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DIE EXPEDITION Von GASTON in ustriert von R e n e Wi e s n e r Wie kalt es ist, Freunde! . .. Nun — gut, daß ich gerade eine Geschichte von der Sonne im Sack habe. Wenn es draußen so heiß ist, daß man ein Ei kochen könnte, dann ist die Stunde da, um an das Eisläufen auf den gefrorenen Flüssen zu denken; aber wenn die Flüsse wirklich gefroren sind, wenn der Rauhreif Palmblätter mit silbernen Spitzen an den Fenstern sprießen läßt und — Verzeihung! — einen Tropfen an der Nase jenes alten Weibleins dort, das die letzten Platanen blätter vom Rasen aufklaubt, dann ist es Zeit, ein großes Tlolzfeuer anzuzünden und nach Tisch, in der unvergleichlichen Ver dauungsstunde, von der Sonne zu reden. Und schon rinnt euch die gute Sommerhitze durch die Adern. Ihr röstet eure Beine an den Scheitern und schmiegt euch in eure Fauteuils wie ein Heiliger in seihe Nische; der Wind schreit heiser sein Drohungslied unter den Türen; im Haus hört man die Feuerhaken klirren; die Katze rollt sich zu sammen, der Hund spielt den Toten und ihr, ihr fühlt euch um sechs Monate zurück versetzt: ihr denkt an jenen Sommertag, wo ihr von der Hitze erschlagen . . . Ja, nur zu! Das ist die Stunde, um von Herrn Descourtil zu sprechen, der mit sei nen Gamaschen halb wie ein Landstreicher, halb wie ein Wunderdoktor angezogen, die grüne Büchse an der Seite, das Netz aus Gaze in der Faust, mitten in den Ilunds- tagen loszog, um Schmetterlinge zu jagen. Er lief geradeaus in die Heide hinein, er kletterte auf Felsen, er hüpfte über das Gestein der ausgetrockneten Bäche wie ein Zickel, er kroch, er sprang — trotzdem er nicht gerade gelenkig war — wie ein höl zerner Hampelmann, aber so zufrieden, so stolz, mit jener Flamme in den Augen, die nur denen eigen ist, die über Gefahren triumphieren. In Gesellschaft war er da gegen wie ein alter Diplomat, vertrocknet, lächelnd, höflich, schweigsam, ein wenig zitternde Beine, den Oberkörper vorgeneigt, immer bereit, sich zu einer Begrüßung oder zu einem Kompliment zu verbeugen. Manch mal war sein Gesicht von großen Kratzern zerrissen, oder er trug auch hin und wieder den Arm in der Binde: Wunden aus dem Feldzug gegen die Schmetterlinge! Und wißt ihr auch, warum dieser kleine Alte, der die Frauen so höflich grüßte, wißt ihr auch, warum Herr Descourtil, so bald der Frühling erst einmal heimisch ge worden war, das Land zu durchschweifen und den Schmetterlingen nachzujagen be gann? Weil er als Weiser, der er war, sich für den Winter eine Reserve von An denken an den Sommer anlegte. An den harten Tagen, wo der scharfe Wind durch die Straßen fegte, da wanderte Herr Des courtil durch seine großen mit Glaskästen tapezierten Zimmer, in denen die Beute sei ner Jagden ausgebreitet war. Manchmal blieb er eine Weile vor einem der Glas kästen stehen: das war dann eine diamant funkelnde Stunde, die er wiedererlebte. Die Wiese in Blüten, der glühende Hügel oder der Busch, wo er sein Opfer gefangen hatte, erstanden vor seinen Augen. Und Herr Descourtil richtete sich auf, straffte seine Beine, und seine Nasenflügel bebten. 657