Rezension

Rolf Bothe: Das Weimarer Residenzschloß vom Mittelalter bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts. Dichter, Fürst und Architekten, Ostfildern: Hatje Cantz 2000,
Buchcover von Das Weimarer Residenzschloß vom Mittelalter bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts
rezensiert von Kilian Heck, Kunstgeschichtliches Institut, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt/M.

Der Brand des alten Residenzschlosses in Weimar 1774 geschah zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Der letzte große Schloßbau des Rokoko, das fürstbischöfliche Residenzschloß im westfälischen Münster, war 1767 durch Johann Conrad Schlaun begonnen worden. Aber schon hier mußte der Anachronismus der Anlage den Zeitgenossen offenbar werden, zumal in einer von den ästhetischen Begriffen Winckelmanns geprägten Stadt wie Weimar. Wie also sollte man in Weimar bauen, auf welche künstlerischen Vorbilder sich berufen? Zunächst standen nach dem Brand solche ästhetischen Diskussionen nicht im Vordergrund. Man war über Jahre lediglich darum bemüht, die Bausicherung der erhalten gebliebenen Teile der alten Schloßanlage zu gewährleisten. Erst in der 1789 von Herzog Carl August einberufenen Schloßbaukommission, deren Vorsitz von Anfang an Johann Wolfgang v. Goethe hatte, ging es auch um solche ästhetischen Belange.

Rolf Bothe hat in seiner Untersuchung über das Weimarer Residenzschloß die einzelnen Bauphasen vom Spätmittelalter bis zur Goethezeit nachgezeichnet. Liegen für die spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Residenz Weimar einzelne Arbeiten vor, so wurde mit der Untersuchung des klassizistischen Residenzbaus um 1800 für diese kunsthistorisch wohl bedeutsamste Phase einem Desiderat in der Forschung begegnet.

Mit dem Wiederaufbau der Residenz nach dem Schloßbrand von 1618 durch Giovanni Bonalino als dreigeschossiger, symmetrischer Vierflügelanlage nach italienischem Vorbild entschied man sich für eine Bauform, die auf den gesamten thüringischen Raum wirkte. Ab 1651 entstand dann unter Johann Moritz Richter die "Wilhelmsburg". Jetzt wurde unter Verzicht eines Südflügels eine französische Dreiflügelanlage als Ehrenhof errichtet. Bis 1664 entstand ein Nord- und Ostflügel einschließlich Festsaal und erneuerter Schloßkirche mit herzoglicher Grablege. Auch hier lassen sich zahlreiche Bezüge zu anderen thüringischen Residenzen herstellen. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Die dreiflügeligen Bauten von Schloß Friedenstein in Gotha und Schloß Weißenfels rezipieren zugleich auch das Weimarer System, die Hofhaltung, die landesherrliche Wohnung und die Verwaltung in einem einzigen Bau zu integrieren - eine Maßnahme der Kosteneinsparung ebenso wie ein Ausdruck utilitaristischen Staatsverständnisses im 17. Jahrhundert. Bothe, dessen Untersuchung über weite Strecken monographisch verhaftet bleibt, widmet sich solchen landesgeschichtlichen Bezügen kaum.

Der Wiederaufbau des Schlosses unter Goethes Bauaufsicht, der in den wesentlichen Teilen erst 1803 zum Abschluß kam, war besonders zu Beginn eine Kette von Mißgeschicken. So wurde Goethes Tätigkeit in der Schloßbaukommission für ihn zeitweise zu einer Vollbeschäftigung. Der Hamburger Johann August Arens legte 1791 den gesamten Grundriß fest, ohne jedoch die Bauaufsicht zu übernehmen. Bis 1797 wurde in Ermangelung eines vor Ort tätigen Architekten weiter nach den Plänen von Arens gebaut. Bothe gelingt es nachzuweisen, daß die nach den Planungen von Arens ausgeführten Teile der Anlage vor allem am Nord- und Ostflügel weitaus umfangreicher waren, als die Forschung bisher annahm.

Im Ostflügel sollte auch der neue Haupteingang liegen und dahinter die Durchfahrt zum Innenhof mit Treppenaufgang zum Festsaal. Bei der Beschreibung der zur Ilm ausgerichteten Ostfassade beruft sich Bothe auf die Palladiorezeption bei Goethe. Erik Forssman hat aber jüngst darauf hingewiesen, daß der Verzicht eines über die Dachkante ragenden Dreiecksgiebels oder einer Attika gerade eine Abweichung von Palladio bedeutet. Um 1800 war ein solcher Portikus bereits eine veraltete Lösung. Er hätte die Geschlossenheit der Wand zu sehr beeinträchtigt. Dieser Verzicht basiert offenbar auf überlegungen von Goethe selbst. Das Ergebnis, ein rustiziertes Erdgeschoß mit darauf aufbauender offener Kolonnade mit toskanischen Säulen auf Piedestalen, führte zu einer eher unbefriedigenden Lösung.

