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DER HUND ALS STAMMGAST Von ANTON KUH an er lebt jede tragische Geschichte, für deren Erfassung man noch bt reif ist, in seinem Leben zweimal: das eine Mal als Wetterleuchten, das andere Mal als Blitz. So kommt es, daß dieser kleine Ausschnitt aus einer Hundebiographie eigentlich einem großen Frauenroman angehört; ich sehe den Hund, der mir da ebenso mysteriös zugelaufen war, wie er mir abhanden kam, immer als Vorläufer der Frau, mit der mir später ein gleiches passierte. Findlingsgeheimnis war um seinen kleinen Kopf; woher kam er, wohin zog es ihn? War ich für ihn Endziel oder Station? Die Ungewißheit lag wie schwarzer Schatten über unserer Beziehung. Zuerst von seiner Seite (wie bei ihr!); er heulte zum Erbarmen, wenn ich ihn einen Augenblick im Stich ließ, sein Winseln sagte: „Schon wieder . . . zurück ins Nichts!“, ich mußte ihn auf die kleinsten Gänge mitnehmen. Später, wenn er mir auch nur auf eine Stunde entwischte, war es umgekehrt; Vorwürfe bestürmten mein Herz: Warst du phantasievoll genug? Hast du seine Angst nicht zu leicht ge nommen? Botest du ihm, was er brauchte? Sein Kopf sah aus wie der eines süßen Wolfes. Darum nannte ich ihn, instinktlos, wie ich dem weiblichen Geschlecht gegenüber bin, Wolfi. Es schmeichelte ihm, und er überschätzte daraus sofort mein Verständnis. Doch, als ich eines Tages, im Kriege, an einem offenen Fouragewagen mit ihm vor beiging, auf dem Soldaten saßen, und einer von ihnen herunterrief: „Gretel! Gretel!“ — da machte er einen stürmischen Satz nach dem Wagen hin, wollte hinaufspringen, überlegte sich’s aber im Hinblick auf das neue, zahmere Glück an meiner Seite und lief mit mir. „Also Grete!“ dachte ich. Er hatte von Stund an bei mir Oberwasser . . . Welche Stunden der Hysterie ich neben ihm durchmachte, wie Freunde meinen Umgang seinetwegen mieden, wie er tagelang mit dem Gedanken spielte, mich zu verlassen, und dann pudelnaß, doppelt leidenschaftlich zu mir heimkehrte, das gehört auf ein anderes Blatt. Nur ein Zwischenfall bleibt daraus aufschreibenswert: Eines Sonntags, als er durch die geöffnete Tür des Vorzimmers durchging — ich bewohnte zum ersten- und letztenmal eigene Räume , gab ich in allen Zeitungen, von denen ich voraussetzte, daß sie von Hausbesorgern, den Durch-und-Durch-Blickern der Häuser, gelesen würden, eine Notiz auf — so recht für Hausmeisterherzen: (Bitte eines Einsamen.) Ein einsamer Mann, dessen einzige Freude auf Erden sein Hund bildet, wendet sich auf diesem Weg an edle Menschenfreunde, ihm auf der Suche nach dem innigst geliebten Tier behilflich zu sein. Das selbe . . . usw. Am nächsten Tag — meine Tür stand immer sperrangelweit offen — hörte ich in den Traum hinein die Blechstimme eines Schulmädchens: „Bittä, wohnt hier dar einsamä Härr?“ 760