Die Architektur unter Pius II. und Paul II.

Unter Kalixtus III. (reg. 1455–1458), dem Nachfolger Nikolaus’ V., stagnierte die päpstliche Bau- und Kunstförderung. Erst Pius II. Piccolomini (reg. 1458–1464) zeigte wieder ein dezidiertes Interesse an der Kunst, richtete aber seinen Ehrgeiz vor allem auf die Nobilitierung und Verschönerung seiner Heimatstadt Pienza >L.IV.9. Er gilt als einer der ersten Päpste, die den Nepotismus, d.h. die auf die eigene Familie und Anhängerschaft konzentrierte Politik der Pfründen, Privilegien und sonstiger ertragreicher Begünstigungen, unverhohlen praktizierten. Seine Begünstigung nahe stehender Verwandter rechtfertigte er mit der pietas antiken Verständnisses, die als Fürsorge für die Götter und die Familie galt. Auf Pius II. geht der Auftrag zu einem Werk zurück, dessen Verlust die Kunstgeschichte trotz der an ihre Stelle getretenen Malereien von Raffael sehr beklagt: Im April 1459 wurde Piero della Francesca für „certe dipinture“ in der „camera della Santità di Nostro Signore“ bezahlt. Bei diesem Schlafzimmer des Papstes handelt es sich laut Vasari um die heutige Stanze des Heliodor, die 1513 unter Julius II. neu ausgemalt wurde >L.XIII.5. Weiterhin veranlasste Pius II. die Errichtung einer dreigeschossigen Benediktionsloggia vor Alt- St. Peter, deren Architektur von der älteren Forschung mit Alberti in Verbindung gebracht wurde, die heute jedoch als Werk von Francesco del Borgo gilt >L.VII.3.

Der vierachsige Prospekt, mit dem nur die an den Palast grenzende Hälfte der Basilika verblendet wurde, fand für das Problem der Verbindung zwischen Säulenordnung und Pfeilerarkade erstmals eine im Sinne Vitruvs korrekte Lösung. Der antike Prototyp dieser Gliederung ist das republikanische Staatsarchiv (Tabularium) auf dem Kapitol. Das ursprünglich in ganzer Front zum Forum Romanum hin geöffnete erste Geschoss dieses Tuffquaderbaues besteht aus Vierkantpfeilern, auf denen die Mauerbögen ruhen und denen Halbsäulenvorlagen aufgeblendet sind, die das Gebälk tragen. Dieses architektonische Element, das auch an anderen antiken römischen Bauten vorkommt (Marcellustheater, Forum Holitorium), löst den Konflikt zwischen Pfeiler und Säule und lässt sich, modifiziert nach den vier klassischen Ordnungen (dorisch, ionisch, korinthisch, komposit), problemlos auf mehrgeschossige Fassaden applizieren. Das für Alberti und die Architekten der Renaissance maßgebliche Beispiel für die Superposition der vier Ordnungen, lieferte das römische Kolosseum, von dem auch die Gliederung der Benediktionsloggia von Alt-St. Peter inspiriert war.

Nach dem Tode Pius’ II. wurde 1464 der aus Venedig stammende Pietro Barbo, ein Neffe Papst Eugens IV. gewählt, der den Namen Paul II. annahm. Seinem Pontifikat (1464–1471) verdankt Rom den imposanten Palazzo Venezia, den Barbo schon als Kardinal begonnen hatte, um ihn nach seiner Wahl zur Papstresidenz ausbauen zu lassen. Dieser Palast ist das erste monumentale römische Bauunternehmen des 15. Jahrhunderts. Er markiert den Beginn der römischen Palastarchitektur, auch wenn er von außen eher als Mischung zwischen einer Burg – mit Zinnenbekrönung und Turm als Relikten der Verteidigungsfunktionen älterer römischer Familienresidenzen – und einem urbanen Wohnsitz erscheint. Architekt des Palastes war der Humanist und päpstliche Beamte Francesco del Borgo, der schon unter Nikolaus V. zur Kurie gehört hatte und von dem man annimmt, dass er Kontakte zu Alberti hatte. Grundriss und Anlage beinhalten Motive, die schon früher – vor allem im Lateran – ausgebildet worden waren, da sie den Bedürfnissen einer klerikalen Hofhaltung entsprachen. Die Verbindung von Palast und Kirche artikuliert sich in der vollständigen Ummantelung der Kirche durch den mächtigen Kubus des Palastes, der sich nur in einem aufwändigen zweigeschossigen Vorbau zum Platz hin öffnet. Die unregelmäßige Abfolge der Fenster und die enorme Höhe der Geschosse, die durch kräftige Gesimse unterteilt werden, sowie die mit Travertin eingefassten Kreuzfenster sind auch für andere römische Paläste der Zeit typisch, etwa den 1451 begonnenen Palast des Kardinals Domenico Capranica.

