Der Hof der d’Este in Ferrara und das kulturelle Umfeld

In Ferrara herrschte seit dem 13. Jahrhundert das Geschlecht der d’Este, das sich schon früh durch die Förderung von Kultur und Kunst auszeichnete. Wie die meisten anderen ober- und mittelitalienischen Herrschaften waren auch sie zunächst nur im „Nebenberuf“ Landesherren, da ihr Hauptberuf der des condottiere war und ihre Haupteinnahmequelle die condotta, wie man die gegen Entgelt durchgeführten militärischen Unternehmungen nannte. Ihren Höhepunkt erreichte die aristokratisch geprägte Kultur Ferraras unter Leonello, Borso und Ercole d’Este, den drei nacheinander regierenden Söhnen von Niccolò III. (1393–1441), der seine Herrschaft als condottiere gefestigt und ausgebaut hatte. Er ließ Leonello durch den Humanisten Guarino da Verona (1374–1460) erziehen, einen der berühmtesten und erfolgreichsten Pädagogen der Zeit. Von 1429 bis 1460 lebte und wirkte Guarino in Ferrara, wo er an der seit 1391 existierenden Universität den Lehrstuhl für Rhetorik innehatte. Guarino erzog Leonello im Geiste Caesars, den er ihm durch ein Porträt Pisanellos als Vorbild für virtus, liberalitas und clementia nahegebracht haben soll. Zu diesem Behufe schenkte er ihm 1435 ein nicht erhaltenes Bildnis Caesars von Pisanello.

Dank dieser planvollen Implantation humanistischer Kultur, wie sie für die Generation der Söhne der condottieri typisch wurde, hatte Ferrara während des Konzils von 1438 eine Reihe von bedeutenden Persönlichkeiten angezogen. Auch nach der Verlegung des Konzils nach Florenz >L.II.3 blieben diese Kontakte wirksam und ermöglichten es Leonello, einen Kreis von angesehenen Humanisten und Dichtern um sich versammeln. Zu ihnen gehörte Leon Battista Alberti, der sich mehrfach in Ferrara aufgehalten hat. Leonellos künstlerische Vorlieben galten Pisanello, der ihn porträtierte und der in seinem Auftrag auch die Bildnisse anderer Zeitgenossen anfertigte, aber auch Jacopo Bellini und Rogier van der Weyden, von dem er über Agenten einige Werke erwarb. Rogier van der Weyden, der 1450 aus Anlass des Heiligen Jahres nach Rom gereist war, hat wahrscheinlich sogar in Ferrara Station gemacht. 1449 weilte dort auch Piero della Francesca und malte nach Vasaris Zeugnis eine Räume im Castello Estense aus. Von dieser Ausmalung, die wohl profane Szenen zum Inhalt hatte, hat sich nichts erhalten. Anders als bei Donatellos Aufenthalt in Padua, von dem ein nachhaltiger Einfluss auf die lokale Kunstszene ausging, gingen jedoch von Pieros Wirken in Ferrara keine neuen Impulse aus. Unter Leonellos Nachfolger Borso d’Este (1450–1471) zeichnete sich die ferraresische Malerei vielmehr durch grelle Farben, kapriziöse Erfindungen und bizarre Formen aus.