Die eigentliche Innovation des Weimarer Schloßbaues liegt im Innern. Hier lieferte 1794 Charles Louis Clérisseau einen Entwurf für einen Festsaal mit freistehenden Säulen. 1798 kam für vier Monate Nikolaus Friedrich Thouret aus Stuttgart nach Weimar. Er überbrachte viele Zeichnungen für die Innendekoration, unter anderem eine für die Decke des Festsaals. Aber damit war die Ausgestaltung der Innenräume noch nicht beendet. Auf Empfehlung des Archäologen Alois Hirt kam 1800 Heinrich Gentz nach Weimar, der als der fortschrittlichste Architekt in Preußen gelten konnte. Seine Wahl erwies sich nach den vielen Mißerfolgen als Glücksgriff. Gentz hatte nach ausgedehnten Aufenthalten in Italien und England bereits wichtige Erfahrungen als Architekt der Berliner Münze gewonnen. Er blieb bis 1803 in Weimar und war damit der erste Architekt, der kontinuierlich vor Ort blieb.

Durch Gentz entstanden in enger Zusammenarbeit mit Goethe und Johann Heinrich Meyer im Weimarer Stadtschloß Räume griechischer Prägung, insbesondere an der Gestaltung des Festsaals und des Treppenhauses wird das ablesbar. Im überkuppelten Treppenhaus mündet die zunächst doppelläufige, dann einfache Stufenfolge in vier dorische Säulen ein. Hinaufschreitende Besucher steigen gleichsam in einen Tempel ein. Dieser Entwurf läßt sich unmittelbar auf das Paestum-Erlebnis von Goethe in Sizilien zurückführen. Bothe zieht aber auch Vergleiche mit englischen Beispielen heran, die Gentz gekannt haben mag, etwa Berrington Hall von Henry Holland. Auch die Nischen mit eingestellten Statuen von Göttern und Musen sieht Bothe folgerichtig als Rezeption von Robert Adam. Die Wahl der schlichten griechischen - statt römischen - Säulenordnung sowie die Farblosigkeit prägen das Erscheinungsbild des Weimarer Treppenhauses. Es ist nicht übertrieben zu behaupten, daß es damit zu einem Vorbild für die Innenraumgestaltung des bürgerlichen Klassizismus in Deutschland wurde. Der anschließende Festaal wurde als Halle mit freistehenden ionischen Säulen konzipiert. Hier war die Mitte gewählt zwischen griechischer Einfachheit und römischer Pracht. Das Audienzzimmer von Carl August bekommt schließlich eine korinthische Säulenordnung. Am Ende dieser Raumfolge Treppenhaus, Festsaal und Audienzzimmer findet sich demnach doch noch die Reminiszenz an die überkommene fürstliche Repräsentation. Die Genauigkeit, mit der Bothe diese Räume beschreibt, erhellt erstmals ihre Funktion für das spätaufklärerisch-idealistische Selbstverständnis des Weimarer Staates. So bleibt es nicht ohne Bedeutung, daß die von Christian Friedrich Tieck geschaffenen Reliefs im Treppenhaus mit der Darstellung des Herzogtums als blühendem Staatswesen basierend auf Kunst, Wissenschaft, Gewerbe, Handwerk und Feldbau eine differenzierte politische Ikonographie aufbieten.

Der sinnvolle und wichtige Vergleich von Weimar mit Wörlitz bleibt in bezug auf Deutschland zugleich auch der einzige. Bothe macht anschaulich, wie Thouret bei seinen Entwürfen die Bildfelder streng in ein Rahmensystem einfügt. In Weimar werden die Räume möglichst schlicht gehalten. Thouret scheint im Einklang mit Goethe und Winckelmann auf pompejanischeRäume wie in Wörlitz verzichtet zu haben. Auch die Wörlitzer Arabesken fehlen in Weimar. Gentz hingegen bedient sich unbekümmerter neben griechischen auch römischer Architektur- und Schmuckelemente. Dieser Relativismus in bezug auf die Vorbilder bei gleichzeitiger Anpassung an den örtlichen Kontext wird später charakteristisch werden für Schinkel.

Die Untersuchung bricht etwas unverständlich mit dem Tod Goethes 1832 ab. Die auf Veranlassung der Großherzogin Maria Pawlowna eingerichteten sog. Dichterzimmer im Westflügel werden nicht mehr einbezogen. So können auch die Entwürfe Schinkels für das Goethezimmer von 1835/36 keine Berücksichtigung mehr finden. Worin eine klassizistische Raumausstattung um 1800 noch bestehen konnte, das hätte auch mit einem Blick auf die wenig früheren Residenzbauten von Kassel oder Koblenz noch schärfer gezeichnet werden können. Ein Nachteil besteht auch in der fast stoischen Weigerung, neuere kunsthistorische Literatur einzubeziehen. So hätte bei dem durchaus wichtigen Exkurs zum Ornament um 1800 ein Bezug auf Werner Buschs Arbeiten zur Arabeske Sinn gemacht. Die große Stärke der Untersuchung liegt eindeutig im Ablesen und Deuten der Befunde vor Ort. Hier liefert die Arbeit der zukünftigen Forschung unverzichtbares Material für die immer noch wenig erforschte Ikonographie des Weimar der Goethezeit. Auch die vorzügliche Ausstattung und Bebilderung des Bandes mit erstklassigen Wiedergaben insbesondere der Innenräume setzt Maßstäbe editorischen Engagements.


Kilian Heck

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Kilian Heck: Rezension von: Rolf Bothe: Das Weimarer Residenzschloß vom Mittelalter bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts. Dichter, Fürst und Architekten, Ostfildern: Hatje Cantz 2000
in: KUNSTFORM 1 (2000), Nr. 2,

Rezension von:

Kilian Heck
Kunstgeschichtliches Institut, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt/M.

Redaktionelle Betreuung:

Jan Mohr