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hat in die kleinen Steinzellen, in deren Fensterluken noch die Eisenstäbe stecken, plump gezimmerte Tische, Stühle und Bänke gestellt. In einigen stehen auch alte Klaviere. Da aus räumlicher Unmöglichkeit in diesem Caveaux nicht getanzt werden kann, werden sie fast nur von Fremden besucht, die einmal einen solchen „caveau de terreur“ sehen wollen. Junge Pariser Leute, die singen können, haben einen Beruf gefunden. Sie singen in den Caveaux. Chansons. Aus der großen Geschichte und aus dem modernen Leben. Sobald einer ein Lied gesungen hat, nimmt er seinen Hut in die Hand und geht sammeln. Die Pärchen, die herunter gestiegen waren, einmal den Reiz des Gruseins zu kosten, werfen willig einige Sous in den Hut des Sängers. Nach einer kleinen Pause beginnt wieder der Gesang. Es singt wieder ein anderer. Dem Publikum wird Abwechslung geboten. In manchen der Caveaux stecken die Sänger in Kostümen der Revolutionszeit. Diese singen die Marseillaise. Mit wilder Hand schlägt eine zweite kostümierte Gestalt in die Tastatur des Klaviers. Die modernen Lieder, die gesungen werden, haben jene billige, sentimentale Poesie, in der außer von der Liebe und den Blumen nichts anderes zum Vortrag kommt und die immer wieder gefällt. Die dickenSteinwände sind verkraztund verschnitzt von Namen, die aus allen Nationen der Erde kamen. In einem die ser Caveaux historiques findet sich sogar eine große Tafel mit eingemeißelten Namen von Leuten, die dort verkehrten. Namen von illustrem Glanz: Oskar Wilde, d’Annunzio, Verlaine und Huys- mans schillern einem ins Auge. In diesen Kellern saßen einst Gefangene, für die es keinen Trost und keine Rettung mehr gab, Menschen, für die das Firmament des Lebens untergegangen war, ihre Angstseufzer in der letzten Nacht vor der Guillotine sind diese niedrigen Steinwände emporgeklettert ohne einen Gott zu finden, noch ist kein Jahrtausend vergangen, als daß man sie vergessen haben könnte. Sie sollen ja auch gar nicht vergessen werden. Die Erinnerung an sie ist das gute Geschäft des heutigen Besitzers. Ist es eine Blasphemie, wenn heute in diesen grauenhaft kleinen Steinzellen Menschen sitzen, die singen, lachen, schwätzen, Zigaretten rauchen, Aperitivs trinken und sidi küssen nein, es ist keine Blasphemie, denn diese Caveaux historiques sind ja keine Kirchhöie, sie enthalten keine Toten, die Zellen sind leer, kein Mensch glaubt an Geister. Nur die Erinnerung an die Todesangst von Menschen ist zurückgeblieben. Es ist also doch ein recht bedrückendes Gefühl, hier unten zu sitzen. Ich bin gleich wieder hinaufgestiegen, hinauf, hinauf in die große, schöne, laute, lebendige, bunte Stadt, in der die Gerüche des Frühlings dufteten. i 1 '(frm . |'j 1 1 j > n i ffjJjS \mT3l ' Ji illTTlTTjflT Elie Lascaut Montmartre