Palazzo Pandolfini und Palazzo Farnese

Auf Raffael geht auch der Entwurf für einen Bau ganz anderer Art zurück, den man als die Florentiner Variante des Palazzo Caprini bezeichnen kann. Bei dem ab 1516 von Giovanni Francesco da Sangallo beaufsichtigten Bau des Palazzo Pandolfini in Florenz handelt es sich um eine zweigeschossige Anlage, die ursprünglich neun Achsen mit einem mittleren Portal umfassen sollte. Zweigeschossig ausgeführt wurde aber nur der linke Teil, während die rechte Hälfte nicht über das Erdgeschoss hinauskam. Der Grund dafür war der 1525 erfolgte Tod des Bauherrn, Giannozzo Pandolfini, der sich diesen Palast als Bischofsresidenz errichten ließ. Die Unterschiede gegenüber der römischen Palasttypologie sind signifikant. Anstelle der Ladeneinbauten befinden sich im Erdgeschoss große Fenster, die von einer aufwändigen Ädikula gerahmt sind, und alternierend und symmetrisch im Bezug zur Mittelachse mit Dreiecks- und Segmentgiebeln überdacht sind. Ein großes Mittelportal mit Rundbogen wird von regelmäßigem Bossenquaderwerk eingerahmt, das bis an das mit einem Mäander (auch „laufender Hund“ genannt) ornamentierte Geschossgesims reicht. Es bildet einen starken Mittelakzent, auf den die Ecken des verputzten Baues antworten, die ebenfalls mit Bossenquadern hervorgehoben sind. Die Fenster des piano nobile ähneln in den Proportionen den Fenstern des Palazzo Caprini, von denen sie die Balustraden übernehmen. Die Giebelüberdachung der Fensterädikulen ist alternierend, aber gegenüber dem Erdgeschoss versetzt. Die Giebel ruhen auf Pilastern, die der kanonischen Superposition folgen. Der in der Florentiner Tradition stehende Verzicht auf eine Säulen- bzw. Pilastergliederung im Hauptgeschoss wird durch die plastische Akzentuierung der Fenster aufgewogen. Dennoch bleibt der kubische Charakter des Baukörpers dominant, wozu auch das stark auskragende Kranzgesims beiträgt und der breite Fries darunter, in dem sich nach römischer Sitte die Bauinschrift befindet.

Alternierende Fensterädikulen und blockhafte Geschlossenheit kennzeichnen auch den römischen Palazzo Farnese, der ab 1513 von Antonio da Sangallo dem Jüngeren geplant wurde, dessen Vollendung sich aber wegen der enormen Dimensionen bis 1589 hinzog. Das ursprüngliche Projekt erfuhr mehrfache Abänderungen, von denen sich die auf Michelangelo zurückgehenden Modifikationen am nachhaltigsten auf die Gesamterscheinung auswirkten. Bauherr war der 1493 zum Kardinal ernannte Alessandro Farnese, der 1534 als Paul III. zum Nachfolger Clemens’ VII. gewählt wurde. Der Baukörper, der ursprünglich drei Obergeschosse haben sollte, erhält seine wesentlichen Gliederungselemente durch die in jedem Geschoss unterschiedlichen Giebel der Fenster, die von Pilastern bzw. Säulen flankiert werden. Die straff geführten bandartigen Gesimse zwischen den Geschossen, und das weit ausladende Kranzgesims, das 1546 von Michelangelo konzipiert wurde, haben eine mächtige Breitenwirkung zur Folge, deren einzige vertikale Gegengewichte die Eckrustika und die plastisch instrumentierte Mittelachse mit dem monumentalen Familienwappen über dem mittleren Balkon des Hauptgeschosses bilden, das ebenfalls auf Michelangelo zurückgeht. Die durch toskanische Säulen in drei Schiffe geteilte Vorhalle richtet sich nach Vitruvs Beschreibung des tuskanischen Atriums. Der quadratische Innenhof, der sich – ebenfalls Vitruv folgend – ursprünglich auf allen vier Seiten und in allen drei Geschossen in offenen Loggien öffnen sollte, wurde durch Michelangelo einschneidend verändert. Er schloss die inneren Loggien der Seitenflügel und des dritten Geschosses, öffnete dafür jedoch die drei mittleren Bögen der Hofloggia des ersten Geschosses auf beiden Seiten, so dass ein „tiefenaxiales Ensemble“ entstand, das es, wäre es in vollem Umfang verwirklicht worden, möglich gemacht hätte „vom Portal aus mit einem Blick den Hof, den Brunnen, Via Giulia, die Brücke über den Tiber) und die Schönheiten des anderen Gartens“zu erfassen. Der Palazzo Farnese, dessen Vollendung in den Händen von Jacopo Barozzi genannt il Vignola und Giacomo della Porta lag, wurde zum Ausgangspunkt für die römische Palastarchitektur der zweiten Jahrhunderthälfte und des frühen 17. Jahrhunderts.

 

zu 3. Der „Manierismus“ in der Palastarchitektur

Super(Supra)position

„Unter dem Ausdruck „Supraposition“ ist das Auftreten mehrerer Säulenstellungen übereinander an einem mehrgeschossigen Bau zu verstehen (nach Serlio 1566, IV, fol. 187 c). „(…) Heute verbindet sich mit diesem Begriff auch der Gedanke an die klassische Abfolge der Säulenordnungen - toskanisch, dorisch, ionisch, korinthisch, komposit - wobei […] nicht alle fünf Ordnungen an einem Bau vertreten sein müssen. Ausschlaggebend ist vielmehr das Prinzip, daß jeweils die stärkere Ordnung die schwächere zu tragen habe.“ (Christiane Denker Nesselrath: Die Säulenordnungen bei Bramante (Diss. Bonn 1984), Worms 1990, S. 100, nach Forssmann 1961). Antike Beispiele dieser Gliederung finden sich am Kolosseum, am Tabularium und am Marcellus-Theater in Rom, wo die Säulenordnungen auf massive Pfeilerarkaden appliziert sind. Entsprechend wird dieses Grundelement der Außengliederung als Tabularium- oder Theater-Motiv bezeichnet.