V. Buchkunst nach 1945 – F. H. Ernst Schneidler – Offizin Drugulin
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1. Trajanus-Presse
Die Trajanus-Presse wurde zwar 1951 von der Schriftgießerei D. Stempel AG gegründet. Ihr Erscheinungsbild verdankt sie aber ausschließlich Gotthard de Beauclair (1907–1992), der damals künstlerischer Berater der Firma war und ihren Aufbau und ihre künstlerische Leitung übernahm.
De Beauclair besuchte von 1923 bis 1925 die Hochschule für Gestaltung Offenbach a. M. und lernte bei Rudolf Koch (IV.21–25) in der Schriftgießerei Gebr. Klingspor das Setzerhandwerk. Von 1928 bis 1962 war er mit wenigen Jahren Unterbrechung nach dem Krieg Hersteller und künstlerischer Leiter im Insel-Verlag. Dort betreute er u. a. die Insel-Bücherei (III.27).
Die insgesamt 20 Drucke der Trajanus-Presse wurden in den Werkstätten der D. Stempel AG aus eigenen Schriften gesetzt und auf der Schnellpresse gedruckt. Sie wurden sowohl über den Insel-Verlag in den Handel gebracht als auch z.B. als Werbegeschenke an Kunden der Firma weitergegeben. Die Handeinbände fertigte zumeist Willy Pingel in Heidelberg.
1962 verließ de Beauclair den Insel-Verlag und gründete mit Ars librorum seinen eigenen Verlag. Für dessen 18 Drucke, die nach wie vor in den Werkstätten der D. Stempel AG gefertigt wurden, verwendete er auch nicht von Stempel vertriebene Schriften.
Illustriert wurden die Drucke der Trajanus-Presse wie auch des Verlags vor allem mit Holzschnitten oder -stichen, Radierungen und Lithographien u. a. von Hans Fronius (V.7), Imre Reiner (V.4), Felix Hoffmann (V.1, V.5) und Fritz Kredel (V.6). Es wurden jedoch auch rein typographisch gestaltete Drucke gefertigt (V.2, V.3).
2. Grillen-Presse
Neben Gotthard de Beauclair war es vor allem der Hamburger Richard von Sichowsky (1911–1975), der die Tradition der deutschen ›Privatpressen‹ in der Nachkriegszeit wiederbelebte. Nach der Ausbildung als Schriftsetzer studierte er an der renommierten Meisterschule für Deutschlands Buchdrucker in München bei Hermann Virl, Josef Käufer und Georg Trump. Von 1946 bis 1975 war von Sichowsky Lehrer für Typographie und Buchgestaltung an der Landeskunstschule Hamburg, der späteren Staatlichen Hochschule für bildende Künste, wodurch er die Entwicklung der deutschen Buchkunst in der Nachkriegszeit entscheidend mitgeprägt hat. Zu seinen Schülern zählten u. a. Otto Rohse (V.11–15) und Roswitha Quadflieg (V.16–20).
Neben seiner Lehrtätigkeit sowie seiner Arbeit als Buchgestalter für verschiedene Verlage und die Maximilian-Gesellschaft gründete von Sichowsky 1949/50 die Grillenpresse, deren 13 Drucke durch den Verlag Ernst Hauswedell ausgeliefert wurden. Auch von Sichowsky strebte bei seinen Drucken, die er von verschiedenen Graphikern wie Gerhard Marcks, Imre Reiner und seinem Schüler Otto Rohse ausstatten ließ, grundsätzlich den Idealfall der vollkommenen Einheit von Typographie und Illustration an. Er vertrat jedoch keine Dogmen und brach hin und wieder bewusst mit traditionellen typographischen Regeln: »Ich kann die tadellos gemachten Bücher nicht leiden, am wenigsten die von mir selbst gemachten, sie erinnern mich an den legendären Meisterschüler.«
3. Otto-Rohse-Presse
Streben nach Vollkommenheit im Schriftsatz und ein undogmatisches Verhältnis zu typographischen Regeln verbindet Otto Rohse (1925–2016) mit seinem Lehrer Richard von Sichowsky, bei dem er von 1948 bis 1952 Typographie und Buchgestaltung an der damaligen Landeskunstschule studierte und als dessen Assistent er bis 1956 in der Grillen-Presse arbeitete. 1962 gründete Rohse seine eigene Presse, die sich dem illustrierten Buch verschrieb, wobei er, ähnlich wie de Beauclair, Text und Bild gleichwertig behandelte. Die Illustrationen führte er mit Kupfer- oder Holzstichen selbst aus. Für Rohse stellte die rein handwerkliche Arbeit keinen Selbstzweck dar. Die Texte wurden zwar mit der Hand gesetzt, gedruckt wurde jedoch auf einer maschinengetriebenen A3-Tiegelpresse. Zudem überließ er Satz- und Druckarbeiten hin und wieder Mitarbeitern oder Partnern. Dieselbe Nüchternheit wandte Rohse bei der Wahl des Papiers an, das auch maschinell gefertigt sein konnte. Die Einbände ließ er von Christian Zwang ausführen.