Der Grundriss des Palazzo Venezia beschreibt ein gestrecktes Rechteck und schließt einen weitläufigen Innenhof ein, der von einer zweistöckigen Loggia umlaufen wird, eine Konstellation, die für den römischen Palastbau maßgeblich werden sollte. An diesem Hof, der nur teilweise ausgeführt wurde, lässt sich die römische Lösung des „Eck-Konflikts“ studieren, der mit Hilfe des sogenannten Tabularium-Motivs gelöst wird. An die Stelle des quadratischen Pfeilers tritt ein L-förmig geknickter Pfeiler, in dessen Innenwinkel zwei Viertelsäulensegmente aneinander geschoben sind. Das hohe Postament gibt den Säulenvorlagen eine körperhafte und schlanke Erscheinung, zu der auch der poröse Travertin beiträgt. Die Superposition ist nicht ganz korrekt, da auf die toskanisch-dorische Ordnung des Erdgeschosses eine korinthische Ordnung folgt, deren Kapitelle nicht dem antiken Kanon folgen. Zum Palast gehörte ehemals ein über Eck stehender kleinerer Palast, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts versetzt wurde. Auch er beherbergt einen mit Loggien versehenen Innenhof, der zum privaten Gebrauch des Amtsinhabers diente. Die Innendisposition des Palazzo Venezia gilt als erstes Beispiel einer die gesamte Raumabfolge des Piano nobile erfassenden Enfilade, bei der die Türöffnungen der Raumabfolge auf einer Achse aufgereiht sind. Dieses Prinzip wurde später entscheidend für die Innendisposition von Schlössern. Von der ursprünglichen Innenausstattungdes Palazzo Venezia ist nicht viel erhalten. Lediglich die Sala del Mappamondo, in der sich ursprünglich eine gemalte große Weltkarte befand, bewahrt die Bemalung aus dem 15. Jahrhundert, bestehend aus einer großen illusionistischen Säulenordnung, die einen gemalten Fries mit Porträtmedaillons trägt.

zu 3. Die Bauten Papst Sixtus’ IV.

Super(Supra)position

„Unter dem Ausdruck „Supraposition“ ist das Auftreten mehrerer Säulenstellungen übereinander an einem mehrgeschossigen Bau zu verstehen (nach Serlio 1566, IV, fol. 187 c). „(…) Heute verbindet sich mit diesem Begriff auch der Gedanke an die klassische Abfolge der Säulenordnungen - toskanisch, dorisch, ionisch, korinthisch, komposit - wobei […] nicht alle fünf Ordnungen an einem Bau vertreten sein müssen. Ausschlaggebend ist vielmehr das Prinzip, daß jeweils die stärkere Ordnung die schwächere zu tragen habe.“ (Christiane Denker Nesselrath: Die Säulenordnungen bei Bramante (Diss. Bonn 1984), Worms 1990, S. 100, nach Forssmann 1961). Antike Beispiele dieser Gliederung finden sich am Kolosseum, am Tabularium und am Marcellus-Theater in Rom, wo die Säulenordnungen auf massive Pfeilerarkaden appliziert sind. Entsprechend wird dieses Grundelement der Außengliederung als Tabularium- oder Theater-Motiv bezeichnet.