Dies trifft vor allem auf eines ihrer wenigen erhaltenen Hauptwerke zu, die Ausmalung des großen Saales (Salone dei Mesi) im Palazzo Schifanoia, den sich Borso d’Este nach 1466 als Jagd- und Sommerresidenz einrichtete. Die Maler, die hier gearbeitet haben, sind Francesco del Cossa, von dem das Bild zum Monat April stammt, und weitere namentlich nicht bekannte Maler, unter denen vermutlich auch Cosme Tura war, der damalige Hofmaler des Herzogs. Cossa beschwerte sich 1470 über die schleppende und geringe Bezahlung, die nicht dem materiellen Aufwand entsprach, der von ihm erwartet wurde. Kurz darauf verließ er Ferrara und ging nach Bologna. Zu diesem Zeitpunkt war der Salone dei Mesi aberwohl schon vollendet. Das Thema der großformatigen, aber kleinteilig wirkenden Wandbilder des Saales ist der unter dem Zeichen der Planetengötter und der Monatsdekane stehende Jahresablauf am Hof von Borso d’Este. Die Szenen des unteren Registers, in denen der Hof bei seinen diversen Verrichtungen zu sehen ist, werden als Ausdruck der herrscherlichen Tugenden interpretiert. Parallel zu ihnen stehen die Szenen im oberen Register, in denen die Triumphwägen der zwölf Planetengötter des Jahresablaufes dargestellt sind, flankiert von den sogenannten Planetenkindern, d.h. den im jeweiligen Sternzeichen geborenen und in Taten und Charakter von ihm geprägten Menschen.

Der mittlere Streifen, der die beiden Sphären voneinander trennt, ist den Personifikationen der Sternbilder vorbehalten, die nach ihren astrologischen Dekanen unterteilt sind. Der Monat April, der im Zeichen der Venus steht, die auf einem von Schwänen gezogenen Triumphwagen thront, ist den Liebespaaren und den Grazien vorbehalten. Im unteren Register sieht man rechts Borso d’Este mit seinem Hofstaat, wie er einem Hofnarren eine Münze überreicht. Links oben ist ein festliches Turnierzu sehen, das jährlich im April stattfand. Die Szene auf der linken Seite ist weitgehend zerstört, erkennbar ist jedoch noch die Gestalt des Herzogs mit seinem Gefolge. Auf der Kante des umlaufenden Sockels, der ehemals eine reiche und wahrscheinlich illusionistische Bemalung hatte, sitzt ein Höfling und lässt die Beine baumeln. Möglicherweise beabsichtigte Borso d’Este, der 1471 durch Papst Paul II. in den erblichen Herzogsstand erhoben wurde, mit seinem auf drei Ebenen spielenden Panorama des Jahresablaufs eine Verbildlichung der im Schutze der antiken Gottheiten stehenden guten Regierung (buon governo), der sich das Herzogtum Ferrara unter seiner Herrschaft erfreute.

Das Interesse der Kunstgeschichte an diesem flächenmäßig größten profanen Zyklus, der sich aus dem 15. Jahrhundert erhalten hat, hängt mehr mit dem in Einzelheiten bis heute nicht ganz geklärten Inhalt als mit seiner formalen Gestaltung zusammen, die bei allem erzählerischen Reichtum und trotz einiger hinreißender Szenen in ihrer Gesamtheit nicht entfernt an die suggestive Wirkung der Camera degli Sposi von Mantegna heranreicht. Ausgehend von der Untersuchung, die Aby Warburg dem Zyklus gewidmet hat, konzentrierte sich die spätere Literatur auf die Entzifferung des ikonologischen Programms. Warburgs Interesse galt vor allem den Personifikationen der „Dekane“ in den mittleren Registern. Dass er gerade von ihnen so fasziniert war, erklärt sich auch aus ihrer bizarren und abenteuerlichen Gestaltung. Der eigentliche Motor für Warburgs Interesse waren jedoch die hintergründigen Traditionen, die sich in diesem astrologisch strukturierten Zyklus kundtun. Als Quelle für die Gestalten der Dekane hat Warburg die Beschreibungen des arabischen Gelehrten Abu-ma-schar erkannt, die 1293 ins Lateinische übersetzt worden waren. In den Dekanen von Ferrara, etwa im Widder-Mann, den er als verballhorntes Perseus-Gestirn interpretieren konnte, sah er Belege für das unterschwellige Weiterleben der Antike in fremden Kulturen und im Mittelalter. Exemplarisch verkörperten die Dekane für ihn das in astrologischen Texten und Bildern gespeicherte Wissen der Antike, das über den Umweg der arabischen und anderer fremder Kulturen in der Renaissance in seiner ursprünglichen Gestalt hervortrat.

zu 8. Der Hof der Montefeltro in Urbino