewusstsein eines schier unerschöpflichen Kapitals für den Bau und die Freiheit zum Experimentieren führten dazu, dass Raffaels Beitrag zu St. Peter getreu dem Vermächtnis Bramantes darin bestand, dessen Planung wieder in vollem Umfang aufzugreifen. Das Ergebnis war ein von Sebastiano Serlio veröffentlichter Grundriss, der auch den Chor mit einem Umgang versieht. Nach dem Tod Raffaels (1520) und Leos X. (1521) veränderten sich die politische und die finanzielle Lage grundlegend. Der Bau der neuen Kirche verlor seine Priorität. Raffaels Amtsnachfolger war Antonio da Sangallo, ihm zur Seite stand als zweiter Architekt Baldassare Peruzzi. Er favorisierte erneut den Zentralbau mit fünf Kuppeln, dem er einen geräumigen hufeisenförmigen Säulenportikus vorlegen wollte. Bis 1536 wurde jedoch nur wenig gebaut.
Zwischen 1539 und 1546 wurde nach den Plänen Sangallos das gigantische Holzmodell konstruiert, das eine Verbindung von Zentralbau und Longitudinalbau vorsah, bei der das sehr schmale dreischiffige Langhaus eine Art Wurmfortsatz des Zentralbaues geworden wäre, der sich um eine sechste zentrale Kuppel gruppieren sollte. Dieses Missverhältnis wird durch beiden Türme kaschiert, die die Fassade verbreitern, während die kleinteilige Gliederung des Außenbaues mit einer dreigeschossigen Blendordnung die Dimensionen des Ganzen unübersichtlich macht. Ein die Raumwirkung verbessernder Eingriff Sangallos war die Erhöhung des Fußbodenniveaus um drei Meter (3,20 m), so dass Bramantes hohe Postamente verschwanden. Nicht nur die Lichtverhältnisse und die Proportionen der Bauglieder verbesserten sich so, sondern es wurde auch Raum für die Grotten unter der Kirche gewonnen, die viele der Grabstellen früherer Päpste aus der konstantinischen Basilika aufnehmen sollten. Außerdem ließ er 1538 eine Trennmauer, den sogenannten muro divisorio errichten, der die Baustelle von dem weiterhin genutzten Langhaus der alten Basilika abtrennte. Als Sangallo 1546 starb, war die Kassettenwölbung der Südtribuna vollendet. Den damaligen Zustand des Bauwerks verdeutlicht die Vedute in Vasaris Fresko in der Sala dei Cento giorni in der Cancelleria von 1545. Das Thema dieses Bildes ist programmatisch, denn es lautet: „Paul III. befiehlt den Weiterbau von St. Peter“. Die Baustelle im Hintergrund erscheint hier nicht mehr so verwahrlost wie in den Zeichnungen von Heemskerck. Man blickt auf den begonnenen Umgang des Südarmes und auf den provisorisch überdachten Westchor sowie auf die über einem Lehrgerüst gewölbten Vierungsbögen .