Dissertation Claudia Caesar

Dr. des. Claudia Caesar
Der „Wanderkünstler“ – ein kunstwissenschaftlicher Mythos?

Dissertation, abgeschlossen im Juli 2006 – Publikation in Vorbereitung
Universität Gesamthochschule Kassel

Die Studie betrachtet die Geschichte der Kunstgeschichte und die Geschichte der Kunst vom Blickwinkel einer semantischen Konstruktion aus: Bei dem Terminus „Wanderkünstler“ handelt es sich um einen weitgehend auf den Fachjargon der mittelalterlichen Kunstgeschichte begrenzten Begriff, der allerdings keine fachsprachliche Definition erfahren hat und dessen Bedeutung deswegen auf allgemeine, dem jeweiligen Forscher zugängliche und veränderliche Vorstellungen rekurriert. In der Arbeit werden am Beispiel des Wanderkünstlerbegriffes kunsthistorische Positionen der letzten 150 Jahre – um nur einige Namen zu nennen: Karl Schnaase, Georg Dehio, Wilhelm Pinder, Alfred Stange, Harald Keller, Enrico Castelnuovo – in ihrer historischen Bedingtheit analysiert und damit auch zentrale Methoden klassischer Kunstgeschichte, so das Kreieren von Meisterthesen, Zuschreibungspraktiken, Einflussvermittlungsthesen etc. überprüft.
Die Untersuchung verdeutlicht, dass der Wanderkünstlerbegriff weniger eine nachweisbare Lebensweise mittelalterlicher Künstler beschreibt als ein spezifisch modernes Künstlerbild, das in der Romantik entstand – man denke an Joseph von Eichendorff und Tiecks Sternbald – und das somit in den Bereich des wissenschaftlichen Mythos zu stellen ist.
Der Begriff taucht vor dem Ersten Weltkrieg in der kunsthistorischen Forschung auf, nicht zufällig zu einem Zeitpunkt, als die deutsche Wanderbewegung einen Höhepunkt erreichte und sich die Forschung verstärkt mit kunstgeographischen Konzepten beschäftigte. Die nach Stilkriterien vorgehende Ordnung des Materials nach Regionen und Nationen wurde mit übergeordneten Sinnaussagen gekoppelt, der Stil als von Volk, Rasse, Stamm oder anderen Entitäten bestimmt gesehen – der „Wanderkünstler“ diente an dieser Stelle als willkommenes Erklärungsmodell für fremde Einflüsse in der Stilentwicklung und die Rekonstruktion ganzer Künstleritinerare in den Epochen der noch nicht durch Quellen belegbaren Biographien. In den Einzeluntersuchungen solcher Künstlerbiographien, von Roger von Helmarshausen über den Naumburger Meister bis hin zu Nicolaus Gerhaert von Leiden, wird immer wieder deutlich, dass das kunsthistorische Erklärungsmodell des wandernden Künstlers einer kunstimmanenten Erklärung Vorschub leistete und andere, vom Umfeld bedingte Erklärungen für Stiltransfer, wie z. B. Handel, dynastische Beziehungen, Anspruchsniveaus, Musterbücher etc., in den Hintergrund drängte. Eben diese Faktoren wurden erst in der neueren Forschung, die ein revidiertes kunstgeographisches Denken aufgegriffen hat, wieder betont, ein Bereich, innerhalb dessen auch der seltsam hybride Begriff des „Wanderkünstlers“ eine positive Renaissance und ein zukunftsträchtiges Potential eröffnen kann. Ein Ausblick auf den modernen Kunstnomaden, hier wird beispielsweise Joseph Beuys und die Land-Art behandelt, zeigt, dass diese Konzepte in Zeiten der Globalisierung alles andere als veraltet sind.
 
Kontakt: claudia-caesar AT gmx.de