I. Inkunabeln und englische Pressen als Vorbilder

1. Inkunabeln

Insbesondere die Werke venetianischer und süddeutscher Drucker der ›Inkunabelzeit‹ (1450–1500), wie Nicolas Jenson, Aldus Manutius, Peter Schöffer und Erhard Ratdolt, wurden in England und Deutschland als Vorbilder für eine neue Schrift- und Buchgestaltung gleichsam wiederentdeckt. William Morris, die ihm nachfolgenden englischen Pressen, wie vor allem die Doves Press, und die durch sie beeinflussten deutschen Buch- und Schriftgestalter setzten sich konkret mit diesen Drucken auseinander. Sie waren beeindruckt von der Vielfalt und Qualität der frühen Schriften. Zugleich entdeckten sie grundlegende Prinzipien der frühen Buchtypographie wieder. Sie übernahmen etwa das Konzept der Doppelseite als maßgebliche Einheit der Gestaltung, was eine Zunahme der Breite der Stege von innen nach Außen zur Folge hatte. Vorbildhaft wirkte zudem, dass die Kolumnen in der Regel mit möglichst geringen Wortzwischenräumen und Zeilenabständen gesetzt wurden.
Darüber hinaus wurde auch der gesamte Herstellungsprozess dieser frühen Druckereien als Ideal angesehen. Ziel der ›Privatpressen‹ war daher in der Regel die Vereinigung aller Arbeitsschritte (Schriftgestaltung, Satz, Druck und Bindung) in einer Werkstatt.
Morris und seine Nachfolger versuchten jedoch nicht die frühen Drucker nachzuahmen, sondern sie verstanden sie als Inspirationsquellen für eigene, neue Schöpfungen.

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2. Cranach-Presse

Gründer der »europäischsten unter den deutschen Pressen« (G. K. Schauer) war der Schriftsteller, Diplomat, Kunstförderer und Kosmopolit Harry Graf Kessler (1868–1937). Mit den Drucken der Weimarer Cranach-Presse, stellte er sich nicht nur in die Tradition der englischen Pressen, sondern er gab damit auch ein leidenschaftliches Bekenntnis zu Europa als Idee und Realität ab. Die für die Drucke verwendeten Schriften entwarf der englische Schriftkünstler Edward Johnston nach Vorbildern der Frühdrucker Nicolas Jenson und Peter Schöffer. Emery Walker, Freund und engster Mitarbeiter William Morris’, beriet Kessler typographisch und beaufsichtigte auch den Schnitt der Stempel durch Edward P. Prince, der ebenfalls für die Kelmscott und Doves Press gearbeitet hatte. Illustrationen, Titel und Initialen schufen die Engländer Eric Gill (IV.44 und IV.47) und Edward Gordon Craig (I.8) sowie der Franzose Aristide Maillol (IV.47). Das Büttenpapier ließ Kessler in einer eigenen Papiermühle in Montval bei Marly-le-Roi (Île-de-France) von Gaspard Maillol, dem Neffen des Künstlers, schöpfen. Die drei in der Ausstellung gezeigten Drucke bilden Höhepunkte der Buchkunst des
20. Jahrhunderts. So wurde etwa der ›Vergil‹ (IV.47) auf der Leipziger Buchkunst-Ausstellung 1927 prämiert. Neben den illustrierten Werken schuf die Werkstatt auch kleinere, hauptsächlich typographisch gestaltete Bände. Den Vertrieb der Drucke besorgte der Insel-Verlag in Leipzig. In ihrer Hochzeit in den 20er Jahren beschäftigte die Cranach-Presse rund 12 Mitarbeiter und druckte auf vier Handpressen.

