Ry Nikonova und Sergej Sigej
Biographische Angaben und Bestandsbeschreibung
Das Künstlerehepaar Ry Nikonova (Anna Aleksandrovna Taršis, 1942-2014) und Sergej Sergej (Sergej Vsevolodovič Sigov, 1947-2014) war seit den 1960er Jahren eine Ausnahmeerscheinung der sowjetischen/russischen inoffiziellen Kunst. Fast ein halbes Jahrhundert lag begab sich das Paar, das sich 1966 kennenlernte, auf eine experimentelle Suche nach stets neuen Inhalten und nach einer neuen Sprache für die zeitgenössische Kunst.
Sergej Sigej trat vorrangig als Künstler, Dichter und Sammler des Erbes der russischen Avantgarde (der u. a. mit Nikolai Chardžiev, Igor Bachterev und Vasilisk Gnedov zusammenarbeitete) in Erscheinung, während Ry Nikonova als Theoretikerin der zeitgenössischen Kunst und virtuose Sprachkünstlerin auftrat. Ihr beider Verständnis für ihren eigenen Platz in der kulturellen Tradition war geformt von Sigejs jugendlicher Faszination für den Anarcho-Futurismus sowie Nikonovas Aktivitäten und Banden mit Dichtern und Künstlern der sogenannten Uktus-Schule in Sverdlovsk der 1960er Jahre.
Fernab der Hauptstädte, am Ufer des Asowschen Meeres in Jeisk (das sie in Sigejsk umbenannten), schufen sie später ein wichtiges Zentrum des sowjetischen Undergrounds. Dort gaben sie sowohl die inoffiziellen Samizdat-Zeitschriften Nomer und Transponans (1979-1987) heraus, um die sich eine Gruppe "transfuristischer" Dichter bildete, als auch schufen sie eine ganze Reihe einzigartiger Bücher und Sammlungen, die sich mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Poesie befassten. Sigov gestaltete viele der Werke seiner Frau und trug eine Handbibliothek wenig bekannter Dichter zusammen, deren Texte er selbst kopierte, nähte, dekorierte und band.
Seit Mitte der 1980er Jahre konnte das Künstlerehepaar freier an unabhängigen Avantgarde-Ausstellungen in der UdSSR und im Ausland teilnehmen und involvierte sich aktiv in der Mail-Art Szene. 1998 wurde das Paar mit dem Andrei-Belyj Preis für besondere Verdienste ausgezeichnet. Auch emigrierten sie in diesem Jahr nach Deutschland, wo sie mit privaten Galerien und Verlagen zusammenarbeiteten und eine Reihe ihrer Bücher veröffentlichten.
In mehreren Etappen übergaben sie seit 1997 ihre persönlichen Archivmaterialien der Forschungsstelle Osteuropa, wo ihr Nachlass heute eine der weltweit größten Sammlungen zur sogenannten zweiten Avantgarde darstellt. Erhalten sind ihre eigenen Werke, darunter Künstlerpublikationen, visuelle Poesie, Buchentwürfe, Mail Art (u.a. "Double"-Magazine), ihre Korrespondenz mit Gleichgesinnten sowie eine umfangreiche Sammlung von Werken befreundeter Künstler*innen wie Valerij Djačenko, Konstantin Zvezdočetov, Il‘ja Kabakov, Boris Konstriktor und Genrich Sapgir.
Die Archivmaterialien wurde im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Archiverschließungsprojekts "Nonkonforme Visionen. Alternative Kunst und Kultur aus Mittel- und Osteuropa" der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Link zum Bestand von Sergej Sigej und Ry Nikonova in der FSO-Archivdantenbank