WIRTSCHAFT UND WERBUNG DR. GRAF VON KEYSERLINGK DER DEUTSCHE LUFTVERKEHR Das jüngst erschlossene und zugleich eins der zukunftsreichsten Wirtschaftsgebiete ist der Luft* verkehr. Wenn der heutige Luftverkehr auch nur auf zwanzigjährigem Bestände basiert, so hat doch das Tempo seiner Entwicklung im Vergleich zur der Jahrhunderte langen der Schiffahrt und der Jahrzehnte beanspruchenden des Eisenbahn* und Automobilverkehrs bis auf ihre heutige Höhe, einen solchen Umfang angenommen, daß keine noch so günstige Prognose für seine weitere Ent* wicklung innerhalb des nächsten Dezenniums zu optimistisch sein dürfte. Die technische Entwick* lung im Luftfahrzeugbau, die sich unaufhaltsam in der Richtung der Riesenflugzeuge vollzieht und die von Jahr zu Jahr erzielten höheren Nutz* leistungseffekte lassen auch den Zeitpunkt nicht mehr allzu fern erscheinen, zu dem der Luftver* kehr unter Fortfall aller Subventionen bei norma* len Beförderungspreisen voll rentabel wird. Die geglückten Flugversuche von Junkers in Dessau mit Schwerölmotoren dürften bei der eventuell innerhalb der nächsten Jahre zu erwartenden all* gemeinen Verwendung dieser Motoren im Luft* verkehr dieses Ziel sogar schon in nächste Nähe gerückt haben. Das Schweröl als Antriebsstoff erfüllt drei grundlegende Voraussetzungen der Rentabilität im Luftverkehr: eine außerordentliche Betriebssicherheit, die jede Brandgefahr so gut wie ausschließt; eine größere Sparsamkeit gegenüber dem Benzin, was bei gleicher Strecke eine wesent* liehe Erhöhung der Nutzlast bedeutet und den nur einen Bruchteil des der gleichen Benzinmenge betragenden niedrigen Preis. Weiter sind die schon geglückten Versuche mit der für Nacht* und Nebel* flüge besonders wichtigen automatischen Steue* rung, sowie die Lösung der Frage einer automa* tischen Flugzeugstabilisierung und einer möglichst senkrechten Start* undLandungstechnik* und nied* rigen Geschwindigkeit für die günstige Entwick* lung des Luftverkehrs nicht weniger wichtig. Sollten sich die an die technische Entwicklung im Flugzeugbau und an die Verwendung des Schwer* Öls als Antriebsstoff geknüpften Erwartungen nun in nächster Zeit erfüllen, woran nach den allein im letzten Dezennium zu verzeichnenden ungewöhn* liehen Fortschritten nicht mehr gezweifelt werden kann, so ist dem Luftverkehr, besonders aber dem Luftfracht* und Postverkehr, eine heute noch jedes Vorstellungsvermögen übersteigende Entwicklung beschieden. Die nach den bisherigenErfahrungen zu erwartende starkeSteigerung desLuftfrachtverkehrs ist von einer ganz außergewöhnlichen handels* politischen Bedeutung, nicht in dem Sinne, daß große Warenmengen auf dem Luftwege befördert werden würde — Lufttransport von Massengütern ist immer unrentabel — aber in Bezug auf Post und fast alle Luxus* und eine bestimmte Gewichts* kosteneinheit übersteigenden Waren. Eine Aus* dehnung des Luftverkehrs um das vielfache des heutigen Standes muß über kurz oder lang eine völlige Revision, zumindenst der europäischen Zoll* und Paßgesetzgebung zwangsläufig nach sich ziehen. Wenn nämlich in absehbarer Zeit Zehn* tausende Gesellschaften und Privatpersonen ge* hörende Flugzeuge, darunter tausende des gleichen Typs, in Europa fliegen werden, dürften auch die schärfsten Paß* und Zollvorschriften und die größtmöglichste Grenzkontrolle vor allem Nachts völlig wirkungslos sein, da bei der sich immer ver* bessernden und von Flugplätzen immer unabhän* 66