Rezension

Janne Lenhart: Vergleichendes Sehen in den Konfessionen der Frühen Neuzeit. Die Niederlande als liminaler Raum, Göttingen: V&R unipress 2021, 317 S., ISBN 978-3-8471-1282-2, 50.00 EUR
Buchcover von Vergleichendes Sehen in den Konfessionen der Frühen Neuzeit
rezensiert von Thomas Kirchner, Historisches Institut, RWTH Aachen

Mit ihrer Dissertation "Vergleichendes Sehen in der Frühen Neuzeit", die 2021 aus dem Hamburger Graduiertenkolleg "Interkonfessionalität in der Frühen Neuzeit" hervorgegangen ist, leistet die Kunsthistorikerin Janne Lenhart einen wertvollen Beitrag zum Verständnis der Herausbildung konfessionskultureller Selbst- und Fremdwahrnehmungen im 16. und 17. Jahrhundert. Die von der Autorin entwickelte methodische Innovation besteht darin, "Vergleichendes Sehen" - das heißt die wechselseitige Bezüge herstellende Betrachtung künstlerischer Äußerungen von Angehörigen verschiedener Konfessionsgruppen - als Set von Praktiken zu beschreiben, das charakteristisch für den Aushandlungsprozess reformierter und katholischer Identitäten in den frühneuzeitlichen Niederlanden war. Das hier vorgeführte Verfahren, alltägliche Formen konfessioneller Abgrenzung konkret zu beschreiben und in Hinblick auf ihre wesentlichen Auswirkungen zu analysieren, sollte für zukünftige Studien zu historischen Konfessionskulturen vorbildlich sein.

Als Quellen ihrer Untersuchung wählt Lenhart drei Gruppen von künstlerischen und architektonischen Erzeugnissen, die bereits zeitgenössisch für eine Rezeption im Modus des Vergleichenden Sehens vorgesehen waren. Erstens, allegorische Kupferstiche, die konfessionelle Eigenheiten der reformierten beziehungsweise katholischen Kirche vermittelten - unter anderem durch die Darstellung idealisierter Kirchenräume. Zweitens, die Pläne und die tatsächliche Ausgestaltung der beiden Städte Willemstad und Scherpenheuvel. Drittens, Architektur und künstlerische Ausstattung der Kirchen in den beiden Orten. Die Auslegung dieser drei Quellengruppen soll zu einer Analyse verbunden werden, die die Aushandlung von reformierten und katholischen Konfessionsidentitäten und konfessionellen Abgrenzungsstrategien in den südlichen und nördlichen Niederlanden insbesondere während der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts erklärt.

Nach einer kurzen Einleitung, in der die kunst- und allgemeinhistorischen Perspektiven der Arbeit abgesteckt werden, folgen drei weitere Kapitel. Das erste der drei Kapitel - die eigentliche Einleitung mit dem Titel "Wie über die konfessionellen Aushandlungen in den Niederlanden sprechen? - Eine methodische Bestimmung" (23-104) - bietet zunächst den historischen Kontext und diskutiert die Forschungssituation zum Untersuchungsgegenstand. Die Ausführungen zum Beginn der Reformation in den Niederlanden, zu Aufstand und Unabhängigkeitskrieg, zur reformierten Konfessionalisierung, zur Konfessionspolitik und zu den konfessionskulturellen Dynamiken in den Nördlichen Niederlanden folgen dem aktuell gesicherten Forschungsstand und bilden eine adäquate Grundlage für die nun folgende Entwicklung einer kunsthistorischen Perspektive auf das Forschungsproblem.

Es ist lediglich fraglich, ob das in der kunsthistorischen Forschung eingeführte und von der Autorin für diese Studie fruchtbar gemachte Konzept der "Konfessionelle[n] Aushandlungsprozesse" (66-69) tatsächlich so weit von der Herangehensweise der aktuellen allgemein- und kirchengeschichtlichen Forschung zu Konfessionalisierung und Konfessionskulturen entfernt liegt, wie hier vermittelt wird. Immerhin wird die Bedeutung interkonfessioneller Verflechtungen inzwischen weitgehend anerkannt.

