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925 nicht mit Dir in der Taverna Ulpia essen kann. Eine Römerin würde sagen, sie habe Migräne. Gamin sagt Dir aber, daß sie nicht kommt, weil sie müde ist und schlafen gehen will. Dir auch eine gute Nacht!“ Dann schrieb sie ihren Namen, machte einen doppelten Schnörkel und schloß das Kuvert. „Adrienne, den grünen Pyjama.“ Gamin befreite sich im Nu von ihren Kleidern, warf die Spitzen von sich und stieg elegant in die Hosen. Sie ging mit den Händen in den Taschen auf und ab und sagte: „Du kannst gehen, Adrienne, ich bleibe mit Messidoro hier.“ Adrienne verneigte sich und schloß die Tür. „Warum willst du mir das Geheimnis nicht erklären?“ „Die Liebe ist kein Rätsel. Die Liebe blüht wie ein Veilchenstrauß, die meine ist verblüht ... ich glaube nicht, daß du mich heute schon verstehen kannst. Siehst du, auch mir schicken so viele MännerBlumen und begleiten sie mit den zärtlichenWor- ten, die du in jedem Roman findest. Gestern schrieb ei ner: Du bist die Venus von Medici und machst mich verrückt.—Glaubst du, daß dieser Mann wirklich verrückt wird ? Er hat eine Verlobte und eine Geliebte, die unter einer Laterne auf ihn wartet und sich eine Stunde für ihn geschminkt hat Ich glaube an nichts mehr. Vor einem Monat hatte ich einen häßlichen, „Sappho, liebst du mich?" eingebildeten Stu denten, der mich heiraten wollte, weil er wußte, daß ich nicht heiraten will, und einen verheirateten Mann, der mich zur Frau wollte, weil er ver heiratet war. Alle beide wollten für mich angeblich sterben: Der eine spritzte sich eine ungenügende Men ge Morphium ein, der andere ent schloß sich, in den Tiber zu springen. Den Studenten ha ben sie gestern am Pantheon festge nommen, weil er falsches Geld in Serien druckte, der andere bekam ein Kind, das zur Hälfte sein, zur Hälfte das des Drogisten an der Ecke war ... Er nannte es Secondo, und böse Zungen behaupten, daß auch Primus zwei Väter hat.“ Gamin lachte. Messidoro lag in der Hängematte neben Gamins breitem Bett und hörte zu. Die Decke des Zimmers, in dem die beiden jungen Frauen Liebesgeschichten tauschten, war blau, weiß das Gesicht Messidoros und grün der schlanke Körper Gamins im knappen, seidenen Pyjama. „Du wolltest wissen, warum ich Gamin heiße? Ich bin 20 Jahre und habe kupferrote Haare. Viele Männer behaupten, mich zu lieben, so wie sie behaupten werden, dich zu lieben. Alle Männer, die nicht viel zu sagen haben, ergehen sich in Phrasen: „Gnädige Frau, ich liebe Sie, ich bin verrückt nach Ihnen.“ „Aber Messidoro, glaube mir, man liebt nur einmal; das übrige ist Illusion, Phantasie und eine Mosaikarbeit aus beiden, die dich einschläfert und dir die Wahr heit verbirgt.“ | 111 „Aber du, Gamin, hast du denn noch nie geliebt?“