Rezension

Stefanie Knöll: (Hg.) Totentanz Reloaded. Zum Verhältnis von Original und Reproduktion, Düsseldorf: düsseldorf university press 2011, 209 S., ISBN 978-3-940671-83-7, 19.80 EUR
Buchcover von Totentanz Reloaded
rezensiert von Birgit Ulrike Münch, Fach Kunstgeschichte, Universität Trier

Die Originalität der Reproduktion und nicht die Reproduktion des Originals in den Fokus zu nehmen ist ein Ansatz, von dem gerade im vergangenen Jahrzehnt in verschiedensten Abhandlungen und Ausstellungskatalogen ausgegangen worden ist. [1] Der 2011 in der Schriftenreihe der Grafiksammlung "Mensch und Tod" erschienene Band: Totentanz Reloaded! Zum Verhältnis von Original und Reproduktion geht auf ein im Wintersemester 2010/11 abgehaltenes Seminar an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zum Thema "Kunst - Bild - Reproduktion" zurück und vereint Beiträge von Studierenden mit jenen von bereits etablierten Wissenschaftlern. Der Totentanz als multimediales Phänomen eignet sich aus verschiedenen Gründen zur Untersuchung der Reproduktion, so ist etwa in vielen Fällen ein "doppelter Medienwechsel" zu beobachten, der sich vom Totentanz als Wandmalerei zur Druckgrafik zieht, welche wiederum die Vorlage für ein neues Monumentalprojekt bietet. Die Totentänze in Chur und Basel legen hiervon etwa Zeugnis ab.

Das Forschungsthema Totentanz ist nicht zuletzt durch die vielschichtigen interdisziplinären Forschungen der Europäischen Totentanzvereinigung kontinuierlich aufgearbeitet worden. [2] Der vorliegende Band hat es sich zur Aufgabe gemacht, Abhängigkeiten zwischen Original und Reproduktion von Totentänzen in Detailanalysen zu beleuchten.

Die ersten beiden Aufsätze führen anhand methodologischer Vorüberlegungen in die Thematik ein. Stephan Brakensiek ist in seinem Aufsatz sowohl um eine terminologische Schärfung der unterschiedlichen Begriffe bemüht und gibt andererseits auch eine allgemeine Einführung in Anspruch, Wertung und Probleme der Reproduktionsgrafik. Am Beispiel der Druckgrafiken Giulio Sanutos, Niccolò Nellis und des Meisters IHS werden deren unterschiedliche Variationen von Tizians um 1553 entstandenes Gemälde "Venus und Adonis" beleuchtet. Die druckgrafische Reproduktion, so resümiert er, ist ein Produkt einer sich wandelnden Sicht auf die Künste, quasi ein Seismograf für Wertungen und Interpretationen, die in einer bestimmten Zeit über ein bestimmtes Kunstwerk aussagbar sind - und dadurch für den heutigen Wissenschaftler in vielen Fällen die Interpretation erleichtern. Sie ist unter diesem Gesichtspunkt bisweilen der Textquelle überlegen. Lena Bader stellt eines, wenn nicht das Schlüsselwerk kunsthistorischer Auseinandersetzung mit dem Thema Original und Kopie vor: die sich seit wenigen Jahren in der Sammlung Würth in Schwäbisch Hall befindliche Madonna des Bürgermeisters Meyer zum Hasen von Hans Holbein. Bader versteht den Holbein-Streit als Bilderstreit um die Theorie und Praxis von Reproduktionen, der einen wahren Reproduktionsboom in der Druckgrafik auslöste, wie der Aufsatz einleuchtend aufzeigt und daher von "multiplen Implikationen der vielfältigen Bezugsmöglichkeiten von Original und Kopie" (55) spricht. Anhand der unterschiedlichen Interpretationen und Rekonstruktionen von Grüder, Knackfuß, Reinhardt und Schmidt wird deutlich, dass die Reproduktion durch die Distanz zum Original ein Stück weit reicher, voller und "originaler" als das Original selbst erscheint.

Neben dem allgemein in die Thematik der Reproduktion einführenden Abschnitt ist das zweite Kapitel dem Phänomen des monumentalen Totentanzes gewidmet. Ausgangspunkt der ersten beiden Untersuchungen ist der Basler Totentanz, der in den Kupferstichen Matthäus Merians zum Gegenstand genommen wird. Der Aufsatz von Jennifer Liß widmet sich den Buchausgaben des 18. und 19. Jahrhunderts, während Feodora Heupel HAP Grieshabers Holzschnitte zum Totentanz Merians Folge gegenüberstellt. Der 1463 von Bernd Notke geschaffene und nach 1701 durch Kopien Anton Wortmanns ersetzte Lübecker Totentanz diente als Vorlage des Zyklus von Herwig Zens, dessen vielschichtiger Verknüpfung von Original und Kopie sich der Aufsatz von Angelika Gwozdz widmet.

