Funktionalität & Qualität
Der Werbemarkt der 1920er Jahre lässt sich nach Karin Knop mit drei Schlagwörtern beschreiben: ‚Veralltäglichung‘ meint die Einpassung der Werbung in die (massenmediale) Lebenswelt der Menschen. ‚Verwissenschaftlichung‘ bezieht sich darauf, dass die Werbepsychologie nun die intuitive Arbeit an der Suggestion ersetzt. ‚Versachlichung‘ beschreibt die Konzentration auf die ökonomische Funktion. Gefördert werden sollte aber auch die gesellschaftliche Hoffnung auf eine Verbesserung der Lebenssituation und einen konstanten wirtschaftlichen Aufschwung (Knop 2008). Zigarettenwerbungen zielten, wie alle Werbungen, darauf ab, das Produkt durch strategische und systematische Beeinflussung zu verkaufen und dadurch zu popularisieren (Schug 2011). Die zahlreichen Zigarettenfabriken und -hersteller konkurrierten dabei um die Gunst der Käufer*innen und versuchten mit ihrer Werbung die ‚richtige‘ Zigarette an den Mann/an die Frau zu bringen. Wichtig war dabei die Reklamekunst, die sich in den 20er-Jahren zwischen Konstruktivismus, Bauhausstil und Art Dèco bewegte, wenn sich in der immer weiter ausdifferenzierenden Werbeästhetik überhaupt ein Stil festmachen lässt (Knop 2008). Es gab also keine verbindlichen und allgemein gültigen Gestaltungsstile. Verkauft werden sollte aber immer auch ein bestimmter Lebensstil. Je nach Zielgruppe und Produkt wurden auf unterschiedliche Formen der Darstellung zurückgegriffen, die von antiquiert anmutenden Motiven wie Medaillen, Löwen, Adlern bis hin zur Sachlichkeit reichten. So konnte Zigarettenwerbungen modern und frech oder aber gediegen und seriös wirken. Die Zigarettenkonzerne engagierten Graphiker wie etwa Ivo Puhonny (A. Batschari) oder Joseph Binder (Österreichische Tabakregie), zu deren Aufgaben es gehörte, Werbeentwürfe für die einzelnen Marken anzufertigen. Oft wurde in konstruktivistischer Manier auf ein einfaches geometrisches Formenvokabular zurückgegriffen, das Modernität und Sachlichkeit indiziert (Abb. 1).
Die Österreichische Tabakregie setzte auf wenig Text und großflächige Abbildungen, verfolgt allerdings eine traditionellere Linie. Die Marke Rosenkavalier wurde nach einer Oper von Richard Strauss benannt und greift auch in ihrer Werbestrategie auf eben diese Figur des Rosenkavaliers zurück, der rauchend vor einen roten Hintergrund mit Rosenornamenten platziert wird. Die Namen der Marken werden groß unter die Abbildungen gesetzt (Abb. 2).
Wesentlich war hier vor allem, den Markennamen in das Gedächtnis der Leser*innen zu rufen. Den Namen des gewünschten Produkts zu kennen war deshalb wichtig, weil man nicht allzu häufig in Selbstbedienungsläden Zigaretten kaufte. Man musste die Marke also benennen, statt nach einer Packung zu greifen. Außerdem wurden den Darstellungen lange Werbetexte beigegeben, die die vermeintliche qualitative Überlegenheit der eigenen Zigarettenmarke gegenüber anderen anpreisen sollten. Dabei geht es durchaus nicht immer um Stil, sondern diese Texte versuchen, rational-argumentativ die potenziellen Käufer für sich zu gewinnen und werben mit einem eigentümlichen Verständnis von Funktionalität/Qualität und Konsumgenuss:
„Die Batschari Rekord-Cigarette ist aus edelsten und ausgereiften Orienttabaken technisch und hygienisch vollendet hergestellt. Alle Wünsche geschmacksicherer Cigarettenraucher sind besonders berücksichtigt. Die Packung ist schlicht aber durchaus zweckmäßig. Alles für den Tabak, nichts für den Ausstattungsluxus. Das sind die Kennzeichen der Batschari.Rekord-Cigarette – Die Qualität wirbt!"
(Uhu, Bd. 4, Heft 11, S. 111)