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WIRTSCHAFT UND WERBUNG DR. WALTER PUTTKAMMER WERBUNG UND WIRTSCHAFTSDEPRESSION EINE ANALYSE DER WIRTSCHAFTSKONJUNKTUR PER Rhythmus des wirtschaftlichen Lebens, der die Kurve der Konjunkturen ständig zwischen Aufschwung und Abstieg wechseln läßt, hat die deutsche Wirtschaft gegen Ende des Jahres 1929 zu einem Tiefstand geführt, der Besorgnis erregen muß. Bei näherer Betrachtung ergibt sich jedoch, daß diese Depression in den realen Wirtschafts« zahlen bei weitem nicht einen so starken Ausdruck findet, wie das geschäftliche Leben und die Stim« mung der Geschäftswelt es vermuten lassen. Diese Stimmung macht sich offenbar besonders stark auch gegenüber allen Werbemaßnahmen bemerk« bar, die von sehr vielen Reklameverbrauchern bei der gegenwärtigen Situation nicht allein als eine starke finanzielle Belastung, sondern auch als un« rentabel angesehen werden, da bei der ständig sinkenden Kaufkraft der Konsumenten auf einen Erfolg der Werbung doch kaum zu rechnen wäre. Tatsächlich jedoch sehen wir heute eigentlich krisenhafte Erscheinungen nur in ganz bestimm« ter branchenmäßiger und lokaler Begrenzung. Die Auswirkungen der Depression liegen zum groß« ten Teil viel mehr darin, daß die Geschäftsdispo« sitionen immer vorsichtiger werden, daß der Elan der Unternehmerschaft einem gar zu großen Pessi« mismus Platz gemacht hat. So sehr die für manche Unternehmungen offenbar neue Erkenntnis zu begrüßen ist, daß Wirtschaften und Sparen keine Gegensätze sind, so sehr muß andererseits darauf geachtet werden, daß der Pessimismus in den rechten Schranken gehalten wird. Denn nichts ist gefährlicher für die Wirtschaft als mangelnder Glaube an den Erfolg. Die Depression, in der wir heute leben, ist zu einem großen Teil eine psycho« logische Erscheinung. Eine Klarstellung ihrer Ur« sachen, eine Feststellung ihres Ausmaßes und der Versuch, über ihre Wirkungen sich klar zu wer« den, können dann von großer Bedeutung für die künftige Wirtschaftsentwicklung werden, wenn sie dazu beitragen, die Stimmung der Unterneh« mer wieder zu befestigen, ihren Pessimismus in vernünftigen mit Vorsicht gepaarten Optimismus zu wandeln. Die Ursachen der Depression Was hat die Stimmung der Wirtschaft nun so stark beeinflußt, daß auch die letzte optimistische Regung heute verschwunden zu sein scheint? In Zeiten, in denen jeder politische Wandel, jedes politische Ereignis stärker als je zuvor auf die Wirtschaft zurückwirkt, wo die Politik ebenso wirtschaftlich bestimmt wie die Wirtschaft poli« tisch orientiert ist, kann unmöglich an den Ein« flössen vorbeigegangen werden, die das politische Leben auf die Stimmung und auf die Sicherheit der Wirtschaftsführung haben muß. Zunächst sollte man allerdings meinen, auch von dieser Seite lägen keine Gründe zum Pessimismus vor. Das abgelaufene Jahr brachte Deutschland die Räu« mung eines Teils der Rheinlande, stellt die des Restes in nahe Aussicht. Die Reparationsleistun« gen Deutschlands werden durch den Youngplan gegenüber dem Dawesplan merklich herabgesetzt. Der ruhige Verlauf der Haager Konferenz dürfte überdies wesentlich zur internationalen Entspan« nung beitragen. Diesen ungewöhnlichen Fort« schritten der Außenpolitik stehen jedoch Faktoren gegenüber, die jeden Optimismus töten konnten. Die fortgesetzten innerpolitischen Agitationen, die alles in Frage stellen konnten, was außenpolitisch erreicht wurde, wirkten auf die Stimmung ebenso wie die wohlgemeinte Absicht weiter Kreise, die 78