Vollends überzeugend ist die Herleitung des Befunds, dass Vergleichendes Sehen in den Niederlanden wesentlich zur "Einübung konfessioneller Identitäten" (77) beitrug, in den letzten Abschnitten des ersten Kapitels. Es gelingt der Autorin bereits hier hervorzuheben, wie wichtig der Rückgriff auf überkonfessionelle, kulturelle Gemeinsamkeiten war, um eine Praxis zu etablieren, die letztlich zur Entwicklung katholischer und reformierter Identität beitrug. Gleichzeitig ordnet Lenhart in diesem Teil der Studie ihre für Allgemeinhistoriker:innen zunächst formalisiert und sperrig wirkenden Bildanalysen so ein, dass sie unmittelbar und plausibel als Einblick in die Geschichte konfessionskultureller Ausdrucks-, Seh- und Bewertungspraktiken lesbar werden. An anderen Stellen der Arbeit kostet es mehr Mühe, die Relevanz der kunsthistorischen Grundlagenarbeit zu erschließen.

Das zweite Kapitel - "Neue Stadträume" (105-192) - diskutiert den vergleichenden Blick auf die Städte Willemstad und Scherpenheuvel. Der zentrale Befund des Kapitels lautet, dass in Planung und Ausführung der Stadt Scherpenheuvel als dezidiert katholischem Marienwallfahrtsort der Vergleich mit dem reformierten Willemstad von Beginn an vorgesehen war (191). Dies hätte thesenhaft schon zu Beginn des Kapitels deutlich markiert werden sollen, um von vornherein klarzustellen, dass die entscheidenden Argumente in Hinblick auf die übergeordnete Fragestellung des Bands im Abschnitt über Scherpenheuvel zu suchen sind, während die Ausführungen zu Willemstad eher notwendiges Vor- und Hintergrundwissen liefern.

Diesem Muster folgend tritt die Untersuchung des Kirchenraums der Koepelkerk in Wilhelmstad auch in Kapitel drei - "Neue Kirchenräume" (193-282) - weit hinter die Analyse der Wallfahrtskirche von Scherpenheuvel zurück. Die Autorin leitet anhand der architektonischen Gestaltung und der künstlerischen Ausstattung sowie der Raumerfahrungen der Pilgernden in der Kirche her, dass das Gesamtkonzept Scherpenheuvel darauf ausgerichtet war, im Modus des Vergleichenden Sehens gemeinsam mit Willemstad wahrgenommen zu werden.

Geradezu instruktiv ist Lenharts Analyse der konkreten Praktiken und Strategien - nämlich "Aneignung, Umcodierung, Überbietung" (280), die dazu dienten, einen konfessionellen Wettstreit anzutreten, für die katholische Seite zu entscheiden und so konfessionelle Abgrenzungen zu stärken.

Das größte Verdienst der Studie liegt genau hier: In der Entwicklung und Erprobung einer Methodik, die es auch in anderen Kontexten erlauben sollte, die Einübung konfessioneller Identitäten als Aushandlungsprozess quellennah zu untersuchen. Lenharts Arbeit bietet zwar keine grundsätzliche Neudeutung der konfessionskulturellen Dynamik in den frühneuzeitlichen Niederlanden, muss aber unbedingt als anregende Fallstudie mit hoffentlich weitreichendem Einfluss verstanden werden.


Thomas Kirchner

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Empfohlene Zitierweise:

Thomas Kirchner: Rezension von: Janne Lenhart: Vergleichendes Sehen in den Konfessionen der Frühen Neuzeit. Die Niederlande als liminaler Raum, Göttingen: V&R unipress 2021
in: KUNSTFORM 24 (2023), Nr. 11,

Rezension von:

Thomas Kirchner
Historisches Institut, RWTH Aachen

Redaktionelle Betreuung:

Bettina Braun