Die römische villa suburbana

Seit Vitruvist die Unterscheidung zwischen dem Stadthaus und dem Landhaus ein Thema der Architekturtraktate und der das Landleben des Städters schildernden Literatur. In der Realität beschränkten sich auch in der Antike die Unterschiede zwischen der städtischen Wohnung und der Villa auf die funktionalen Aspekte. Die antike Literatur unterscheidet zwischen der villa rustica, einem Gutshof mit allen seinen Annexbauten und der villa urbana und suburbana, einer repräsentativen ländlichen Residenz, deren Schönheiten und Annehmlichkeiten die antiken Autoren und vor allem Plinius der Jüngere anschaulich geschildert haben. Das Glücksgefühl des zeitweisen Lebens auf dem Lande (vita in villa) haben, angefangen mit Petrarca, vor allem die italienischen Humanisten thematisiert. Die Herausbildung einer eigenen Typologie der Villa als Ort der Muße (otium) und des intellektuellen und geselligen Lebens beginnt im 15. Jahrhundert und lässt sich zuerst in Florenz nachweisen. Die von 1451–1457 an den Abhängen von Fiesole errichtete Villa des Giovanni de‘ Medici öffnet sich durch Erdgeschossloggien auf die Terrassen, die sich auf den mächtigen Substruktionen erstrecken. Sie folgt in Lage und Gestalt Albertis Beschreibung des Landhausesund gilt als erste „echte Villa seit der Antike“. Einer anderen Typologie folgt die von Rossellino für Papst Pius II. in Pienza errichtete Residenz, die obwohl äußerlich ein städtischer Palast, durch ihre Loggien und ihre Lage die Funktion einer Villa hatte >L.IV.9. Wenige Jahre später ließ Lorenzo de’Medici in Careggi und in Poggio a Caiano >L.IV.10 weitere Villen errichten, die sich der für römische Villen der Antike belegten Merkmale bedienten. Dazu gehörte der quadratische Grundriss, sich nach außen öffnende Loggien und Portiken, Altane und vor allem das aus der antiken Literatur bekannte Podium villae, also die bei den begehrten Hanglagen notwendigen Substruktionen, bestens geeignet für Vorratshaltung und andere wirtschaftliche Belange.

In Rom dauerte es länger,bis die kastellartig befestigten Landhäuser (villa-castello) den Villen Platz machten. So präsentiert sich das von Rom aus auf dem Tiber gut erreichbare Castello della Magliana, das die Päpste von Sixtus IV. bis zu Leo X. als Jagdhaus und später auch als Musensitz nutzten, nach außen als gut befestigte Anlage. Auch die innerhalb der Mauern des Vatikan errichtete Villa Innocenz’ VIII., die der Ausgangspunkt für Bramantes weitläufige Anlage der Villa del Belvedere wurde >L.IX.4, folgt noch dem Typus des Kastells. Die stadtnahe Villa (villa suburbana), die eine strategisch günstige Lage mit guter Luft und den Annehmlichkeiten sauberen Wassers und schattenspendenden Grüns verband, war – das gilt auch für Florenz – ein Privileg der Oberschicht. Eine der ersten römischen Villen ist der heute unter dem Namen Farnesinabekannte Bau, den sich der päpstliche Bankier Agostino Chigi von 1506 bis 1510 auf dem rechten Tiberufer durch Baldassare Peruzzi errichten ließ. In seiner Außengestalt und in seinem Grundriss stellt das Gebäude eine Mischform zwischen urbanem Palast und villa suburbana dar. Dass die Funktion der Villa hier vorrangig war, zeigt sich an der Lage. Abgerückt von der in diesen Jahren durch Julius II. angelegten geraden Achse der heutigen via della Lungara (damals via Iulia), die den Borgo von St. Peter mit S. Maria in Trastevere verbindet, richtet sich die hufeisenförmige und ehemals durch Erdgeschoss-Loggien aufgelockerte Hauptfront auf einen Gartenbereich, während sich der Palast zur Straße hin als geschlossener Kubus präsentiert. Die beiden fast quadratischen Risalite der Gartenfront erinnern noch an die Ecktürme einer villa-castello. Auch die Innendisposition zeigt eine Mischung aus Palast und Villa. Zwar verfügt das Erdgeschoss über zwei ehemals offene Loggien (Saal der Galatea, Loggia der Psyche), zugleich wird das piano nobile durch einen großen, ebenfalls ausgemalten Saal hervorgehoben. Am Außenbau sind die beiden Geschosse nicht so stark unterschieden wie beim Stadtpalast. Eine zurückhaltende dorische Pilasterordnung akzentuiert die gleichmäßigen Achsen, das Mezzaningeschoss ist nach außen durch einen mit Girlanden dekorierten Fries kaschiert. Die exquisit durch Raffael >L.XIII.10, Sodoma und Peruzzi freskierte Villawar nicht nur von Gärten, Loggien und Brunnen umgeben, sondern verfügte auch über ein separates Wirtschaftsgebäude, so dass alle Servicefunktionen ausgelagert waren.

