Paläste römischer Prägung in Norditalien

Giulio Romanos Palazzo Te in Mantua ist der Markstein einer neuen Architektursprache, die auch nördlich der Alpen erfolgreich war. Die weitläufige Vierflügelanlage außerhalb der Stadtmauern verbindet Elemente der Palast- und der Villenarchitektur zum neuen Typus der freistehenden Sommerresidenz. Den rustizierten Außen- und Hoffassaden sind dorische Pilaster- bzw. Säulenordnungen vorgeblendet, die über die gesamte Höhe reichen und deren Abfolge auf den verschiedenen Fassaden leicht variiert. Dieses an musikalische Kompositionen erinnernde Spiel mit der Variationwird von Überraschungseffekten begleitet, wie den scheinbar aus dem Verband gerutschten Schlusssteinen der Fensterrahmungen oder den fallenden Triglyphen des dorisch-toskanischen Gebälks. Den Zugang zu dem wuchtigen, nur eineinhalb Geschosse umfassenden Baukörper gewähren drei Vestbüle, die in den Hof führen. Der zum Garten sich öffnende Westflügel erinnert mit seiner aus der Serliana gebildeten Schauwand, aus der das Tympanon der Mittelloggia herausragt, an antike Kaiservillen in der Art der Villa Hadriana in Tivoli.

Während sich Rom 1527 im Würgegriff der kaiserlichen Truppen befand >L.VIII.8, exportierten Kommittenten und Architekten die dort entwickelten Muster des Palastbaues in die Zentren des Nordens. Als Meister der Übernahme und Anpassung der römischen Typologie an lokale Traditionen gelten Michele Sanmicheli (1484–1559) und Jacopo Sansovino. Sanmicheli errichtete ab 1530 in seiner Heimatstadt Verona mehrere imposante Paläste (Canossa, Bevilacqua, Pompei), die das römische Vokabular der Palastgestaltung übernehmen, die einzelnen Elemente aber mit individuellen und lokalen Eigenarten kombinieren. Das piano nobile wird durch flache Doppelpilaster, bzw. Halb- oder Vollsäulen auf hohen Piedestalen, durch Balkone mit Balustern, oder durch rhythmisierte Fensterfolgen artikuliert, die auf dem Triumphbogenmotiv beruhen. Plastische Elemente unterstreichen die schmückende Funktion der Fassaden, die auch durch die der Lokaltradition folgenden Bogenfenster festlicher und heiterer wirken als die strengen römischen und Florentiner Paläste. Die geographische Nähe Veronas zu Mantua, wo Giulio Romano seit 1524 als Architekt Federico Gonzagas neue Prototypen der Herrschaftsarchitektur entwickelte, zeigt sich vor allem an der phantasievollen Instrumentierung der rustizierten Erdgeschosse. Rustika und dorisch-toskanische Ordnung sind auch die Hauptmerkmale der breit gelagerten Fassaden der von ihm neu gestalteten Stadttore von Verona.

Als Sanmicheli 1556 von Girolamo Grimani, Prokurator von S. Marco, den Auftrag für den Neubau des Palazzo Grimani in Venedig erhielt, passte er seine durch den Einsatz kannelierter Säulen und Pilaster geprägte Stilsprache zwar an die venezianische Palasttypologie an, kombinierte aber die durch Pilaster und Halbsäulen rhythmisierten Fensterachsen mit dem Triumphbogenmotiv, das er schon beim Palazzo Bevilacqua auf die Fassade projiziert hatte. Besonders evident ist diese Assoziation in dem über eineinhalb Geschosse reichenden Sockelgeschoss, wo der mittlere Bogen von zwei kleinen Bögen und Doppelpilastern flankiert wird. Hinter dem triumphal inszenierten Eingangsportal befindet sich ein nach dem Vorbild des Palazzo Farnese gestaltetes dreischiffiges Atrium, dessen mittleres Tonnengewölbe auf vier freistehenden Vollsäulen ruht.

 

zu 5. Sansovino in Venedig

Serliana oder Palladio-Motiv

Serliana oder Palladio-Motiv
Nach Sebastiano Serlio benanntes markantes Architekturmotiv. Es besteht „aus einer dreiteiligen Öffnung mit schmäleren durch waagerechtes Gebälk abgeschlossenen Seitenöffnungen und breiterer, höherer Arkade als Mittelstück“ (Grundmann 1997, 359). In Raffaels Fresko des Borgobrand in der Stanza dell’Incendio im Vatikan (1514–1517) markiert das dort isoliert auftretende Motiv die päpstliche Benediktionsloggia >L.XIII.6. Palladios geniale Vervielfältigung des Motivs, das er 1549 zum Grundmodul der Ummantelung des Kommunalpalastes von Vicenza mit Loggien >ABB L.X.6 gemacht hat, erklärt die in der älteren Literatur übliche Bezeichnung als „Palladiomotiv“.

 

Literatur: Stefan Grundmann (Hg.): Architekturführer Rom. Eine Architekturgeschichte in 400 Einzeldarstellungen, Stuttgart London 1997.