Auch wenn Rohse angab, dass für seine kompromisslose Buchkunst »Desinteresse an einem Einkommen aus der Presse, Desinteresse an einem Publikumserfolg« wesentlich waren, benötigte er doch eine gewisse finanzielle Sicherheit. Diese wurde vor allem durch seine zahlreichen Briefmarkenentwürfe für die Deutsche Bundespost und Aufträge von Verlagen gewährleistet.
Bis 2001 verließen die Presse 52 Drucke. 2003 ging die Werkstatt einschließlich ihrer Schriften an das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg.
4. Raamin-Presse
Roswitha Quadflieg (geb. 1949) gründete 1973, noch während ihres Studiums der Malerei, Grafik und Illustration an der damaligen Hamburger Fachhochschule für Gestaltung, die Raamin-Presse; im Folgejahr gehörte sie noch zu den letzten Schülern von Richard von Sichowsky (V.8–10). Ihre Bücher illustrierte, setzte und druckte sie bis in die späten 80er Jahre noch selbst auf der Handpresse. Danach übergab sie aus gesundheitlichen Gründen zunächst den Druck, später auch den Satz an SchumacherGebler, München, bzw. die Offizin Haag-Drugulin, Leipzig, und Til Verclas. Seit der Schließung der Presse im Jahr 2003 ist Quadflieg ausschließlich als Schriftstellerin tätig. Die Bindung der Bücher übernahm, wie bei der Otto-Rohse-Presse (V.11–15), die Buchbinderei von Christian Zwang in Hamburg.
Für jedes ihrer insgesamt 28 Bücher wählte Quadflieg je nach Charakter des Textes eine andere Schrift und ein anderes Format. Für die Illustrationen verwendete sie Holzstiche (V.16), Radierungen (V.20) und Linolund Kunststoffschnitte (V.17–18) mit anderen Techniken kombiniert. Der Druck erfolgte häufig in mehreren Farben. Das Experimentieren mit unterschiedlichen Bildformen, handgesetzter Typographie und aufwendiger Ausstattung kennzeichnet ihre Drucke.
5. F. H. Ernst Schneidler und die Juniperus-Presse
F. H. Ernst Schneidler (1882–1956) gehört zu den bedeutendsten Schriftgestaltern der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er schuf etwa 20 Druckschriften – einige von ihnen werden noch heute im Digitalsatz verwendet.
Nach dem Studium von 1904 bis 1905 bei P. Behrens (III.32–33) und F. H. Ehmcke (II.22–24) an der Kunstgewerbeschule in Düsseldorf arbeitete er von 1909 bis 1924 als Buchgestalter für den Eugen Diederichs Verlag. Zu den frühesten umfassenden Arbeiten gehört die Sammlung persischer Gedichte von Hafis (V.25), die Schneidler mit Doppeltitel und Vorsatzpapier sowie zehn ganzseitigen Illustrationen gestaltete.
Seine Lehrtätigkeit von 1920 bis 1948 an der Württembergischen Kunstgewerbeschule in Stuttgart begründete Schneidlers Bedeutung als »einer der prägendsten Pädagogen auf dem Gebiet der Typographie« (E. SchumacherGebler). Aus der von ihm begründeten ›Stuttgarter Schule‹ gingen zahlreiche angesehene Buchkünstler und Typographen hervor, darunter Walter Brudi, Imre Reiner, Georg Trump oder Albert Kapr.
