Rezension

Matthias Kunze: Daniel Seiter (1647 - 1705). Die Gemälde. , München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2000,
Buchcover von Daniel Seiter (1647 - 1705). Die Gemälde
Matthias Kunze: Daniel Seiter (1647 - 1705). Die Zeichnungen. Katalog zur Ausstellung im Salzburger Barockmuseum 1997, : 1997,
Buchcover von Daniel Seiter (1647 - 1705). Die Zeichnungen
rezensiert von Andreas Tacke, Kunstgeschichtliches Institut der Universität / Gesamthochschule Kassel

In Rom noch als "Pittore di seconda classe" eingestuft, wurde Daniel Seiter 1688 an den savoyischen Hof von Herzog Vittorio Amedeo II. berufen und erreichte damit künstlerisch, wie auch von seiner gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stellung her, in Turin den Anschluss an die erste Garde seiner italienischen Barockkünstlerkollegen. Dass dennoch seine kunsthistorische Würdigung erst so spät einsetzte, ist durch die Tatsache bedingt, dass 'Grenzgänger' wie Seiter dem nach wie vor mit nationalen und regionalen Kunstkategorien operierenden Fach methodische Probleme bereiten: In Wien als Sohn des kaiserlichen Silberhändlers und Hofjuweliers Martin "Seutter" geborener und lutherisch getaufter, in Venedig geschulter, durch Reisen in Norditalien stilistischen Veränderungen unterworfener, in Rom sich allmählich freischwimmender und als Turiner Hofmaler seinen künstlerischen Höhepunkt erreichender Künstler, entzieht sich Seiter einer schematisch ausgerichteten kunsttopografischen wie stilgeschichtlichen Etikettierung. Es ist das eigentliche und bleibende Verdienst Kunzes, hier durch eine klare und einfühlsame Analyse die nur anfänglich bestehende künstlerische Abhängigkeit von dem Deutschvenezianer Johann Carl Loth, das stilistische 'Abarbeiten'an den Hauptvertretern der italienischen Barockmalerei (v. a. an Pietroda Cortona und Carlo Maratta), aber besonders die erzielte Eigenständigkeit Seiters herausgearbeitet zu haben und damit den Zeichner, Maler und Freskanten als selbständige künstlerische Persönlichkeit der Kunstgeschichte vor Augen geführt zu haben.

Voraussetzung dafür war sein Catalogue Raisonné des zeichnerischen und malerischen Werks Seiters, der Bestandteil seiner umfangreichen Tübinger Dissertation (1994) war. Sie wurde den beiden hier angezeigten Büchern zugrunde gelegt. Die häufige Bezugnahme auf diese maschinenschriftliche Dissertationsfassung belegt, daß dem vorgegebenen Umfang der beiden Publikationsformen Rechnung getragen werden mußte: Der Teil über die Handzeichnungen floß in den Begleitband zur Ausstellung des Salzburger Barockmuseums ein und die Gemälde in eine Monographienreihe zur Deutschen Barockmalerei des Deutschen Kunstverlages; beide Fachpublikationen zielen auf ein breiteres Publikum. Der Ausstellungskatalog wird im Format sowie mit seinen zahlreichen und guten Farbabbildungen dem Gegenstand gerecht, das vorgegebene Reihenkonzept hingegen legte allzu oft enge Fesseln an: Vor allem die z. T. zu kleinen Abbildungen (zudem häufig zu dunkel) des Katalogteils werden dem malerischen Rang des Künstlers nur schwer gerecht.

Die kennerschaftliche Vorgehensweise Kunzes strukturiert den Aufbau der Bücher, die als jeweils selbstständige Monografien der Zeichnungen bzw. Gemälde angesprochen werden müssen: Die biografische wie künstlerische Entwicklung Seiters wird in einem einleitenden Teil und im anschließenden Werkkatalog jeweils chronologisch abgehandelt. Auch wenn man beide Bücher gleichzeitig zu Rate zieht, kommt es nur zu wenigen und deshalb zu vernachlässigenden Wiederholungen, weil Kunze seine Fragestellungen an Hand des Werkes entwickelt. Querverbindungen ergeben sich in den Bereichen, in denen die Zeichnungen die malerischen Bildlösungen vorbereiten.