Die Villa im Norden Roms, die Papst Leo X. errichten ließ, ist ein Torso geblieben, hätte jedoch, wenn das Projekt in toto realisiert worden wäre, alle bis dahin existierenden Villenanlagen in den Schatten gestellt. Der Anspruch des Unternehmens ging deutlich über das ländliche Poggio a Caiano >L.IV.10 hinaus und orientierte sich an den imperialen Villenanlagen der römischen Kaiserzeit. Leo X. übereignete diese Residenz, deren Name Villa Madama daran erinnert, dass hier 1535 Margarethe von Parma gewohnt hat, seinem Cousin Giulio de’Medici, der 1517 zum Vizekanzler der Kurie aufgestiegen war, was ihn zu größerem Aufwand verpflichtete. Beide Männer hatten einen aktiven Anteil an der Planung und Realisierung der Villa, in deren Verlauf es zu einigen Abänderungen des Entwurfes kam. Der Auftrag war 1517 an Raffael ergangen, nachdem viele Architekten Entwürfe vorgelegt hatte, darunter auch Raffaels Mitarbeiter Giovanfrancesco da Sangallo. Obwohl Raffael bis zu seinem Tod (1520) die Aufsicht über die Villa innehatte, lag die Bauleitung ab 1519 bei Antonio da Sangallo dem Jüngeren. Mit dem Tod Leos X. (1521) kam der Bau zum Erliegen, war aber so weit fertig gestellt, dass er benutzt werden konnte. Das anhand der zahlreichen Pläne rekonstruierbare Projekt sah eine die Lage an den Hängen des Monte Mario ausnützende Anlage auf drei Terrassen vor. Im Kryptoportikus des hohen Podiums wurden die Wirtschaftsgebäude untergebracht. Als Hauptgeschoss dient die mittlere Terrasse, auf der sich alle wichtigen Räumlichkeiten der Villa befinden und von wo sich ein grandioser Blick auf Rom ergibt. Als Ordnungsprinzip fungiert ein Achsenkreuz, dessen Schnittpunkt sich in der Mitte des zentralen und kreisrunden Hofes befindet, der auf drei Seiten von dem Palast, auf der vierten Seite (zum Hang) von einem offenen Theater antiken Typs ummantelt wird. In der parallel zum Hang verlaufenden Längsachse schließen sich an den Hof und an die ihn umgebende Zimmerflucht eine Loggia beziehungsweise auf der anderen Seite ein Wasserbassin und eine Treppenanlage an.