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3. Werkzeuge

Die Werkzeuge der Setzer und Drucker des frühen 20. Jahrhunderts unterscheiden sich in ihrer Grundform nicht von denen des 15. und 16. Jahrhunderts. Auch heute noch werden sie im Bleisatz und Buchdruck verwendet. Im Wesentlichen sind es folgende:
Der Winkelhaken wird zum Aneinanderfügen der Buchstaben und Zeilen sowie zur Ausführung schwieriger Korrekturen benutzt.
Die Setzlinie ist eine schrifthohe Messinglinie mit zwei ›Ohren‹ zum leichten Erfassen. Sie erleichtert das Setzen im Winkelhaken und wird beim Ausheben des vollen Winkelhakens und beim Umbruch benötigt.
Die Kolumnenschnur ist eine feste, gedrehte Hanfschnur zum Ausbinden des Satzes, damit er bei Transport oder Lagerung nicht auseinanderfällt.
Das Setzschiff dient zunächst zur Aufnahme des aus dem Winkelhaken ausgehobenen Satzes. Außerdem wird es zum Transportieren und zum Zusammenstellen (›Umbrechen‹) der Satzstücke verwendet.
Die Ahle wird zum Korrigieren und Ausbinden des Satzes benötigt. Mit der glatten Stirnfläche des Griffes können hochstehende Buchstaben niedergedrückt werden.
Mit der Pinzette können ebenfalls Korrekturen und ähnliche Veränderungen am Satz durchgeführt werden.
Das Typometer ist eines der wichtigsten und am häufigsten genutzten Werkzeuge. Es dient z.B. zum Messen der Größe einer Schrift oder der Länge einer Zeile.
Mit der Handwalze wird der für den Abzug bestimmte Satz eingefärbt.

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4a. Kelmscott Press

Die nachhaltigsten Anregungen erhielt die um 1900 in Deutschland sich anbahnende Buchkunstbewegung durch das englische ›Private Press Movement‹. Ihr frühester und zugleich einflussreichster Vertreter war der englische Dichter, Maler, Kunsthandwerker und Sozialist William Morris (1834–1896).
Während seines Studiums in Oxford kam er in Kontakt mit den Präraffaeliten, dem Maler Edward Burne-­Jones und dem Kunsthistoriker John Ruskin. Zusammen mit Ruskin war er einer der prägendsten Mitglieder des ›Arts and Crafts Movement‹.
Als Bibliophiler sammelte Morris Handschriften und Inkunabeln, die ihn zu eigenen kalligraphischen Arbeiten inspirierten. Nach seinem Engagement in verschiedenen kunstgewerblichen Bereichen gründete er 1889 seine eigene Druckerei, die Kelmscott Press, mit der er auf Handpressen und im Handsatz sowohl seine Vorstellungen der Buchgestaltung als auch seine sozialreformerische Idee von dem den gesamten Arbeitsprozess gestaltenden Handwerker umsetzen wollte.
Kennzeichnend für die Gestaltung der Bücher sind v.a. die Konzeption auf Basis der Doppelseite, der Druck der Kolumne in einem möglichst satten Schwarz, was durch kräftigere Schriftschnitte sowie einen engen Satz der Zeilen und Buchstaben erreicht werden sollte, und die üppige Ausschmückung mit Holzstich­-Initialen, ­-Titelblättern, ­-Randleisten und ­-Bildeinfassungen, die von Morris entworfen wurden. In der Kelmscott Press wurden in gut neun Jahren insgesamt 53 Titel produziert. Sowohl das Papier als auch die Farbe ließ er nach seinen Vorgaben herstellen.

»Ich begann Bücher zu drucken in der Hoffnung, einige hervorzubringen, die einen wirklichen Anspruch auf Schönheit erheben konnten; gleichzeitig aber sollten sie gut leserlich sein und nicht das Auge beunruhigen oder die Aufmerksamkeit des Lesers durch absonderliche Buchstabenformen stören. Schon immer war ich ein großer Verehrer der Schreibkunst des Mittel­ alters und der Frühdrucke, die später an deren Stelle traten. Bei Büchern des 15. Jahrhunderts habe ich festgestellt, dass sie schon allein durch ihre Typogra­phie schön waren auch ohne Schmuck, mit dem so viele von ihnen geradezu verschwenderisch ausge­stattet sind. Es war der Sinn meines Unternehmens, Bücher herzustellen, die in Druck und Schriftsatz einen erfreulichen Anblick bieten sollten. Indem ich mein Vorhaben von diesem Gesichtspunkte aus betrachtete, fand ich, dass ich vor allem folgendes in Betracht zu ziehen hatte: das Papier, die Form des Druckbuchstabens, den jeweiligen Abstand der Buchstaben, Wörter und Zeilen und schließlich die Anordnung des Druckes innerhalb der Buchseite.«

