Virtuelle Ausstellung

I. Inkunabeln und englische Pressen als Vorbilder

Im Zusammenhang mit einer allgemeinen Reform des Kunstgewerbes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es in den Jahren um 1900 in Deutschland auch im Buchgewerbe zu einer Erneuerungsbewegung. Sie war eine Reaktion auf die deutliche Verschlechterung der materiellen und typographischen Qualität der Bücher, die mit der industriellen Entwicklung und Technisierung der Produktionsprozesse im Buchgewerbe einherging.

»Im Verlauf des 19. Jahrhunderts war die künstlerische Ausstattung von Büchern und Akzidenzen in dem gleichen Maße zurückgegangen, wie die Produktion angewachsen war. Das nahmen wir in Deutschland ebenso wahr wie in anderen Ländern. Es ist eben genau derselbe Niedergang, den wir im 19. Jahrhundert in allen gewerblichen Künsten erlebt haben. Überall hat die Technik glänzende Triumphe gefeiert, während die Kunst zurückblieb.« (H. Loubier)

Entscheidende Impulse v.a. in Bezug auf die Entwicklung neuer, zeitgemäßer Schriften und ein höheres Niveau der Buchgestaltung insgesamt kamen zum einen durch das wiederauflebende Interesse an den frühen Drucken der Zeit um 1500. Zum anderen waren das Mitte des 19. Jahrhunderts entstandene ›Arts and Crafts Movement‹ in England, das der industriellen Massenproduktion minderwertiger Gebrauchsgegenstände entgegenwirken wollte, und die in diesem Zusammenhang gegründeten englischen Privatpressen, wie v.a. der Kelmscott und Doves Press, von entscheidender Bedeutung. Die davon wesentlich geprägte deutsche Buchkunstbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts war für das Buchgewerbe eine überaus produktive und bis heute nachwirkende Phase, welche auch die beteiligten Akteure, insbesondere Künstler, Drucker und Verleger, »wie ein fruchtbarer Regen nach langer Dürre« (C. E. Poeschel) empfanden.
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II. Diskussion und Präsentation

Mit der Technisierung der Produktionsprozesse im 19. Jahrhundert ging ein Historismus und Eklektizismus in der deutschen Buchgestaltung einher. Zur Hebung des künstlerischen Niveaus wurden seit den 1880er Jahren v. a. von Künstlern, Schriftstellern, Bibliophilen, Druckern, Verlegern und Wissenschaftlern insbesondere in den damals neu erschienenen kunstgewerblichen Fachzeitschriften verschiedene Lösungsansätze diskutiert. Grundsätzliches Ziel war es jedoch, ausgehend von der Schrift und Typographie, dem Buch eine zeitgemäße Gestalt zu geben. Text, Schrift, Papier und Einband sollten zu einer dem Inhalt entsprechenden Einheit werden.

Die nach der Jahrhundertwende einsetzenden Erfolge, an denen auch die damals aufkommenden Privatpressen einen nicht unerheblichen Anteil hatten, wurden auf Ausstellungen – 1914 der BUGRA oder 1927 der ›Internationalen Buchkunst-Ausstellung‹ in Leipzig – einem internationalen Publikum stolz präsentiert und durch Publikationen gewürdigt.

»Es kann kein Zweifel bestehen, wir können von einer Kunst im deutschen Buchgewerbe sprechen, die bereits selbständig geworden ist und schon einen erheblichen Einfluss hat. Als man vor zwanzig Jahren eine Ausstellung von künstlerisch wertvollen Arbeiten machen wollte, musste man gestehen, dass von Kunst im Buchgewerbe nicht die Rede sein kann, heute stehen wir den andern Nationen auf dem Gebiet nicht nur nicht nach, sondern übertreffen sie noch.« (J. Schinnerer)

Zugleich haben sich auch die Akteure selbst, Drucker und Buch- bzw. Schriftgestalter, publizistisch mit der Entwicklung der neuen Buchkunst auseinandergesetzt und ihre Grundsätze und Forderungen formuliert.
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III. Die Erneuerung der deutschen Buchkunst

In den Jahren um 1900 bahnte sich eine nachhaltige Wiederbelebung der Kunst in der Buchproduktion an. Nach vereinzelten, letztlich aber folgenlosen Reformversuchen seit den 1880er Jahren, wie der ›Münchner Renaissance‹, waren es zunächst die in München und Berlin neu herausgegebenen Zeitschriften ›Pan‹, ›Jugend‹ und ›Die Insel‹, in denen die Arbeiten junger Künstler einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurden. Allerdings beschränkte sich die Wirkung der Zeitschriften weitgehend auf die Illustration und den Buchschmuck.

Ohne gravierenden Einfluss auf die weitere Entwicklung der Buchkunst blieben die beeindruckenden, letztlich aber zu eigenwilligen Arbeiten Melchior Lechters insbesondere für die Veröffentlichungen Stefan Georges.

