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ENGLAND DIE ENGLISCHE EIS (Nach einem Beric Kein Zweig des öffentlichen Lebens in Eng* land hat einen so starken und fördernden Einfluß auf die englische Werbegraphik und insbesondere auf die englische Plakatkunst gehabt, wie die Re* klame der englischen Verkehrsinstitutionen, an ihrer Spitze die englische Eisenbahn. Um diesen Einfluß zu erklären, muß vorausgeschickt werden, daß das gesamte Eisenbahnnetz in Großbritannien in den Händen einzelner privater Gesellschaften liegt, die — genau wie jedes andere kommerzielle Unternehmen — die Reklame als notwendiges V^rkzeug zur Steigerung ihres Umsatzes benutzen. Eine Neuordnung zahlreicher Eisenbahnunter* nehmungen führte imjahre 1923 zur Zusammenfas* sung in vier Gesellschaften und zwar der »London and North Eastern Railway«, der »London Mid* land and Scottish Railway«, der »Great Western Railway« und der »Southern Railway«. Aus dem Zusammenschluß ergab sich dann auch eine Neu* Ordnung der Reklame*Maßnahmen dieser Gesell* schäften, und es kann heute gesagt werden, daß — nach einigen tastenden Versuchen — die eng* lischen Eisenbahnen schon in den Jahren 1925 und 1926 ihren absolut charakteristischen und zielbe* wußten Werbestil gefunden hatten. Die Motivierung aller Eisenbahn*Reklame läßt sich zusammenfassen in den Worten, die die Lon* don and North Eastern Railway auf die Titelseite eines ihrer Bild*Prospekte gesetzt hat: »Wir »ver* kaufen« jährlich an 390 Millionen Menschen ihren »Transport«, und es ist unser Ziel, unsere Verkaufs* ziffern zu steigern.« Das Publikum, dem alsTrans* portmittel neben der Eisenbahn das Auto, das Mo* torrad, der Wagen usw. zur Verfügung stehen, hat das Recht zu wählen, wie beim Kauf jeder anderen Ware. Zweck der Eisenbahnreklame ist es, das Publikum so zu beeinflussen, daß es sich für die Eisenbahn entscheidet. Und wie jedes andere ge* schäftliche Unternehmen, so bedient sich auch die englische Eisenbahn aller der Werbemittel, die heute zur Durchführung einer einwandfreien Pro* paganda zur Verfügung stehen. Wir nennen zuerst die Zeitungsreklame, das In* serat, als Wegbereiterin aller Werbung im moder* nen Leben: Es bringt eindringliche, fesselnde Texte, ENBAHN* REKLAME t von F. A. Marteau) geschickte, stets wiederkehrende Schlagworte — oft rein sachlich, dann und wann aber auch humo* ristisch gehalten, stets aber wird es unterstützt von einer künstlerisch reizvollen Illustration, die dafür sorgt, daß der Leser die »Botschaft« aufnimmt. In weitem Maße bedienen sich die vier Gesell* schäften auch der direkten Reklame: die mannig* faltigsten Drucksachen, Faltkarten, Prospekte, Werbeschriften werden kostenlos verschickt. Jedes dieser kleinen Hefte ist textlich und bildlich sorg* fältig durchgearbeitet, jedes zeigt eine neue Ge* gend, jedes weckt beim Empfänger eine Vorstel* lung, ein Verlangen, stellt ein Ziel vors Auge. Eine Gesellschaft, die »Great Western Company«, ver* schickt ihre Prospekte nur auf direkte Anfrage und gegen eine, wenn auch geringe Bezahlung, nachdem sie in der Presse die notwendige Vorpropaganda betrieben hat. Es sind dies ganze Bücher voll lite* rarisch und künstlerisch wertvollem Inhalt, und es ist interessant festzustellen, daß im letzten Jahre hunderttausende solcher Bücher zum Verkauf ge* kommen sind. Auch das Lichtbild und der Werbefilm spielen eine wichtige Rolle in der Eisenbahn*Propaganda Englands. Schulen, Klubs und Verbänden werden fertig zusammengestellte Lichtbildvorträge und Werbefilms kostenlos zur Verfügung gestellt. Frei* lieh ist die Nachfrage nach Films nicht besonders groß, denn in den meisten Fällen ist die dazu ge* hörige Apparatur zu teuer. Stets aber laufen eine Reihe dieser Films in den Kinos und sehr oft auch auf einigen Passagierdampfern der Amerika*Linien. Und nun zum stärksten Werbemittel der eng* lischen Eisenbahnen, zum Plakat: Nimmt das Plakat schon in der Werbung für jeden anderen Gegenstand einen hervorragenden Platz ein, wie selbstverständlich ist es dann, daß es in der Propaganda für ein Verkehrsmittel an erster Stelle zu stehen hat, denn im Plakat liegt die Möglichkeit, dem Käufer das vor Augen zu führen — und es so verführerisch wie nur irgend möglich vor Augen zu führen — was ihn als Resultat seines Kaufes (des Eisenbahnbillets) erwartet: Ein fro* hes, sonniges, ruhevolles Leben in einer Atmo* Sphäre von Licht und Wärme. Dies alles auszu* 3