Der Frage nach der Dokumentation und Bestandsaufnahme des monumentalen Berliner Totentanzes, der im Jahr 1860 wiederentdeckt worden war, widmet sich der Aufsatz von Franziska Pickardt. Wie werden "Leerstellen", beschädigte und schwer rekonstruierbare Stellen in diesen Publikationen wiedergegeben? Der dritte Teil des Buches beleuchtet aus völlig unterschiedlichen Blickwinkeln in fünf Beiträgen Hans Holbeins "Bilder des Todes". Hans Aldegrevers Totentanzfolge bildet nur drei Jahre nach den Holzschnitten Holbeins eine Variation desselben im Kupferstich, und ist daher ein wichtiger Gegenstand zur Gesamtthematik im Beitrag von Saskia Franzen. Die Churer Todesbilder, Lithografien, zu denen die Autorin die Vorlagenzeichnungen entdeckte, stehen im Fokus des Aufsatzes von Gaby Weber. Ein herausragendes Beispiel von Medienwechseln innerhalb der Reproduktionen ist der monumentale Kukusbader Totentanz, der Holbeins Werk als Vorbild nahm, hiernach jedoch zurück zur Grafik gelangte, da er erneut in eine Kupferstichfolge eingearbeitet wurde. Diese Folge, die nun zusätzlich im Verein mit begleitendem Text stand, wird von Sabrina Pompe erarbeitet. Einen literarischen Totentanz, der sich die Holbeinschen Grafiken zum Ausgangspunkt nahm, stellt Johanna Mertas in ihrem Aufsatz vor: Ludwig Bechstein (1801-1860) war selbst ein begeisterter Sammler von Totentanz-Grafiken und stellte seinen Texten 48 Radierungen nach Holbein voraus, die der Leiter des Kupferstichkabinetts der Dresdner Galerie Frenzel geschaffen hatte. Auch dieser Medienwechsel, nun in anderer Richtung vollzogen, bildet ein wichtiges Beispiel bei der Untersuchung der Holbeinschen Vorlagen. Der sogenannte und von Friedrich Egger ironisch als 'Formschnitt-Krieg' bezeichnete Gelehrtenstreit um Christian von Mechels Œuvre de Jean Holbein und die Originalitätsdebatten des 19. Jahrhunderts sind abschließend das Thema des Aufsatzes von Stefanie Knöll. Auch hier schuf der Künstler keine authentische Wiedergabe des Holbeinschen Originals, sondern vielmehr ein neues Original und transferierte damit die Folge in den ästhetischen Geschmack wie die stilistische Handschrift des 18. Jahrhunderts. [3] Wie Knöll treffend formuliert generierten die Kupferstiche darüber hinaus durch "ihre Vermarktung als Ur-Original selbst neue Debatten, die in der Folge auch bei der Betrachtung des ursprünglichen Holzschnitte des frühen 16. Jahrhunderts stets mitgedacht wurden." (201)

Der vorliegende Band beweist, dass ein studentisches Projekt vor und mit dem Original durchaus neue Forschungsergebnisse anhand von gut recherchierten Einzelstudien vorzulegen im Stande ist. Das Thema, das einem Sammlungsschwerpunkt der Grafiksammlung geschuldet ist, der über 3000 Einzelblätter sowie 200 Bücher umfasst, ist klug gewählt und vor allem von unterschiedlichsten Seiten, mit umfangreichem Quellenmaterial - zu nennen ist hier etwa im Besonderen die Wissenschaftsliteratur des 18. und 19. Jahrhunderts - angegangen worden. Gerade die Vielzahl an Fragestellungen an das Phänomen Totentanz machen den Wert des Buches aus.

Es bleibt zu hoffen, dass weitere gelungene studentische Projekte den Weg ins gedruckte Wort finden, und dass die Leserinnen und Leser sich von dem Obertitel des Buches "Totentanz reloaded" nicht irreführen lassen, denn das Buch hat Erkenntnisse zu Reproduktion, Original und Kopie zu bieten, die über den tanzenden Tod hinaus auf eine Vielzahl anderer Bildthemen durchaus übertragbar sind.


Anmerkungen:

[1] Aktuell etwa Ariane Mensger: Déja-vu. Von Kopien und anderen Originalen, in: Dies.: Déjà-vu? Die Kunst der Wiederholung von Dürer bis YouTube, Kat. Ausst. Staatliche Kunsthalle / Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, Bielefeld / Berlin 2012, 30-45; Stephan Brakensiek / Michel Polfer (Hgg.): Graphik als Spiegel der Malerei. Meisterwerke der Reproduktionsgraphik 1500-1830, Kat. Ausst. Luxembourg, Mailand 2009; Norberto Gramaccini / Hans Jakob Meier: Die Kunst der Reproduktion. Französische Reproduktionsgraphik 1648-1792, Berlin / München 2003; Katharina Krause / Klaus Niehr / Eva-Maria Hanebutt-Benz (Hgg.): Bilderlust und Lesefrüchte. Das illustrierte Kunstbuch von 1750 bis 1920, Kat. Ausst. Mainz 2005, Leipzig 2005.

[2] http://www.totentanz-online.de / Uli Wunderlich: Zwischen Kontinuität und Innovation - Totentänze in illustrierten Büchern der Neuzeit, in: "Ihr müsst alle nach meiner Pfeife tanzen": Totentänze vom 15. bis 20. Jahrhundert aus den Beständen der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel und der Bibliothek Otto Schäfer in Schweinfurt, hg. von Hartmut Freytag / Winfried Frey, Ausst. Kat. Wolfenbüttel, Wiesbaden 2000, 137-202.

[3] Zum Gesamtphänomen der Mappenwerke über Mechels Œuvre hinaus: Claudia-Alexandra Schwaighofer: Von der Kennerschaft zur Wissenschaft. Reproduktionsgraphische Mappenwerke nach Zeichnungen in Europa 1726-1857, Berlin / München 2009.


Birgit Ulrike Münch

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Birgit Ulrike Münch: Rezension von: Stefanie Knöll: (Hg.) Totentanz Reloaded. Zum Verhältnis von Original und Reproduktion, Düsseldorf: düsseldorf university press 2011
in: KUNSTFORM 13 (2012), Nr. 9,

Rezension von:

Birgit Ulrike Münch
Fach Kunstgeschichte, Universität Trier

Redaktionelle Betreuung:

Hubertus Kohle