Der Neubau von St. Peter in Rom
Der Plan für die Vergrößerung und Vereinheitlichung des Vatikans hängt aufs engste mit dem Neubau von St. Peter zusammen, dessen Grundsteinlegung am 18. April 1506 erfolgte. Aus diesem Anlass wurde eine Medaille von Cristoforo Foppa, gen. Il Caradosso geprägt, die nicht die Eingangsseite zeigt, sondern den Blick auf die neue Chorpartie, mit der der Neubau begonnen wurde. Flankiert von zwei Chortürmen präsentiert sich ein Gebilde, dessen beherrschendes Merkmal eine riesige halbkreisförmige Kuppel ist, deren hoher Tambour von Säulen umstellt ist. Sie wird seitlich von zwei Nebenkuppeln flankiert, die die Räume in den Nebenachsen überfangen, während der Chorabschluss durch eine Halbkuppel gebildet ist, die sich an den mit einem Tempelgiebel versehenen quadratischen Corpus des Kuppelquadrats anlegt. Ihm ist eine schmale Kolonnade vorgelagert, in deren Mitte sich ein übergiebeltes Portal befindet. Die beschriebene Struktur korrespondiert mit dem berühmten Pergamentplan in Florenz, der in der Fachwelt als UA 1 (= Uffizi, Architettura, Inv. Nr. 1) bezeichnet wird. Sowohl der Plan, der als eigenhändige Zeichnung Bramantes anerkannt ist wie die Medaille überzeugte die ersten Bramanteforscher davon, dass dieses Projekt einen Zentralbau vorsah. Seit Geymüller wird der Pergamentplan daher spiegelbildlich zu einem Zentralbau ergänzt, obwohl er weniger als dessen Hälfte zeigt. Die neuere Forschung, die sich auf das umfangreiche Planmaterial stützt, das mit den Nachlässen Antonio da Sangallos und Giorgio Vasaris in die Uffizien gelangt ist, hat das Detailwissen über die Entwicklung der Projekte bereichert, bleibt aber weiterhin kontrovers. Die Geister scheiden sich an der Frage, ob der erste Entwurf Bramantes einen Zentralbau vorsah (Frommel, Satzinger, Niebaum), oder ob es sich von Anfang an um einen kompositen Bau handeln sollte (Thoenes 1994).
Bevor Bramante den Zuschlag für das Projekt erhielt, hatten sich auch andere Architekten mit der Neugestaltung der Basilika auseinandergesetzt. Fra Giocondo (1433–1515) entwarf einen riesigen und unförmigen Longitudinalbau, in den Mauerteile der konstantinischen Basilika integriert werden sollten, während Giuliano da Sangallo auf der Grundlage von Bramantes Pergamentplan einen ins Quadrat eingeschriebenen Zentralbau nach dem Fünfkuppelschema (sogenannte Quincunx) mit einer großen und vier kleinen Kuppeln konzipierte, dem der Pergamentplan UA 1 zugrundeliegt. Bramante skizzierte mit Hilfe einer Durchzeichnung just auf der Rückseite desselben Blattes eine Variante, die Giuliano da Sangallos Grundidee zum Longitudinalbau umdisponierte. Die Vorbilder für beide Varianten hat er ebenfalls auf dieses Blatt skizziert, nämlich den Grundriss des Mailänder Doms (unten) als Basilika über einem lateinischen Kreuz und eine der Umgangskonchen des Zentralbaues von S. Lorenzo in Mailand (oben rechts). Als der bei der Grundsteinlegung maßgebliche Entwurf gilt heute die als UA 20 bekannte Zeichnung, die das früheste bekannte Beispiel eines maßstabgerechten Bauplans (1:300) ist, der über einer mit dem Lineal gezogenen Rasterung liegt. Der Chor Nikolaus’ V. wird hier zum ersten Joch des zweijochigen Chorarmes, ist aber in der Querachse aufgebrochen, um die Verbindung zu den Kuppelräumen in den Nebenachsen herzustellen. Aus dem Grundriss der frühchristlichen Kirche S. Lorenzo in Mailand ist die Idee der Chorumgänge für die drei gleich langen Arme des Chorbereiches entwickelt. Als Alternativlösung deutet die rechte Seite des Blattes einen geraden Querhaus-Abschluss und die Beibehaltung der Schiffsbreiten der alten Basilika an. Aufgrund der geringen Masse und Größe des nordöstlichen Kuppelpfeilers in der Vierung war sie jedoch kaum realistisch, da die lichten Maße bereits auf eine Kuppel von den später realisierten Dimensionen deuten.