In Stuttgart gründete Schneidler 1921 die Juniperus-Presse als eine der letzten ›Privatpressen‹ (V.21–23). Die Arbeiten wurden in den Graphischen Werkstätten der Schule mit Unterstützung der Fachkollegen durchgeführt. Bis 1925 entstanden über 20, mehrheitlich rein typographisch gestaltete Titel in zum Teil sehr kleinen Auflagen. Mit dem Ende der Presse widmete sich Schneidler seinem letztlich unvollendeten Opus magnum, dem ›Wassermann – ein Lehrbuch für Büchermacher‹ (V.24) mit Studien zu schriftkünstlerischen, graphischen und typographischen Fragestellungen.
6. Offizin Drugulin
Die 1829 in Leipzig gegründete und seit 1878 unter dem Namen ›Offizin W. Drugulin‹ firmierende Druckerei gehörte neben Poeschel & Trepte und jener von Otto von Holten zu den angesehensten Druckereien in Deutschland. Die Offizin war vor allem wegen ihres Fundus an orientalischen Schriften berühmt. (II.14) Neben der Reichsdruckerei unterhielt sie als einzige eine eigene Schriftgießerei, die 1919 von der D. Stempel AG übernommen wurde. Seit 1891 leitete Johannes Baensch-Drugulin die Firma und führte sie zu Weltruhm. Zu den aufregendsten Erzeugnissen der Offizin zählen die von Ludwig Sütterlin gestalteten ›Marksteine aus der Weltliteratur in Originalschriften‹ (V.29), die 1902 zur Erinnerung an den 500-jährigen Geburtstag Gutenbergs erschienen, um »ein Schatzkästlein der Lebensweisheit der Völker zu schaffen« und »zu zeigen, was eine einzelne Druckerei im Beginne des neuen Jahrhunderts zu leisten vermöge« (Vorwort). Insgesamt ist die Buchkunstbewegung des frühen 20. Jahrhunderts ohne Drugulin nicht denkbar: Die Offizin druckte die Zeitschriften ›Pan‹ (III.5) und ›Die Insel‹ (III.7) und arbeitete für typographisch anspruchsvolle Verlage wie den Insel-Verlag, Eugen Diederichs und Hans von Weber.
1910 begann Ernst Rowohlt mit der Herausgabe der ›Drugulin-Drucke‹, um klassische Texte in hochwertiger Ausstattung und sorgfältigem Druck preiswert auf den Markt zu bringen. Die Bücher wurden, wie der Name schon sagt, von Drugulin aus eigenen Schriften gesetzt und zweifarbig gedruckt.
1928 kam es zum Zusammenschluss mit der Druckerei F. E. Haag zu Haag-Drugulin. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Betrieb enteignet und unter dem Namen VEB Offizin Haag-Drugulin weitergeführt. Unter der künstlerischen Leitung von Horst Erich Wolter, dem ›Nestor‹ der DDR-Buchkunst, wurden Drucke der Offizin bei dem wiedereingeführten Wettbewerb ›Schönste Bücher‹ regelmäßig ausgezeichnet, darunter auch die umfangreiche, um eine konzise, von Wolters verfasste Schriftgeschichte ergänzte Schriftprobe von 1953 (V.35).
Nach der Wiedervereinigung wurden Schriftschätze und Buchdrucktechnik der Offizin vom renommierten Münchner Typostudio Eckehart SchumacherGeblers übernommen. 1994/95 vereinigte er sie mit seinem eigenen Bestand und führt seitdem die Tradition der Druckerei zunächst in Leipzig, dann in Dresden bis heute weiter. Die Offizin ist auf Bleisatz und Buchdruck spezialisiert.
Neben Aufträgen von anderen Pressen (V.30-32) und Verlagen vertreibt der Betrieb auch eigene, nicht selten prämierte Arbeiten, darunter die nach wie vor erscheinende Bibliothek SG (V.33–34), deren im Bleisatz und Buchdruck gefertigte Bände individuell gestaltet sind. Von besonderem typographischen Reiz sind die Essays zu den jeweils verwendeten Schriften, welche die sorgfältig ausgewählten Texte deutschsprachiger Autoren ergänzen.