Rezension
Die Gesamtdarstellung des Adelssitzes war bislang ein Desiderat. Ist die hier angezeigte Publikation das lang erwartete Handbuch zu Burgen und Schlössern im deutschsprachigen Raum, in dem die Trennung zwischen Burg und Schloss fallen gelassen, die Entwicklung der Bauaufgabe aufgezeigt wird?
1000 Jahre Architektur werden auf 203 Seiten gewürdigt, hinzu kommen eine Einführung, ein Kapitel zur Erforschung von Burgen und Schlössern, eines zum Adel als Bauherrn, eine umfangreiche und kommentierte Literaturliste, ein Glossar sowie ein Index. Der Band enthält viele qualitativ hochwertige Abbildungen, Grundrisse und Zeichnungen. Sie haben im Allgemeinen erklärende Bildunterschriften, die den Blick auf das Wichtige lenken. In sechs chronologischen Kapiteln wird vor allem die Architektur von Hochadel und Fürsten vorgestellt. Biller widmet sich den Pfalzen und frühen Burgen (1000-1150), der klassischen Adelsburg (um 1150-1250) sowie Fürstenburgen und Niederadelssitzen (1250-1480). Großmann fragt für die Zeit von 1480-1640 nach dem Wandel von der Burg zum Schloss, setzt sich mit Schlössern des Barock und des Klassizismus auseinander (1650-1800) sowie mit Schlössern und Burgen des Historismus (1800-1918). Immer liegt das Hauptaugenmerk auf dem Zeittypischen; es erfolgt keine Beschränkung auf bekannte oder besonders qualitativ hervorragende Bauwerke - auch Unbekannteres aber ebenso Bemerkenswertes wird berücksichtigt. Das Buch ist gut zu lesen und klar formuliert.
Biller benennt mit Belagerungsburgen, Wohnsitzen oder Amtssitzen die Vielfalt von Burgfunktionen. Wo nötig, wird der deutschsprachige Raum verlassen und nach Süditalien oder Tschechien geblickt. Leider fehlen bis auf wenige Ausnahmen Bauten aus dem Norddeutschen Tiefland. Auch auf die weit verbreitete Backsteinarchitektur geht Biller nicht ein. Bis auf wenige Mängel handelt es sich aber um eine solide und lesenswerte Abhandlung. Großmann führt aus, dass es eine typologische Änderung von der Burg zum Schloss gegeben habe. Vor allem der Raumanordnung und dem Bemühen um einen regelmäßigen Grundriss spricht er Innovationscharakter zu, ebenso vermerkt er Traditionslinien. So blieben die Schlösser wehrhaft, alte Teile würden in das Neue miteinbezogen. Eigentlich wird aber nur das 16. Jahrhundert umfassend gewürdigt. Stehen der Zeit von 1480-1650 58 Seiten zur Verfügung, sind es für die folgende Zeit bis 1918 nur 44. Für das 17. und 18. Jahrhundert werden zudem veraltete Klischees bemüht wie etwa der Vergleich mit Versailles (37). Offenbar hat Großmann Klingensmith gelesen, dem er weitgehend folgt. [1] Dass Versailles in Bezug auf das Zeremoniell jedoch keinesfalls Vorbild für die Höfe des Reiches war (205), erfährt der Leser nicht.
Geht man in die Tiefe, schwindet der erste positive Eindruck gänzlich. Die weitgehende Beschränkung auf den mittelalterlichen Hochadel und die frühneuzeitlichen Landesherren erfasst gerade nicht den im Untertitel genannten Adelssitz. Burgen und Schlösser werden nie als staatliche Bauaufgaben verstanden, nur als private. Durchweg ist eine Gleichsetzung beziehungsweise Verwechslung von Adel und Fürsten zu beklagen.
Beide Autoren benutzen eine ungenaue Terminologie: Burgen und Schlösser sind keine "Bautypen einer Aristokratie" (9), sondern Baugattungen. Die Definition "Die Burg war der verteidigungsfähige Wohnsitz des Adels im Mittelalter" (10) kann nicht befriedigen, da sie die genannten Amtssitze und Belagerungsburgen (114) ausschließt. Schlösser würden sich von Burgen durch eine repräsentativere Architektur und das Fehlen der Befestigung unterscheiden (10). Ihr Kennzeichen sei, dass sie hinter den Bastionen kaum noch wehrhaft seien (152). Nun gab es sehr wohl befestigte Schlossbauten, [2] und dann sind die Fragen erlaubt, welche Burgen hinter den Mauern selbst wehrhaft waren und ob die Bauten ab dem 16. Jahrhundert repräsentativer waren als jene der Zeit davor oder ob sich eventuell nur die Vorstellung von Repräsentativität gewandelt hatte?
