Zwischen Republik und Hofkunst: Die Kunst in Florenz von 1510 bis 1575
In den ersten vier Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts war die Florentiner Kunst ebenso kontrovers wie die Florentiner Politik >L.VIII.5. Dennoch blieb das über Jahrhunderte aufgebaute künstlerische Potential der Stadt in erstaunlichem Maße immun gegen die politischen Verwerfungen, ja es profitierte sogar von den wechselnden Machtkonstellationen. Auf die lange und stetige rinascita des 15. Jahrhunderts folgte daher eine künstlerische Phase, in der sich die neuen sozialen und politischen Verhältnisse der Florentiner Gesellschaft des 16. Jahrhunderts spiegeln. Die politischen Kurswechsel förderten unterschiedliche künstlerische Präferenzen und belebten damit erneut den Wettstreit, dem Florenz seine künstlerische Hochkultur verdankte >L.V.6. Von einigen Künstlern ist bekannt, dass sie Anhänger der Republik waren. Zu ihnen gehörten Michelangelo, Andrea del Sarto, Pontormo und Bronzino, was die Letztgenannten nicht daran hinderte, nach dem definitiven Ende der Republik (1530) für die Medici zu arbeiten. Zwei historische Ereignisse des hier berücksichtigten Zeitraums hatten nachhaltige und belebende Auswirkungen auf die Kunst. Das erste war der Aufenthalt Papst Leo’s X. de‘Medici in Florenz (22.12.1515–19.2.1516), das zweite die Hochzeit von Francesco I de’Medici mit Johanna von Habsburg im Jahr 1565. Ein auffälliges Merkmal vieler Kunstwerke dieser Jahrzehnte ist die Konzentration auf eine in den Proportionen überdehnte Körperlichkeit, ein artifizielles Kolorit und die Dominanz des Nackten, und dies nicht nur in den profanen und mythologischen Sujets, sondern auch im sakralen Bereich. Parallel dazu behauptet sich jedoch eine in ihrem expressiven Gehalt moderate sakrale Malerei, die klassischen Mustern folgt und in der sich bereits die gegenreformatorischen Tendenzen ankündigen. Die Machtübernahme Cosimos I. de‘Medici im Jahr 1537 leitete die Amalgamierung und Gleichschaltung des Kunstgeschmacks ein. Skulptur und Malerei standen nun im Dienste eines absoluten Fürsten, der sich der politischen Funktion der Kunst bewusst war und sie gezielt für seine Interessen einsetzte. Signifikant dafür sind die Eingriffe in die Ausstattung der für die republikanische Zeit symbolträchtigen Sala del Maggior Consiglio, die zum höfischen Festsaal umgestaltet wurde. Die künstlerischen Symbole der ersten (1494–1512) und der zweiten Republik, die nur drei Jahre (1527–1530) gedauert hatte, wurden entfernt bzw. zerstört. Die mediceische Hofkunst fand ihre wichtigsten Protagonisten in Baccio Bandinelli (1493–1560), Benvenuto Cellini (1500–1571) und Agnolo Bronzino (1503–1572). Als Vasari 1554 zum Intendanten der mediceischen Kunstpolitik wurde, kamen jüngere Künstler zum Zuge, darunter die Bildhauer Bartolomeo Ammanati (1511–1592), und Giambologna (1529–1608).