Der Palazzo Caprini und seine Varianten

Als erstes profanes Bauwerk, das Bramante in Rom errichtet hat, gilt der nicht erhaltene Palazzo Caprini in der unter Alexander VI. neu angelegten via Alessandrina nahe St. Peter. Er wurde nach 1501 für einen Beamten der Kurie begonnen, 1517 von Raffael erworben und bewohnt, und nach späteren Veränderungen um 1930 im Zuge der Baumaßnahmen für die via della Conciliazione abgerissen. Seine fünfachsige, durch Zeichnungen und Stiche überlieferte Fassade gilt als Inkunabel des römischen Stadtpalastes der Hochrenaissance. Ursprünglich wohl dreigeschossig geplant, gelangten nur das Erdgeschoss und das piano nobile zur Ausführung. Das Sockelgeschoss gliedert sich in fünf hohe Arkaden aus unregelmäßigem Bossenwerk, unter denen sich auf jeder Seite zwei spiegelbildlich aufeinander bezogene Ladeneinbauten befanden, zu denen auch ein Mezzanin mit unterschiedlich geformten Fenstern gehörte. Das Bossenwerk bestand aus stuckierten Formziegeln, einem bereits der Antike bekannten Material, dessen Wiedereinführung Bramante zugeschrieben wird. Das pano nobile wurde durch eine dorische Ordnung mit gekuppelten Halbsäulen auf hohen Piedestalen gegliedert, die mit Ädikulafenstern alternierten. Anstelle der Metopen befanden sich zwischen den Triglyphen des dorischen Gebälks die Fenster des oberen Mezzaningeschosses. Ihre starken plastischen Akzente erhielt die Fassade durch die Fensterbalustraden und die durch eine Vollsäule markierten Ecken sowie durch den Kontrast zwischen dem rustizierten Ladengeschoss und dem Wohngeschoss. Trotz der grandiosen Formensprache handelte es sich um ein durch die Fassade nobilitiertes Haus mittlerer Größe, das in seiner Grundform auf antike römische Häuser zurückgeht, bei denen über dem an viele Nutzer vermieteten Ladengeschoss das Wohngeschoss lag. Diese doppelte Nutzung wurde maßgeblich für die römische Palastarchitektur und trug zum Erfolg dieser neuen Typologie bei.

Mehrere Bauten lassen sich auf das Vorbild des Palazzo Caprini zurückführen, darunter Raffaels Palazzo Alberini und der erst nach Raffaels Tod begonnene Palazzo Caffarelli-Vidoni, von dem nur die sieben Achsen der linken Hälfte dem ursprünglichen Projekt angehören. Eine reichere Variante dieses Typs war Raffaels nicht erhaltener Palazzo Branconio dell’Aquila(1519), ein fünfachsiger Bau, dessen Außengestalt durch mehrere Zeichnungen überliefert ist. Die flache Gliederung des Erdgeschosses durch Pfeilerarkaden, unter denen die vier Läden und ihre Magazine im Halbgeschoss zusammengefasst werden, die sich einer Ordnung aus dorischen Halbsäulen einfügen, folgt dem als Theatermotiv bezeichneten Vorbild des antiken Marcellustheaters. Über dem schmucklosen Sockelgeschoss entfaltet sich ein hohes und ungewöhnlich reich instrumentiertes Hauptgeschoss. Die von Rundnischen flankierten Ädikulafenster ionischer Ordnung sind alternierend mit Segment- bzw. Dreiecksgiebeln überdacht und durch ein verkröpftes Gebälk verbunden, das sie vom Mezzaningeschoss trennt. Dessen plastischer Dekor aus Girlanden und Bildnismedaillons kulminiert in der Mittelachse mit einem überdimensionalen Wappenschild. Im niedrigeren dritten Geschoss alternieren die Fenster mit eingelassenen Reliefplatten, während das Kranzgesims von einer Balustrade bekrönt ist. Die Dominanz dekorativer Elemente in der Fassade nimmt eine Entwicklung vorweg, die in den kommenden Jahrzehnten an Bedeutung gewinnen sollte: Die Fassade wird zu einer Schauwand, die sich von den Regeln der Tektonik löst und zur Bilderwand für gemalte oder skulpturale Programme wird. Ein markantes Beispiel dafür bietet die ab 1549 errichtete Fassade des Palazzo Capodiferro-Spada in Rom, die sich eng an das Vorbild des Palazzo Branconio anlehnt.

 

zu 2. Palazzo Pandolfini und Palazzo Farnese

Super(Supra)position

„Unter dem Ausdruck „Supraposition“ ist das Auftreten mehrerer Säulenstellungen übereinander an einem mehrgeschossigen Bau zu verstehen (nach Serlio 1566, IV, fol. 187 c). […] Heute verbindet sich mit diesem Begriff auch der Gedanke an die klassische Abfolge der Säulenordnungen - toskanisch, dorisch, ionisch, korinthisch, komposit - wobei […] nicht alle fünf Ordnungen an einem Bau vertreten sein müssen. Ausschlaggebend ist vielmehr das Prinzip, daß jeweils die stärkere Ordnung die schwächere zu tragen habe.“ (Christiane Denker Nesselrath: Die Säulenordnungen bei Bramante (Diss. Bonn 1984), Worms 1990, S. 100, nach Forssmann 1961). Antike Beispiele dieser Gliederung finden sich am Kolosseum, am Tabularium und am Marcellus-Theater in Rom, wo die Säulenordnungen auf massive Pfeilerarkaden appliziert sind. Entsprechend wird dieses Grundelement der Außengliederung als Tabularium- oder Theater-Motiv bezeichnet.