Erwin Panofsky

Die Vielseitigkeit der methodischen Ansätze, die Deutschland und den deutschsprachigen Raum zu einem Zentrum der Renaissanceforschung gemacht hatten, fand während der NS–Zeit ein abruptes Ende. Die prominenten Vertreter dieser Forschungsrichtung – hier sind vor allem Fritz Saxl, Erwin Panofsky, Hans Baron und Paul Kristeller zu nennen – gingen nach 1933 in die Emigration. Warburg war bereits 1929 gestorben, seine Bibliothek kam kurz darauf nach London. Damit fand die Renaissanceforschung in den USA und England ihr neues Domizil. Hier wurde weiter an den Themen und Fragestellungen geforscht, welche die Renaissance als ein vor allem für Italien spezifisches kulturelles Phänomen mit europäischer Relevanz begriffen.

Kristeller, einer der bedeutendsten Erforscher der Renaissance und des Humanismus im 20. Jahrhundert, hat ein Resümee der Auseinandersetzungen um den Renaissancebegriff gegeben, der nach seiner Ansicht von vielen Seiten, zumeist Historikern, entweder als problematisch und unbrauchbar (etwa Johan Huizinga) oder aber so aufgeweicht und ubiquitär verwendet wurde, dass er zumindest in der Philosophie und Literatur seine Prägnanz verloren hatte. Kristellers Absicht war es daher, eine „Landkarte des kulturellen Geschehens“ in Italien zu entwerfen, wozu es neben seiner Überzeugung von der epochalen Einheit der Vorstellung von topographischer Geschlossenheit bedurfte. Der von ihm hier nur am Rande gestreiften bildenden Kunst neidete er ihren glücklichen Umgang mit dem Begriff Renaissance.

Er bezog sich dabei explizit auf Erwin Panofsky, in dessen Aufsatz „Renaissance and Renascences“ (1944) einerseits die Wurzeln der Renaissance, andererseits aber auch frühere künstlerische Manifestationen eines bewussten Rückgriffs auf die Antike erstmalig thematisiert wurden. Die seit Burckhardt vergangenen 100 Jahre hatten ihre Wirkung getan: auf das normative Renaissancebild des 19. Jahrhunderts war ein kunsthistorisch ausdifferenziertes Verständnis gefolgt, das sich in Warburgs Einzelstudien zu ikonologischen und kunsttheoretischen Problemen exemplarisch kundgetan hatte. Panofsky gehörte zu den jüngeren Forschern, die unmittelbar in Warburgs Spuren traten und mit seinem  Aufsatz über die „Perspektive als symbolische Form“ griff er eines der Grundprobleme der Renaissance auf. 

In der ungeheuren Vielfalt der Themen und Ansätze Panofskys, von der seine über 200 Titel umfassende Publikationsliste zeugt, gelten einige prominente und bis heute maßgebliche Arbeiten der Renaissance und dem von ihr absorbierten und umgearbeiteten antiken Erbe. Eine Synthese dieser Ansätze enthalten die Untersuchung von Dürers Melencolia I von 1923 oder die Studie über Herkules am Scheidewege und andere antike Bildstoffe in der neueren Kunst von 1930. Panofsky misst die „Renaissance“ vor allem an der Wiedereinsetzung der Antike als der maßgeblichen Instanz für das ästhetische und geistige Wertesystem. Dazu gehören die vitruvianische Tradition der Säulenordnungen, der antike Kontrapost der Statue und die Zentralperspektive. An der Existenz einer epochalen Zäsur hatte Panofsky ebenso wenig Zweifel wie Kristeller.

Aber er kleidete diese Gewissheit in eine Frage: „Erstens: Gab es so etwas wie eine Renaissance, die in Italien in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts begann, im 15. Jahrhundert ihre klassizistischen Neigungen auf die bildenden Künste ausdehnte und in der Folge ihre Spuren in der gesamten Kultur des übrigen Europa hinterließ? Und zweitens: Wenn das Vorhandensein einer solchen Renaissance bewiesen werden kann, was unterscheidet sie dann von solchen Wellen der Wiederbelebung, die in der Tat im Mittelalter stattgefunden haben? Unterscheiden sich diese Wiederbelebungen untereinander nur dem Grad oder auch der Art nach?"