Raffael hat die geplante Anlage der Villa in einem Brief niedergelegt, der nicht nur eine Vorstellung von der Vielgestaltigkeit des Ganzen gibt, sondern auch wiederholt antike Begriffe verwendet, um die einzelnen Bestandteile zu charakterisieren. So ist von einer dyeta, einem hypodromo, xyxto und einem clyptoportico die Rede, ebenso wie von atrio, peschiera und theatro. Gelegentlich wird sogar hinzugesetzt, was die Alten unter diesen Bauten verstehen. Die Quellen hierfür liefern Plinius d.J.und Vitruv, und es besteht kein Zweifel daran, dass mit dieser Villa die wohl perfekteste Nachschöpfung einer imperialen Villa gelungen wäre. Dies macht allein der Blick in die monumentale Loggia deutlich, deren Ausstattung mit Wandnischen, kassettierten Kuppeln und farbig stuckierten Gewölben dem Vorbild der Domus Aurea des Kaisers Nero folgt. Zum ersten Mal wurde hier eine Anlage konzipiert, die in der Vielfalt ihrer Bestandteile und Funktionen Dimensionen erreicht hätte, die es mit der Antike aufnehmen konnten.

Die nächste Papstvilla wurde nicht weit entfernt von der Villa Madama in der Nähe der antiken Konsularstraße via Flaminia errichtet und folgt in wesentlichen Elementen ihrer Nachbarin, obwohl sie anders als diese nicht am Hang, sondern in einer Talsenke liegt. Ihr Bauherr war Papst Julius III. Del Monte (reg. 1550–1555), ein Römer, der hier ein großes Landgut besaß, das von Rom aus auf dem Tiber erreicht werden konnte. In nur vier Jahren entstand hier eine prunkvolle Anlage, an der zwei der bedeutendsten Architekten der Zeit beteiligt waren: Jacopo Vignola und Bartolomeo Amannati. Der massive, nach der Straße hin geschlossen wirkende Baukörper öffnet sich in der durch ein Triumphbogenmotiv betonten Mittelachse auf einen halbrunden Hof mit Loggia, die das gesamte Erdgeschoss einnimmt. Seine Form war durch einen 1527 von Jacopo Sansovino für den Onkel des Papstes errichteten Vorgängerbau bedingt. Das literarische Modell war die berühmte Beschreibung, die Plinius der Jüngere von seinem Landhaus Laurentinum überliefert hat, die auch schon für die Villa Madama maßgeblich gewesen war. Die Exedra setzt sich in einem langgestreckten und von ausgenischten Mauern eingefassten Hof fort, dessen Abschluss ein aufwändiger Prospekt bildet, durch den man den hinteren Teil der Villa betritt. Es handelt sich um das sogenannte Nymphäum, den ungewöhnlichsten Bestandteil der Villa, das sich durch eine zukunftsweisende Einbeziehung des Wassers in die Architektur auszeichnet. Über halbrunde Treppen steigt man in einen von hohen Mauern umschlossenen Hof hinab, von dem aus das noch einmal vertiefte halbrunde Brunnenhaus mit dem Wasser des eigens hierher umgeleiteten antiken Aquaedukts der römischen acqua virgo sichtbar ist. Mosaikfußböden, Hermenpilaster und Grottenwerk umrahmen die wie ein Quellheiligtum inszenierte Vertiefung. Darüber erhebt sich ein mit Nischen und einer mittleren Serliana geschmückter Prospekt, der ehemals den Durchblick in den zum Tiberufer gerichteten Garten gewährte. Die architektonische Evokation der Antike wird durch die Inschriften ergänzt, die den Papst als öffentlichen Wohltäter rühmen. Mit der Erneuerung und Verlegung der antiken Wasserleitung diente er zwar vor allem eigenen Interessen, aber er förderte auch das öffentliche Wohl, wie die Inschrift am außerhalb der Villa befindlichen Brunnenprospekt der acqua virgo verkündet. Während der nächsten Jahrzehnte konzentrierte sich die Anlage von Villen, bei denen Wasserspiele und Gärten eine immer größere Rolle spielten, auf die schon in der Antike für die villeggiatura berühmten Orte Frascati (Tusculum) und Tivoli. Das Problem des Wassermangels auf den ausgedehnten Freiflächen der römischen Hügel (Quirinal, Pincio, Gianicolo) wurde erst durch die neue Wasserleitung acqua felice behoben, die Sixtus V. 1587 anlegen ließ.

 

zu 8. Die Villen des Veneto und der Humanismus