Eine das Buch als Ganzes und seine typographische Gestaltung betreffende Erneuerung erfolgte schließlich, als Verleger wie Eugen Diederichs, Hans von Weber und Anton Kippenberg jungen Künstlern nicht nur die Ausschmückung der Bücher übertrugen, sondern ihnen die gesamte Ausstattung, einschließlich der typographischen Gestaltung, anvertrauten. Damit nahm die Buchkunst auch Einfluss auf die Gestaltung des Gebrauchs- bzw. Massenbuches. Die mit der Idee des 1907 gegründeten Deutschen Werkbunds verknüpfte Forderung nach werkgerechter Verarbeitung sollte damit auch im Buchgewerbe Eingang finden.

Zugleich vertrauten Schriftgießereien nicht mehr nur Fachzeichnern und Stempelschneidern den Entwurf von Druckschriften an, sondern beauftragten ebenfalls Künstler mit der Gestaltung neuer, zeitgemäßer Schriften, auch um in der Auseinandersetzung mit den Setzmaschinen, die ihnen seit der Jahrhundertwende Konkurrenz machten, bestehen zu können.
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IV. Deutsche ›Privatpressen‹

Nach dem Vorbild der englischen ›Private Presses‹ entstanden Anfang des 20. Jahrhunderts auch in Deutschland viele ›Privatpressen‹. Die Bezeichnung ist nicht unumstritten, da die Arbeitsweise oder Organisation der Werkstätten z.T. unterschiedlich war. Einige Grundzüge lassen sich jedoch feststellen: Gründer waren Buchkünstler, Bibliophile und Literaten, mit dem Ziel, individuelle Bücher von hoher Qualität zu schaffen. In der Regel übernahmen sie keine fremden Aufträge, sondern arbeiteten für die typographischen und literarischen Interessen ihrer Besitzer. Die Arbeiten wurden in eigener Werkstatt ausgeführt. Entsprechend dem handwerklichen Ideal der englischen Pressen wurde meist auf der Handpresse in nur kleinen Auflagen von wenigen hundert Exemplaren gedruckt. Die Befreiung von den Zwängen kommerzieller Verlagsproduktionen ermöglichte eine sehr sorgfältige Arbeit mit nur wenigen, nicht selten eigens für die Werkstatt entworfenen Schriften. »Die Vereinigung von Druckauftrag und Druckleitung«, so Willy Wiegand, Mitbegründer der Bremer Presse, »ergibt die geistige Einheit des Buches«. Die Abnehmer waren entweder Subskribenten, oder die Drucke wurden über einen eigenen oder fremden Verlag vertrieben.

Aufgrund der hohen Qualität, und weil einige Besitzer, wie z.B. W. Tiemann, C. E. Poeschel oder F. H. Ehmcke auch für Verlage arbeiteten, beeinflussten die Pressen zugleich die Typographie und Ausstattung des Gebrauchsbuches, womit die Buchkunstbewegung eines ihrer wichtigsten Ziele erreichte.
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V. Buchkunst nach 1945 – F. H. Ernst Schneidler – Offizin Drugulin

Die Bewegung der ›Privatpressen‹ läuft in den 1930er Jahren aus. Sie hatte jedoch ihr Ziel, die Hebung der allgemeinen Buchkultur, erreicht. Durch die Diktatur der Nationalsozialisten erfährt indes nicht nur das Buchgewerbe allgemein radikale Veränderungen. Durch Tod oder Exil von Mitarbeitern oder Kunden wurde auch den Werkstätten die Existenzgrundlage entzogen, abgesehen davon, dass viele durch Bomben zerstört wurden.

Schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg versuchten Buchgestalter und Künstler wieder rasch an die Blütezeit der deutschen Typographie in den 20er Jahren anzuschließen. Unterstützt wurden sie dabei etwa durch Aufträge auch von Bibliophilengesellschaften wie der Maximilian-Gesellschaft. Zu den ›Privatpressen‹, die durch einen sorgfältigen typographischen Stil, das ausgewogene Verhältnis von Text und Bild sowie den hochwertigen Satz und Druck an die Tradition der berühmten ›Privatpressen‹ der Vorkriegszeit anknüpften gehörten die Hamburger Pressen von Richard von Sichowsky, Otto Rohse und in gewissem Maße auch jene von Roswitha Quadflieg sowie die von Gotthard de Beauclair betreute Trajanus-Presse in Frankfurt a.M.

Neben diesen Pressen werden repräsentativ zwei bedeutende Akteure der frühen deutschen Buchkunst vorgestellt, die noch bis in die Nachkriegszeit und sogar in die Gegenwart hinein wirken: der Schrift- und Buchkünstler sowie als Lehrer Begründer der einflussreichen ›Stuttgarter Schule‹ F. H. Ernst Schneidler und die berühmte Leipziger Druckerei Drugulin.
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