Panofskys Untersuchung dieser verschiedenen Revivals der Antike und ihrer Symptome förderte Bausteine des Weiterlebens und der Wiederentdeckung der Antike in verschiedenen Zeiten und an unterschiedlichen Orten zutage. Er beginnt mit der ‚karolingischen renovatio’ und geht dann auf die ‚mediterrane Protorenaissance’ des 12. und 13. Jahrhunderts ein, an der er die interpretatio christiana antiker Motive und Figuren durch das Mittelalter festmacht. Auf der nächsten Stufe steht für ihn die reactivation klassischer Konzepte im 13. und 14. Jahrhundert – in diese Kategorie fällt etwa Nicola Pisanos Personifikation der Fortitudo in Gestalt des Herkules an der Kanzel des Pisaner Baptisteriums. Für die folgende Phase übernimmt Panofsky die Vorstellung Vasaris von den primi lumi, also den ersten Lichtern, welche die Kunst des 14. Jahrhunderts erleuchten, allen voran Giotto. Dennoch ist der Umgang des 14. Jahrhunderts mit dem klassischen Erbe von dem principle of disjunction gekennzeichnet, wie Panofsky das vereinzelte Zitieren von antiken Motiven nennt.

In diese Gruppe gehören für ihn auch noch die antikischen Tugend-Figürchen an der Porta della Mandorla des Florentiner Doms von ca. 1391–1396. Erst das 15. Jahrhundert, das Panofsky unter den Titel Rinascimento dell’antichità stellt, ist für ihn die eigentliche Renaissance. Was er darunter versteht, macht er mit dem folgenden bekenntnishaften Bild deutlich (hier übersetzt): „Das Mittelalter hatte die Antike unbegraben gelassen und sie je nach Bedarf galvanisiert oder exorziert. Die Renaissance stand weinend am Grab der Antike und versuchte ihre Seele wiederzuerwecken. Und in einem schicksalhaften Augenblick geschah dies dann tatsächlich. Aus diesem Grund war die mittelalterliche Vorstellung von der Antike einerseits so konkret und andererseits so unvollständig, während die moderne Vorstellung, die sich stufenweise in den letzten drei- oder vierhundert Jahren entwickelt hat, so leicht verständlich und konsequent erscheint, und zugleich abstrakt. Und während die mittelalterlichen Renaissancen vorübergehend (transitorisch) waren, ist die Renaissance dauerhaft (permanent). Auferstandene Seelen sind unberührbar und haben den Vorzug der Unsterblichkeit und der Omnipräsenz. Daher ist die Rolle der klassischen Antike nach der Renaissance schwer faßbar, aber auf der anderen Seite durchdringend („pervasive") und wird sich nur mit einem grundsätzlichen Wechsel der Zivilisation ändern.

Panofskys pathetisches Bekenntnis zu Vasaris Renaissancebegriff war der Grund für die Kritik, die sein Ansatz später hervorrief. Die Überzeugungskraft dieses Modells sah Panofsky in der anschaulichen Evidenz von künstlerischer Entwicklung, dessen Gerüst das chronologische Dreistufenmodell ist, und an der Trias der drei künstlerischen Gattungen, die Vasari durch seinen Begriff des Disegno geeint hatte. Eine Gefahr der Methode der Ikonologie, mit der Panofskys Name sich verbindet, wurde später darin gesehen, dass sie bei den Epigonen eine „Kunstgeschichte ohne Kunstwerk“ hervorgebracht habe.

zu 6. Neuere Renaissanceforschung

Disegno

 

Der Begriff leitet sich vom lateinischen designare (bezeichnen, zeichnen, im Umriss darstellen) ab und bedeutet Zeichnung sowohl als künstlerische Idee, Entwurf und als geistiges Konzept in einem religiösen Sinne. Der disegno ist der zentrale Begriff der bildenden Kunst der Renaissance in Italien und entwickelt sich zwischen Anfang des 15. bis Ende des 16. Jahrhunderts zu einer eigenständigen Kategorie. Er wird mit dem heutigen Begriff der Zeichnung nicht sinnvoll übersetzt, da disegno kein beliebiges Zeichnen oder Entwerfen bezeichnet. Die maßgebliche Kunsttheorie der Zeit sieht im disegno das herausragende Mittel in dem sich die Idee Gottes konkretisieren soll.
Nach Giorgio Vasari entspricht der disegno: „der Urgestalt oder dem Urbild jeder Naturerscheinung". Es ist: "der Vater unserer drei Künste, Architektur, Bildhauerei und Malerei, entspringt dem Geist und holt aus allen Dingen ein allgemein geistiges Element, gleich einer Form oder Idee aller Dinge der Natur."

 

Weiterführende Links:

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