Die Bauten Papst Sixtus’ IV.
Als Nachfolger Pauls II. bestieg Sixtus IV. 1471 den Stuhl Petri. Unter seiner Regierung bildete der Nepotismus seine negativen Merkmale bereits bis zum Exzess aus. Allerdings steht diesem schlechten Image des Papstes sein ungewöhnlich hohes Engagement für Religion, Kunst und Kultur, aber auch für die Verbesserung der Lebensbedingungen in Rom gegenüber. Zu seinen historisch bedeutendsten Taten gehörte die Überführung einiger antiker Bronzestatuen aus dem Lateran auf das Kapitol, darunter der Dornauszieher und die römische Wölfin, die symbolische Bedeutung für das römische Selbstverständnis besaßen und deren Symbolkraft für die antiken Wurzeln der Stadt durch diese öffentliche Aufstellung erneuert manifest wurde. Diese in der Realität vielleicht nicht sonderlich großartige Geste markiert den Beginn der künstlerisch unerhört folgenreichen Aufwertung des Kapitols. Zu den für das Wohl der Öffentlichkeit bestimmten Bauten, die in Verbindung mit dem Heiligen Jahr 1475 entstanden, zählte der Neubau einer Brücke (Ponte Sisto) auf antiken Fundamenten zwischen Trastevere und den dicht besiedelten Quartieren um das Kapitol und der monumentale Neubau des Ospedale di S. Spirito, das 1473 abgebrannt war. Kernbereich der neuen Anlage sind zwei langgestreckte Säle (corsie), die durch die den hohen Mittelbau der Kapelle auf oktogonalem Grundriss verbunden sind.
Der Zugang vom Borgo di S. Spirito aus wird durch einen Portalvorbau markiert, der die extrem lange Außenloggia unterbricht, die mit einer Pfeilerarkadenstellung verblendet ist. Der bisher unbekannte Architekt, dem Albertis Vokabular vertraut war [Frommel 2009, 67], bediente einen Prototypus, der durch das von Filarete 1456 in Mailand errichtete Ospedale maggiore definiert war. Der päpstliche Bauherr benutzte diesen dem Volkswohl dienenden Bau für eine persönliche memoria: Im Inneren der beiden Krankensäle (corsie) ließ er einen Bildzyklus malen, der die Geschichte des Hospitals seit seiner Gründung unter Innocenz III. und die Taten Papst Sixtus IV. darstellt und sie in lateinischen Legenden erklärt. Die Themen der zwischen den Fenstern des Obergeschosses befindlichen Historien, deren Maler nicht bekannt ist, wurden von dem päpstlichen Bibliothekar Bartolomeo Platina vorgegeben. Von den Kirchenbauten, die im Pontifikat Sixtus' IV. entstanden, erhielten die vom Papst gestiftete Kirche S. Maria del Popolo und das mit ihr verbundene Augustinereremitenkloster eine besonders prächtige und bedeutsame Ausstattung. Mehrere Mitglieder des päpstlichen Familienclans della Rovere erwarben hier ihre Kapellen. Als Baumeister der Kirche galt lange Zeit der aus Como stammende Andrea Bregno (ca. 1418/1420–1503/1506), dem die reiche bildhauerische Ausstattung einiger Kapellen übertragen wurde. Heute wird dagegen der von Sixtus IV. zum Hofarchitekten ernannte Giovannino de'Dolci (†1485) favorisiert [Frommel 2009, 65–66]. Die Fassade der Kirche, die über Jahrhunderte die von Norden kommenden Pilger und Romreisenden empfing, ist aufgrund der inschriftlich festgehaltenen Daten 1472 und 1477 eine der frühesten römischen Kirchenfassaden der Renaissance.
Die Abhängigkeit der Fassadengliederung von S. Maria Novella >L.VI.1 ist ebenso unverkennbar wie die Unterschiede, die vor allem aus dem unterschiedlichen Material resultieren. Die Anschwünge zum oberen Teil der Fassade stehen trotz ihrer späteren Veränderung durch Bernini deutlich in der Nachfolge von S. Maria Novella, desgleichen die Position des Rundfensters, das jedoch ebenso wie die Rundbogenfenster über den Türen zu den Seitenschiffen ursprünglich Maßwerkfüllungen hatten. An Alberti erinnern der Stufenbau vor der Kirche und die von klassischen Giebeln überfangenen drei Portale, welche dem Bauwerk die entscheidenden plastischen Akzente verleihen. Der glatte Travertin akzentuiert wirksam die Verblendung der Fassade mit ihrer auf hohe Postamente gesetzten Pilastergliederung. Die ausgewogenen Proportionen und die hohe Qualität der Fassade von S. Maria del Popolo werden deutlich, wenn man neben sie die gleichzeitige Fassade der von 1479 bis 1483 durch Giacomo da Pietrasanta erbauten Augustinerkirche S. Agostino stellt, die eine Stiftung des päpstlichen Kämmerers Kardinal d’Estouteville war. In den Grundmotiven mit S. Maria del Popolo vergleichbar, zeigt sich hier ein dekorativ-verspielter Umgang mit dem Vokabular, dem die architektonische Logik fehlt, wie am abgeflachten und flach abgeschnittenen Tympanon deutlich wird, das als Attika zwischen Erd- und Obergeschoss eingeschoben ist und als dessen Ursache sich das Rundfenster zu erkennen gibt. Auffällig sind die üppig ausgestatteten Anschwünge des Mittelteils, die wie in S. Maria Novella mit großen dekorativen Voluten verziert wurden, die ein Leitmotiv der späteren römischen Fassaden wurden.