(aus I.10: A Note by William Morris on his Aims in Founding the Kelmscott Press. Hammersmith: Kelmscott Press, 1898)

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4b. Kelmscott Press

Morris verwendete für seine Drucke drei Schriften, die er in Abstimmung mit Emery Walker gestaltete: Am häufigsten wurde seine ›Golden Type‹ genutzt. Die Antiqua war ursprünglich für Jacobus de Voragines ›The Golden Legend‹ (I.15) gedacht, sie wurde allerdings schon beim ersten Druck der Presse, dem von Morris verfassten Roman ›The Story of the Glittering Plain‹ (IV.45) verwendet. Die nach deutschen Vorbildern des 15. Jahrhunderts entworfene ›Troy Type‹, eine Gotico-Antiqua, kam bei elf Büchern zum Einsatz (I.11). Die dritte Schrift, die ›Chaucer Type‹, ist ein verkleinerter Schnitt der ›Troy Type‹ und wurde speziell für das Opus magnum der Kelmscott Press, den wenige Monate vor Morris’ Tod fertiggestellten Band
›The Works of Geoffrey Chaucer‹ (IV.13) entworfen. Während die 87 Holzstiche des Buches nach Zeichnungen von Edward Burne-Jones von den Originalstöcken gedruckt wurden, verwendete Morris für den Druck der zahlreichen Initialen und Bordüren Galvanos, um die originalen Druckstöcke zu schonen. Auch nutzte er die Photographie, damals noch eine sehr moderne Technik, für die Analyse seiner Entwürfe und Vorlagen. Morris war also im Unterschied zu Ruskin durchaus kein Technikfeind, wie oft fälschlich behauptet wird. Im letzten von der Kelmscott Press gedruckten Buch (I.10) erläutert er seine Vorstellungen vom Erscheinungsbild des Buches, das gleichsam als Manifest der neuen Buchkunstbewegung gelten kann.

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5. Doves Press

Die Werke der Kelmscott Press begeisterten in England Amateure und Kunsthandwerker gleichermaßen und regten zu Gründungen weiterer Pressen an.
Als einflussreichste Folgegründung kann wohl die Doves Press gelten, zumal beide Gründer, der Buchbinder Thomas James Cobden-Sanderson (1840–1922) und der gelernte Klischeeätzer Emery Walker (1851–1933), eng mit William Morris zusammengearbeitet hatten. Die Presse verfolgte jedoch ein grundsätzlich anderes gestalterisches Konzept, das Cobden- Sandersen u.a. im ersten Buch der Presse (›The Ideal Book‹; hier in einer deutschen Übersetzung: I.18) ausführte: Die Drucke sind rein typographisch gestaltet, auf Illustrationen und Buchschmuck wurde gänzlich verzichtet. Im Vordergrund steht der Inhalt und nicht die Form. Das metaphysisch überhöhte Buch sollte durch Schönheit, Klarheit und Konzentration auf das Wesentliche den Inhalt auf adäquate Weise übermitteln. Die von Walker entworfene ›Doves Type‹ betrachtete Cobden-Sanderson als eine Art geweihtes Instrument. Als die Presse 1917 ihre Arbeit einstellte, versenkte Cobden-Sanderson – entgegen der Absprache mit Walker, von dem er sich 1909 getrennt hatte – das gesamte Schriftmaterial einschließlich der Matrizen in der Themse, um die weitere Verwendung der ›Doves Type‹ zu verhindern.
Der wohl eindrucksvollste Druck ist die fünfbändige Bibel (I.16) mit ihrem unvergleichlich schönen Textanfang. Zu den weiteren 50 Drucken der Doves Press gehört auch eine Ausgabe des ›Faust‹ und eine Sammlung von Goethes Liedern, Gedichten und Balladen (IV.46), die 1916, während des Ersten Weltkriegs, erschienen war, was der Presse in England viel Kritik einbrachte.

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