Rezension

Alte Pinakothek: (Hg.) Tintoretto - der Gonzaga-Zyklus. Mit Beiträgen von Cornelia Syre, Andreas Burmester u.a., Ostfildern: Hatje Cantz 2000,
Buchcover von Tintoretto - der Gonzaga-Zyklus
rezensiert von Sabine Poeschel, Institut für Kunstgeschichte, Universität Stuttgart

Die Studioausstellung der Alten Pinakothek war den in den Jahren 1578-1580 entstandenen acht Gemälden zur Geschichte des Hauses Gonzaga gewidmet, die der Markgraf von Mantua, Guglielmo Gonzaga, bei dem venezianischen Maler Jacopo Tintoretto in Auftrag gab. Kunsthistoriker, Restauratoren und Naturwissenschaftler befassen sich in neun Aufsätzen und dem ausführlichen Katalogteil mit der Geschichte sowie der technischen Analyse der Bilder, die erstmals aus der Nähe zu betrachten waren und deren Genese anhand von den zur Restaurierung aufgenommenen Röntgenbildern verfolgt werden konnte.

Die Gonzaga konnten auf eine Tradition dynastischer Historienbilder zurückgreifen, zudem hatten sie als Auftraggeber von Andrea Mantegnas Fresken in der Camera degli Sposi Maßstäbe für die Dekorationen an italienischen Höfen gesetzt. Cornelia Syre geht in ihrem einleitenden Aufsatz auf diese Tradition der Historienmalerei in Mantua ein, ohne deren Kenntnis, so Julian Kliemann, der Zyklus unverständlich bleibt (Gestadipinte. La grande decorazione nelle dimore italiane dal Quattrocento al Seicento, Florenz 1993). Bei ihrer Darlegung der Entstehungsgeschichte der Gemälde stellt die Autorin insbesondere die beratende Funktion des Conte Teodoro Sangiorgio vor und vergleicht sie mit der früherer dynastischer Zyklen, etwa der Fasti Farnesiani in Caprarola. Das Ausmaß der Einflußnahme des künstlerischen Beraters im Auftrag des Markgrafen wird beim Gonzaga-Zyklus anhand der ungewöhnlich zahlreichen Quellen deutlich, die die Einwände gegen die Gemälde anführen und die überprüfung der änderungen anordneten. Die Eingriffe werden durch die Konfrontation mit den Röntgenbildern deutlich, die die änderungen Tintorettos nachweisen. Diese Informationen über die Entstehung von Bildern sind das Leitmotiv des Katalogs.

Syre schließt mit einer knappen übersicht über die Beurteilung von Tintorettos Kunst in den Quellen vor dem Hintergrund der kunsttheoretischen Positionen von Florenz und Venedig, die dem "disegno" bzw. "colorito" den Vorzug geben. Diese hätten unbedingt explizit dargelegt werden müssen, da Tintoretto als Exponent der venezianischen Farbmalerei extreme Urteile beider Lager hervorrief.

Im ausführlichen Katalogteil werden vor allem die Quellen und die von Syre erläuterten tiefgreifenden Eingriffe von Seiten des Auftraggebers im Bild anhand der Röntgenaufnahmen detailliert nachgewiesen. Die Fülle der neuen Beobachtungen, die die Korrekturen und die Auseinandersetzung mit den Quellen belegen und die einen faszinierenden Einblick in die Genese der Bilder ermöglichen, rechtfertigt die Konzentration auf diesen Aspekt vollkommen, zumal der thematische Hintergrund und die Zeichnungen in gesonderten Aufsätzen behandelt werden.

Die konzise Schilderung der Geschichte des Hauses Gonzaga von Cornelia Syre und Lisa Zeitz kulminiert allerdings nicht in der Beurteilung des Zyklus; die pointierte und folgerichtige Schlußfolgerung Kliemanns, der Gonzaga-Zyklus lasse keinen Zweifel daran aufkommen, daß die Geschichte der Dynastie mit der des Stadtstaates Mantua zusammenfalle, wird offenbar vorausgesetzt.

Peter Dreyers Aufsatz über "Die Zeichnungen zum Gonzaga-Zyklus" ist in vieler Hinsicht erhellend, so daß die einseitige Lesung von Vasaris "disegno"-Begriff, der zudem im Widerspruch zu der von Syre angeführten übersetzung von Gottschweski und Gronau steht, nicht nötig gewesen wäre. Im angeführten Zitat "ha lavorato a caso e senza disegno"(Vasari-Milanesi, VI, S. 587) ist mit "disegno" nicht das Medium gemeint, sondern der in der Zeichnung fixierte intelligible Prozeß des Kunstschaffens (Vasari-Milanesi, I, S. 215 f.). Im Anschluss stellte Vasari "disegno" dem Begriff "caso" (Zufall) gegenüber und bezeichnete "fierezza" (Willkür)als Gegensatz zu "giudizio" (Einsicht, nach Gottschweski/Gronau). Er kritisierte damit nicht das Fehlen von Zeichnungen, sondern die "strani ghiribizzidel suo intelletto", die Tintoretto als "il più terribile cervelloche abbia mai avuto la pittura" auswiesen, wobei "terribile" mit "außergewöhnlich" unzureichend übersetzt ist. Die Malerei sei ihm ein Scherz, erklärte Vasari, dessen eigene Malweise im größten Gegensatz zum Stil Tintorettos steht. Diese Philippica bedarf nicht des Nachweises, daß der Venezianer gezeichnet hat, der sich ohnehin durch die besprochenen Exponate erübrigt. Auch der Diskurs, ob die Zeichnungen nach lebenden Modellen entstanden, wirkt angesichts der Blätter überflüssig, da die männlichen Akte als genau der "Sack voller Nüsse" erscheinen, vor dem Leonardo da Vinci warnte. Völlig überzeugend ist angesichts der Zeichnungen vielmehr die Aussage von Tintorettos Biographen Carlo Ridolfi, der Maler habe in seinen Zeichnungen die Natur "verbessert". Treffend ist auch die Rekonstruktion des Entwurfsprozesses. Schließlich faszinierte die Argumentation, daß die Quadrierung der Blätter der übertragung von Tintorettos berühmten Modellfigürchen auf Papier diente,w as auch durch die Perspektive gestützt wird.

