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52 „Verlobt?“ „Nein.“ „Verliebt?“ „Nein“, platzte sie mit einem hellen Lachen heraus, „auch das brauchen Sie für Ihre Zeitung?“ „Durchaus“, antwortete er sachlich. „Stammen Sie aus einer Artistenfamilie?“ „Nein, mein Vater ist Industrieller.“ „Ausgezeichnet! Und wie lange sind Sie auf der Bühne?“ „Drei Jahre.“ „Ermüdet Sie Ihre schauspielerische Tätigkeit?“ „Ja, es ist kein leichter Beruf.“ Sie seufzte verstohlen. „Wie gefällt Ihnen New York?“ „Oh, sehr, ich bin ganz begeistert!“ „Hm ... und die Amerikaner an und für sich?“ „Oh, für Ihr Volk habe ich schon seit langem Sympathie.“ „So“, sagte er zufrieden und stand in ganzer Größe auf, wobei er das Büchlein wieder in seine Seitentasche steckte. „Jetzt gestatten Sie, Miss Brandt, daß ich Auf richtigkeit mit Aufrichtigkeit vergelte ...“ Sie schaute ihn mit großen, verwunderten Augen an. „Ich bin gar kein Reporter, sondern der bekannte Fabrikant Tom Singler. Ich habe Sie gestern im Theater gesehen und war begeistert, obschon dieses Gefühl mir bisher vollständig fremd war. Soeben habe ich erfahren, daß Sie 25 Jahre zählen, daß Sie in Deutschland geboren sind, was darauf hinweist, daß Sie eine gute Haus frau sein werden. Außerdem stammen Sie aus dem Rheinland, was bestimmt ein frohes Gemüt verrät. Sie sind nicht verheiratet, nicht verlobt, und nicht verliebt. Sie stammen nicht aus einer Boheme-Familie, deswegen glaube ich an Ihre Beständig keit. Sie sind im ganzen drei Jahre auf der Bühne, so daß Sie in der kurzen Zeit noch nicht derart mit ihr verwachsen sein werden, um ihr nicht entsagen zu können. Zudem sind Sie Ihrer Tätigkeit schon müde, und zum Schluß, Ihnen gefällt New York und Ihnen gefallen die Amerikaner ... ich möchte Sie zur Frau haben ...“ „Aber...“ „Bitte kein Aber ..., wer je irgend etwas mit mir anknüpfte, hat das noch nie bereut. Ich werde Sie durchaus glücklich machen, verlassen Sie sich darauf. Ich bin reich, jung und ...“ (sie stellte zum ersten Male in diesem Augenblick eine kaum spürbare Verwirrung auf seinem Gesicht fest) „ ... und bis über die Ohren verliebt!“ Sie preßte ihre gefalteten Hände an das pochende Herz und senkte die Augen lider. Sie mußte erst einmal zu sich kommen, mußte begreifen, was da geschah. Alles kam so unerwartet, so plötzlich und, wie sie mit ihrem Fraueninstinkt spürte, so erwünscht. • Eine Weile schaute er entzückt auf ihre Verwirrung, dann nahm er plötzlich ihren schönen Kopf in seine großen, warmen Hände und küßte sie zart auf die Stirn. Danach wandte er sich schnell dem Ausgang zu, öffnete die Tür weit, dabei mit seinen breiten Schultern das Innere des Zimmers, in welchem sich Irene befand, voll kommen verdeckend. „Meine Herren“, sagte er zu der Schar der Reporter, die sich noch vergrößert hatte, „Mrs. Brandt hat soeben ihr letztes Interview gegeben.“ Und ganz so, als ob er die Enttäuschung der Herren etwas mildern wollte, fügte er hinzu: „Das einzige, was Sie Ihren Zeitungen mitteilen können, ist das, daß sich Miss Irene Brandt bald verheiraten und von der Bühne zurücktreten wird.“