1. Der Begriff "Renaissance" und seine Geschichte
„Beim Klang des Wortes Renaissance sieht der Träumer vergangener Schönheit Purpur und Gold“ – mit diesem Zitat nach Johan Huizinga beginnt der Kulturhistoriker Peter Burke sein Werk „Die Renaissance“ [ersch. 1987; dt. Ausgabe 1991]. Burke lässt den Begriff unter der Voraussetzung gelten, dass man darunter nicht ein „Zeitalter in Purpur und Gold“ versteht oder „einen plötzlichen Einbruch der Moderne“, sondern „eingedenk der Errungenschaften des Mittelalters oder der außereuropäischen Welt" ein „Ensemble von Veränderungen in der abendländischen Kultur.“Die Erwartungen und Bilder, die sich mit dem Begriff verbinden, sind sehr unterschiedlich. Es muss daher zunächst eine Klärung der Vorgaben erfolgen, auf die sich dieser Überblick stützen wird. Die folgende Erörterung der begriffshistorischen Probleme liefert zugleich einen roten Faden für die Rezeptionsgeschichte zum Begriff und zur Epoche der Renaissance.
Kunsthistorische Epochenbegriffe stellen bekanntlich keine systematische Terminologie dar, sondern sind als traditionelle Verabredungsbegriffe anzusehen, die auf stilistischen Merkmalen und formalen Koordinaten beruhen, welche sich trotz verschwommener Ränder und problematischer Benennungen als flexible und anschauliche Raster für die grossen Zeitabschnitte bewährt haben. Die Etiketten und Schubladen, derer man sich bedient, werden zwar ständig hinterfragt, differenziert oder in Frage gestellt, aber sie bleiben gleichwohl praktikable Leitfäden für die sinnvolle Strukturierung des Fachwissens. Der formale Kanon der Stilgeschichte wurde in wesentlichem Maße durch Heinrich Wölfflin geprägt, auf dessen „System“ im Verlauf dieser Lektion genauer eingegangen wird > L. I.4.
Was aber versteht man unter der Renaissance, ein Begriff, der erstmals bei Pierre Belon (1517–1564) auftaucht und der mit „Wiedergeburt“ am angemessensten übersetzt ist? Zu Beginn des 16. Jahrhunderts erlebte der Topos von der Wiedergeburt seine Konjunktur bei den Humanisten, und entsprechend wurde er zunächst auf die in der Antike hoch stehenden Wissenschaften und auf die Literatur bezogen. Belon vergleicht diese kulturelle Wiedergeburt mit der Wiedergeburt der Natur im Frühling. Er knüpfte hiermit an ein Konzept an, das der Maler, Architekt und Kunstschriftsteller Giorgio Vasari (1511–1574) publik gemacht hatte, indem er den Topos der Wiedergeburt auf die künstlerische Entwicklung übertrug.