Neben dem klassischen Restaurierungsbericht zum Zustand der Bilder und den Farben von Andreas Burmester und Christoph Krekel vervollständigt der interessante Beitrag von Johann Koller und Ursula Baumer über Tintorettos Mittel der "prestezza", d.h. der Schnelligkeit der Malweise, die technische Analyse.

Die großzügigen Abbildungen, sinnvollerweise jeweils mit den Röntgenaufnahmen zusammen auf eine Seite gesetzt, leiden z. T. durch die tiefen Falzen. Besonders störend ist dies, wenn die Protagonisten der "storie" durch die Bindung angeschnitten werden. Es wäre zu überlegen, Kataloge zu großen Breitformaten breiter anzulegen, wie z. B. beiden Electa Napoli- Formaten. Ganzseitige Farbaufnahmen spektakulärer Details der Gemälde und die sehr guten Farbabbildungen der Zeichnungen gleichen jedoch diesen Umstand aus.

Nach den Beiträgen hätte der Titel des Katalogs allerdings umgekehrt formuliert werden müssen, - Der Gonzaga-Zyklus von Tintoretto -, denn so umsichtig die Autoren sich dem Hause Gonzaga widmen, so bemerkenswertist das geringe Interesse am Maler Tintoretto über den Gegenstand der Ausstellung hinaus. Dies wird schon am Titelbild zum grundlegenden Aufsatz von Cornelia Syre deutlich, das in einem Ausschnitt aus dem "Einzug des Infanten Philipp von Spanien in Mantua" zwar den Auftraggeber des Zyklus zeigt, doch stammt ausgerechnet dieses qualitativ wesentlich schwächere Gemälde nicht von der Hand Jacopos, sondern ausschließlich von der seines Sohnes Domenico, was jedoch erst wesentlich später im Katalogtext erläutert wird. Auch Bettina Marten unterscheidet in ihrem Beitrag über dieses Bild nicht zwischen Vater und Sohn, sondern nennt irreführenderweise nur Tintoretto, obwohl die künstlerische Qualität diese Gemäldes gerade in dem gewählten Titelausschnitt wiederum eklatant deutlich wird. Expressis verbis aber wird die Frage nach dem Schöpfer eines Werkes, immerhin eine der primären Fragen kunstgeschichtlicher Forschung, im Aufsatz von Peter Dreyer über die Zeichnungen im Zusammenhang mit einer ölskizze zurückgewiesen: "Die Frage der Zuschreibung des Blattes braucht uns hier nicht so sehr zu interessieren - es ist eine Vorzeichnung für die Gonzaga-Serie, von wem auch immer sie stammt, - und sie ist auch nicht so leicht zu entscheiden" (S. 158). Die Bibliographie schließlich berücksichtigt daher auch nicht die Einbindung des Malers in den kunsthistorischen Kontext, so finden die Studien von David Rosand, Peter Humfrey und Wolfgang Wolters keine Erwähnung. Dies irritiert insofern, als gerade in dem vorliegenden Katalog Tintoretto, der bisher vorwiegend als Porträtist sowie als Schöpfer religiöser Werke bekannt war, sich mit dem Gonzaga-Zyklus auch als Erneuerer des Schlachtenbildes auszeichnete, dies aber nur am Rande erwähnt wird (Syre, S. 23; Ilse von zur Mühlen, S. 168). Uneingeschränkt aber bleibt es der Verdienst aller Autoren, den Gonzaga-Zyklus entscheidend aufgewertet zu haben. Der Katalog macht überzeugend deutlich, daß Tintoretto trotz aller Anweisungen und Einschränkungen sowie der gattungstypischen Konditionen wie Porträts, Veduten und Wappen samt der thematischen Monotonie ein Werk von bemerkenswerter Neuheit schuf, geprägt von exemplarischer Dramatik, zu der die malerische "prestezza" (Syre, S. 24) erheblich beiträgt. Der Gonzaga-Zyklus sollte aus diesem Grunde die Schlachtenmalerei bis hin zu Rubens beeinflussen (von zur Mühlen). Insgesamt ist daher der Katalog nicht nur als Beitrag zum Werk Tintorettos, sondern auch zur Geschichte der Bildgattungen wertvoll.


Sabine Poeschel

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Sabine Poeschel: Rezension von: Alte Pinakothek: (Hg.) Tintoretto - der Gonzaga-Zyklus. Mit Beiträgen von Cornelia Syre, Andreas Burmester u.a., Ostfildern: Hatje Cantz 2000
in: KUNSTFORM 1 (2000), Nr. 2,

Rezension von:

Sabine Poeschel
Institut für Kunstgeschichte, Universität Stuttgart

Redaktionelle Betreuung:

Jan Mohr