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CARL DER SCHÖPFER DER Carl Peters Z um Entdecken wird man geboren, erzogen keineswegs; und wenn man das Leben der großen Exploiteure studiert, die Urwälder entdeckt und Wüsten in Länder verwandelt haben (nicht Länder in Wüsten), wenn man ihre Jugend liest, die Triebkräfte ihres Aufschwunges, so finden sich die wunderlichsten beieinander: Aben teurer, Autoren, Geographen, Dichter, Ex porteure. Neben Cecil Ilhodes, der als Oxforder Student der Literatur zur Heilung seines Lungenleidens nach Südafrika geht, dort Diamanten findet und schließlich ein Reich von Europas halber Größe gründet, steht Stanley, der Journalist, den ein sinn loser Snobismus ausschickt, um den verlore nen Livingstone zu finden und der, neben diesem Rekord, sich und der Welt die Ent deckung eines der größten Ströme der Erde leistet. Die Deutschen Lüderitz, Wißmann, Nachtigall gehen mit ganz verschiedenen Motiven, Vorbildungen und Zwecken heraus, um Geschäfte, Völkerkunde oder Imperialis mus zu treiben; keiner hat das Entdecken gelernt, aber alle sind durch zwei großa von EMIL Motoren angetrieben, ohne die kein Mann der Geschichte, von Alexander über Kolum bus bis zu Amundsen, ins Unbekannte vor drang: alle haben Tatkraft und Phantasie. Deshalb sind alle zugleich dem Herrscher und dem Dichter verwandt, und deshalb ist der bloße „Fachmann“ im Dienste des Reiches in Afrika immer gescheitert. Es gibt keinen Fachmann für Eroberungen, der General ist es so wenig wie der Ethno graph, beide wirken draußen irgendwie komisch, und selbst der Kaufmann großen Stiles dringt nur vor, wenn ihn die Phan tasie beseelt, ohne die nie ein wahrhaft königlicher Kaufherr siegte. Carl Peters erzählte gern und nur mit halber Ironie, nach den Eröffnungen eines theosophischen Freundes sei er im 3. Jahr hundert byzantinischer Gouverneur in Alex andrien, später aber der Dschingis-Khan selber gewesen und schließlich zur Ab büßung seiner großen Verbrechen im Jahre i856 als lutherischer Pfarrersohn wieder geboren worden. Von dieser Chance, die ihm der Himmel noch einmal gegeben, hat er jedenfalls wenig Gebrauch gemacht, und wenn er auch kein brutaler Negerprügel war, als den ihn seine Feinde verleumdeten, so haben doch seine Züge und mit ihnen sein Leben sich immer rücksichtsloser entfaltet, und sicher hat ein Stück Machtwillen diesen Europamüden nach Afrika getrieben, wo so viele ihre Herrengefühle ausgetobt haben; mit diesemSport ist es gottlob heute beinah vorbei. Überhaupt klingt es kaum glaublich, daß eine Generation genügt hat, um die Stellung 64 PETERS DEUTSCHEN KOLONIALMACHT LUDWIG von Weiß zu Schwarz völlig umzugestalten. Noch vor 20 Jahren hieß es wie im Schach: „Weiß fängt an und setzt Schwarz in sieben Zügen matt“. Heut wählt der Kaffer in Kapstadt genau wie der ßürger inBetrlinseinen Abgeordneten, und um die portugiesischen Negersklaven in die Goldminen zu treiben, bedarf es eines Scheines von legalem Dienst vertrag, der wenigstens das ferne Europa täuschen kann. Von Afrika war in Peters’ Elternhause vorerst nicht die Rede, wohl aber von Chi- kago, denn dort lebte ein reicher Onkel vom Golde der Schweinezucht, und der loyal eingeladene Neffe wäre leicht ein Schweine magnat geworden, hätten ihn nicht Ehrgeiz und Klugheit, Phantasie und Wissenstrieh bei den Wissenschaften festgehalten. Leicht war es nicht, dem Schwein zu widerstehn, denn außer i63 Talern, Patengeschenken, die zwanzig Jahre Zins getragen, hatte der Pfarrersohn nichts und erwarb sich sein Studium mit Romanen, Artikeln und Stundengeben, an deren Wert er nie geglaubt hat, bis ihn schließlich, zwischen Suff und Schopenhauer, Geographie und Mensuren, eine Wette zur Lösung einer historischen Preisaufgabe führte. Dies war der Augen blick, sich Pelz und Zylinder zu kaufen, denn man war eitel, war längst neidisch auf die Reichen gewesen, und „so bekleidet pflegte ich von Zeit zu Zeit in den Pausen zwischen den Kollegien feierlich auf dem Vorhof der Universität Unter den Linden auf und ab zu stolzieren“. Peters war im Begriffe, jungen Damen in Hannover Literatur vorzutragen und sich möglichst bald für Geographie zu habilitie ren, als ein zweiter Onkel, ganz wie in der Komödie in London plötzlich einsam zu Gelde gekommen, ihn einlud, — und aus dem humanistischen deutschen Hungerleider wurde in vier Wochen ein englischer Gentleman. * Dies zu bleiben ist Peters’ lebenslängliches Bestreben gewesen. Der Eindruck englischer Formen nach den deutschen war für den jungen Doktor um so tiefer, als er sich mit einem Male zum Müßiggänger mit Zeit, Gesellschaft und Scheckbuch avanciert fühlte und bereit war, seine persönlichen Um stände, die in Wahrheit nur die Erbschaft einer Tante und der gute Name eines Onkels verwandelt hatte, in das deutsch-englische Problem zu transponieren. Wachsender Re spekt vor englischem Herrentum ließ sein deutsches Gefühl nicht untergehn, sich nur verschleiern, und zwischen Trotz und Trauer schrieb er über das Deutschtum in England, denn er bemerkte bald, „daß die Engländer in den Hotels meist auf den Stühlen an der Tafel saßen, meine deutschen Landsleute aber in der Regel als Diener dahinter standen“. Zugleich erkannte sein politischer Instinkt in diesem Herrengefühl eine Quelle ihrer Weltherrschaft, und so entstand auf die natürlichste Art im Hirn dieses kri tischen Deutschen der Gedanke: Auch wir! So kam, psychologisch gesehen, Carl Poters zur Kolonialpolitik. Das Schicksal stellte ihn, noch ehe es ihn auf Afrika verwies, direkt vor die deutsch-englische Frage, denn der Onkel wollte den Neffen adoptieren und zum Erben einsetzen, wenn er Engländer würde. 65