Das bemängelte Desiderat "Die funktionale Gesamtheit des Schlosses bleibt meistens unberücksichtigt" (21) wird nicht behoben: Verwaltungs- und Wirtschaftsräume und -bereiche bleiben ausgeklammert. Weitgehend erfolgt eine Fokussierung auf das Hauptgebäude. Funktionen spielen keine Rolle: Jagd-, Residenzschloss und Lusthaus werden auf eine Stufe gestellt (218, 224 f.), zwischen den Bauten eines Landesherrn und eines reichen (geadelten) Bürgers wird nicht unterschieden (240). Doch ist die administrative Aufgabe der Residenz benannt (208).
Geschichtswissen ist nur bedingt auszumachen. Während Großmann ganz richtig schreibt, das Heilige Römische Reich Deutscher Nation habe 1806 sein Ende gefunden (40), meint Biller, die Habsburger hätten Könige und Kaiser für dieses bis 1918 gestellt (125). Leibeigene (44) und sogar Unfreie (92) werden entgegen den historischen Tatsachen mit Sklaven gleichgesetzt. Die Vorstellung von einer zentralen Staatsgewalt oder Zentralgewalt im Mittelalter (29, 53) ist abwegig. Die Formel cuius regio, eius religio bezieht sich nicht auf den Fürsten, sondern den Landesherren (33). Dass es im Alten Reich keinen Absolutismus gegeben hat, bei dem der Landesherr unbeschränkter Herrscher innerhalb seines Territoriums war (36), scheint unbekannt zu sein.
Großmann verunglimpft andere Autoren oder ganze Fächer. Der "professorale Kunsthistoriker" erleide einen "Lachanfall" (21), Werner Meyer aus München sei ein Dilettant (20). Die Archäologie soll bei Ausgrabungen "manche veröffentlichte[n] 'Ergebnisse' frei erfunden" haben (24). Das Fach befinde sich im "Wahn", da es erst publiziere, wenn die Funde maßstabsgerecht gezeichnet seien (25). Umso unangenehmer fällt da das Eigenlob auf: Die einzigen im Zusammenhang mit Burgen positiv genannten deutschen Forscher sind Dankwart Leistikow und Biller selbst (20), die Dissertation von Großmann sei Initialzündung für eine Reihe jüngerer Forschungen gewesen (269 f.).
Viele Angaben Großmanns zu einzelnen Bauten sind falsch. Der Friedenstein in Gotha hatte ehemals einen vierten Flügel (211 f.). Die Türme von Schloss Moritzburg wurden gerade nicht an der alten Stelle wieder aufgebaut (215 f.), sondern aus Symmetriegründen leicht versetzt. Schloss Heidecksburg umgab kein barocker Garten (221), nur an einer Seite lag ein kleine Anlage. Die Löwenburg in Kassel wurde mitnichten an Stelle von Schloss Weißenstein errichtet (231), dort steht noch heute Schloss Wilhelmshöhe. Auch steht die Löwenburg nicht für die kurfürstliche Tradition (233); die Landgrafen wurden erst im 19. Jahrhundert zu Kurfürsten. Der Hohenzollern war eine Festung. Großmann nennt aber nur die mittelalterliche Wehrhaftigkeit und verkennt die nach modernen festungstechnischen Überlegungen in einer Schleife angelegte Rampe als "geradezu barocke Schlosszufahrt" (236). Die Liste ließe sich fortsetzen. Hinzu kommt eine Vielzahl polemischer Äußerungen. So werden die Begriffe der Vier-, Drei-, Zwei- und vor allem Einflügelanlage infrage gestellt, da "ein Flügel ohne Rumpf oder einen zweiten Flügel beim besten Willen paradox" sei (22). Doch auch Großmann verwendet die Begriffe.
Ärgerliche Fehler finden sich auch im Glossar und Literaturverzeichnis. Audienz- und Paradegemach werden gleichgesetzt (147) und Corps de logis wie bereits im Text (209) mit Cour d'honneur verwechselt (248). Das Werk "Burgen in Mitteleuropa" wird "Burgen im Mittelalter" genannt (260), der Autor Ulrich Schütte Ulrich Schüller (271).
Angesichts der Arroganz gegenüber anderen Verfassern und deren Werken bleibt dem Rezensenten nur, zum Abschluss Biller und Großmann selbst das Wort zu überlassen: "Das populär gemeinte Werk leidet unter Fehlern und Oberflächlichkeiten" (260). "[V]ielfach überwiegen Vorurteile und Fehleinschätzungen [...]. Dies wird sich auch nicht ändern, solange Schnellschüsse und Einzelkämpfertum, mitunter persönliche Überschätzung gegenüber Befähigung zur Zusammenarbeit überwiegen" (20).
Anmerkungen:
[1] Klingensmith, Samuel John: The Utility of Splendor. Ceremony, Social Life, and Architecture at the Court of Bavaria 1600 - 1800. Chicago, London 1993.
[2] Schütte, Ulrich: Das Schloß als Wehranlage. Befestigte Schloßbauten der frühen Neuzeit. Darmstadt 1994.
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