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mit großer Höflichkeit, ihn nicht mehr zu bedrängen. ,0 bester Kauf mann,' sagte die Mücke, ,Sie sind der edelste Mensch, den ich bis jetzt ge sehen habe. Sie haben mich durch Ihr freundliches Wesen sehr erfreut. Ich möchte Ihnen gern einen Dienst erweisen.' Nach diesen Worten machte die Mücke ihren Mund auf. In ihrem Bauch erblickte mein Vater einen herr lichen Palast aus reinstem Gold. An einem seiner Fenster saß ein sehr schönes Mädchen. Vor dem Portal des Palastes stand ein Bauer, der mit Gewalt in den Besitz des Mädchens gelangen wollte. Mein Vater, der für seine Tapfer keit bekannt war, wollte dieses nicht dulden. Mit einem Satz sprang er in den Mund der Mücke, um das Mädchen vor der Gewalttätigkeit des Bauern zu schützen.“ Bauer : „Ganz richtig, Shäh ji!“ Kaufmann : „Einen Augenblick war es ganz finster um ihn herum. Bald aber konnte er den Palast, das Mädchen und den Bauern wieder sehen. Sogleich stürzte er sich auf den Bauern und schlug ihn nieder. Er hätte sicher alle Glieder des Bauern zerschmettert, wenn dieser nicht am ganzen Körper zitternd ihn inständigst um ,Gnade' angefleht hätte. Und wissen Sie, wer dieser Bauer war? Ihr eigener Vater war es. Nach dem Sieg heiratete mein Vater das schöne Mädchen, das in Wirklichkeit eine Prinzessin war, und bezog den goldenen Palast. Ihr Vater trat in den Dienst meines Vaters und wurde Torhüter. Tag und Nacht mußte er vor dem Palast Wache stehen. Ich-kam dort im Schloß zur Welt. Als ich 15 Jahre alt war, regnete es eines Tages kochend heißes Wasser. In diesem heißen Regen zerschmolz der Palast. Rings um uns entstand ein Ozean von siedendem Wasser. Die Flut riß uns fort, und nur mit unsäglicher Mühe gelang es uns vieren, das Ufer zu erreichen.“ Bauer : „Sie haben recht, Shäh ji!“ Kaufmann: „Aber als wir uns dort umsahen, befanden wir uns zu unserer größten Verwunderung in einer Küche. Entgeistert starrte uns die Köchin an. Wir versuchten es ihr klarzumachen, daß wir keine Gespenster, sondern lebende Menschen wären. ,Schöne Menschen das,' sagte sie, ,aus diesem kochenden Kessel herauszuspringen und mir einen solchen Schreck ein zujagen!' Wir baten sie um Verzeihung und sagten: ,Nicht mit Absicht sind wir in den Kessel geraten. Seit 15 Jahren wohnten wir in einem prächtigen Palast in dem Bauch einer Mücke.' Kaum hatte die Köchin dieses vernommen, als sie ausrief: ,Ha, jetzt entsinne ich mich. Vor fünfzehn Minuten stach mich eine Mücke. Hier sehen Sie noch die Stelle. Als mich der Stich sehr schmerzte, drückte ich etwas Blut heraus, und ein Tropfen davon fiel in den Kessel. Ich hatte keine Ahnung, daß Sie mit Ihrem Schloß in diesem Tropfen waren.' ,Liebe Frau,' sagte mein Vater, ,nun können wir uns erklären, wie wir unfreiwillig in den Kessel gekommen sind, und nach dem, was Sie gesagt haben, wären unsere 15 Jahre Ihre 15 Minuten.' Ich hatte also in 15 Minuten eine solche Kraft und Größe erlangt. Heute bin ich 25 geworden, aber in Wirklichkeit bin ich bloß 10 Jahre alt.“ Bauer: „Ganz richtig, Shäh ji!“ 121