Biografisch fußen die Kenntnisse zu Seiter überwiegend auf der italienisch verfassten Vitensammlung von Lione Pascoli (1730 - 36); ergänzt wurden sie jüngst durch die von Arabella Cifani und Franco Monetti publizierten Quellen, vor allem das Nachlassinventar Seiters, welche seine umfangreiche private Kunstsammlung dokumentiert (Barockberichte, Informationsblätter des Salzburger Barockmuseums zur bildenden Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts; Heft 22/23, 1999, S. 368 - 384). An Hand dieser zeitgenössischen Nachrichten zeichnet Vf. die Lebensstationen Seiters nach; er ergänzt und berichtigt dabei die Quellentexte und beleuchtet zudem in knapp gehaltenen, aber überaus informativ geschriebenen Darstellungen das von Seiter angetroffene künstlerische Umfeld in Venedig, Florenz, Rom und Turin.

Mit zunehmendem Lebensalter verdichten sich die biografischen Angaben und konturiert sich das künstlerische Schaffen Seiters. Aber vor allem zu den venezianischen Anfängen sind sowohl archivalische wie künstlerische Zeugnisse rar. Beachtenswert ist dies, da Seiter allein 12 Jahre lang in der Loth-Werkstatt arbeitete; Vf. betont deshalb zu Recht, daß ein hoher Anteil der Loth-Gemälde und -Zeichnungen durch Werkstatthände, und hier vor allem durch die von Daniel Seiter entstanden sein muss. Jedoch bildet eine solche auf Massenproduktion angelegte und dabei an dem Stil des Gründers ausgerichtete frühneuzeitliche Künstlerwerkstatt ein eigenständiges Forschungsgebiet.

Mit Seiters Weggang aus Venedig und seinen ersten nachweislichen Aufträgen in Florenz und Rom (hier gehörten auch, was nur wenigen nordalpinen Malern vergönnt war, Kirchenausstattungen dazu) beginnt eine eigenständige und damit nachvollziehbare künstlerische Entwicklung, die anfänglich unterschiedlichen Beeinflussungen ausgesetzt ist und spätestens in Turin zu einer selbständigen stilistischen Ausdrucksform reifte. Kunze zeichnet an Hand ausgesuchter Werke diesen Transformationsprozess nach, in dem die zum Vorbild genommenen Bildlösungen ihre Seiter'sche Umwandlung durchliefen, und beleuchtet dazu die 'Rahmenbedingungen', zu denen auch Seiters Konvertierung zum katholischen Glauben zu rechnen ist. Ikonographische wie ikonologische Fragen werden lediglich knapp abgehandelt und wären im Einzelfall, vor allem bei den komplexen politischen Programmen der Staatsgemächer des Ostflügels des Turiner Palazzo Reale, zu vertiefen. Vf. verzichtet darauf bewusst und legt das Gewicht bei seiner Darstellung auf die künstlerische Entwicklung Seiters. Die lebhaft einsetzende Fachdiskussion anläßlich seiner Salzburger Ausstellung der Handzeichnungen Seiters rechtfertigt diese Vorgehensweise und versetzte Vf. schon bald in die Lage, die durch zahlreiche Hinweise geförderten "Neue Funde und Nachträge" zu den Seiter-Zeichnungen in den 'Barockberichten' (Heft 22/23, 1999, S.361 - 367) zu publizieren, und rundete zudem den Erfolg des kleinen, aber durch seine Aktivitäten (Ausstellungen, Einzelveröffentlichungen und Fachkongresse) bedeutsamen Salzburger Barockmuseums ab.


Andreas Tacke

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Andreas Tacke: Rezension von: Matthias Kunze: Daniel Seiter (1647 - 1705). Die Gemälde. , München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2000
Matthias Kunze: Daniel Seiter (1647 - 1705). Die Zeichnungen. Katalog zur Ausstellung im Salzburger Barockmuseum 1997, : 1997
in: KUNSTFORM 2 (2001), Nr. 1,

Rezension von:

Andreas Tacke
Kunstgeschichtliches Institut der Universität / Gesamthochschule Kassel

Redaktionelle Betreuung:

Peter Helmberger