Isabella d'Este und die Mantuaner Hofkunst
Um besser zu verstehen, mit welcher Gewaltsamkeit der neue und in seiner provokativen Sinnlichkeit grobe Stil in Mantua einbrach, reicht ein Blick auf die künstlerische Situation, die dort unter Isabella d’Este (1474–1539), der kunstsinnigen und hochkultivierten Mutter des Federico Gonzagas, dominiert hatte. Einer ihrer bedeutsamsten Aufträge waren die Gemälde für ihr Studiolo im Castello San Giorgio, das der wichtigste Raum ihrer privaten Wohnung war. Nach einem Besuch in Urbino hatte sie ab 1496 bei mehreren Künstlern Gemälde in Auftrag gegeben, deren Rahmenthema der Kampf zwischen Tugend und Laster (Castitas und Voluptas) ist. Zum Bildprogrammdes Raums gehörten neben zwei Gemälden von Mantegna ein Werk von Perugino und zwei Bilder ihres aus Ferrara stammenden Hofmalers Lorenzo Costa. Als Isabella d’Este 1519 in einen anderen Teil des Palastes, die Corte Vecchia, umzog, nahm sie die Ausstattungsgegenstände ihres Studiolomit und ließ sie dort neu arrangieren. Auch die fünf Gemälde, die nur ein Teil des ursprünglich geplanten Programms waren, wurden in das neue Studiolo überführt, das durch eine zweiten, kaum weniger aufwändigen Raum ergänzt wurde, die sogenannte Grotte (grotta), der ihre Sammlung von Kameen, Medaillen und kleinformatigen Skulpturen aufnahm. Der erlesene Geschmack der Markgräfin stand inhaltlich und formal in eklatantem Gegensatz zu dem effektvollen, aber auch etwas vulgären Stil, den ihr Sohn bevorzugte. Was beide verband, war jedoch das Prinzip, in einem Raumprogramm die Werke mehrerer Maler zu vereinen. So wie Isabella alle bedeutenden Künstler ihrer Generation kontaktiert hatte, um in den Besitz ihrer Werke zu kommen, richtete sich auch Federico Gonzagas Bestreben auf die stilistische Mannigfaltigkeit der Kunstwerke. Dieses Verlangen nach dem Neuesten und Besten, dem die Gonzaga-Sammlung ihre ehemalige Bedeutung als eine der qualitätsvollsten Kunstsammlungen des 16. Jahrhunderts verdankte, stand auch hinter den Mantuaner Aufträgen an Antonio Allegri, genannt Il Correggio, einen Künstler, der außerhalb des römischen Mainstreams stand, aber bereits unter die ganz Großen gerechnet wurde. Seinem Naturell und Geschmack entsprechend, bestellte Federico Gonzaga bei Correggio vier Gemälde mit den Lieben des Jupiter (Amori di Giove), von denen zwei als Geschenke für Kaiser Karl V. bestimmt waren.
Isabella Gonzaga dagegen orderte vermutlich gleichzeitig bei Correggio zwei Gemälde, die in der ikonographischen Tradition der Ausstattung ihres Studiolo standen, nämlich eine Allegorie auf die Tugend und eine Allegorie auf das Laster. Beide Bilder gehörten eine Zeitlang zum Wandschmuck ihres erwähnten zweiten Studiolo im Kastell von Mantua. Sie befanden sich „zu Seiten der Eingangstür“ und stellten laut einem Inventar von 1542 die Geschichte von Apollo und Marsyas, sowie die drei Tugenden Stärke Gerechtigkeit und Mäßigkeit dar. Die neuere Deutung der beiden Gemälde als Allegorie auf die Bestrafung des von seinen Leidenschaften gefangenen Menschen und als Krönung der von den Tugenden und der Astrologie begleiteten Weisheithebt den Zusammenhang der komplexen Thematik mit der Auftraggeberin und ihrem Horoskop und ihren Devisen hervor.