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DICHTER-ANEKDOTEN Maurice Rostand, Edmonds Sohn, muß — zu einem Diner geladen - eine Dame zu Tisch führen, die ihm ihrer Bosheit wegen nicht sehr sympathisch ist. Während der Mahlzeit neigt sie sich zu ihm hin und zieht an seinem Lockenkopf. Als sie sieht, daß das Haar widersteht, ruft sie ganz erstaunt aus: „Fabelhaft, ich dachte, die Locken wären falsch!“ Der Dichter schweigt, nach einer Weile aber zieht er am Haar der Dame und als ihm eine Locke in der Hand bleibt, sagt er ganz ruhig: „Da schau her, ich dachte, sie wären echt!“ * Ein Einfaltspinsel hatte Tasso auf infame Weise beleidigt. Der wollte sich wohl rächen, war aber viel zu nobel, ihm einen Schimpf an zutun. „Ich will ihm“, meinte er, „weder sein Geld noch sein Leben noch seine Ehre nehmen. Aber seinen bösen Willen — den möchte ich ihm nehmen.“ * Saint Lambert hörte zu, wie aus einem Buche vorgelesen wurde, das zweifellos einige brauchbare Sentenzen enthielt. „Ich würde sie verstanden haben,“ bemerkte er, „wenn der Autor sich nicht gemüßigt gefühlt hätte, sie zu erklären.“ * Voltaire war bekanntlich kein Adonis, aber seine Nichte, die verwitwete Madame Denis, die lange Jahre hindurch des Dichters Haus dame war, scheint ihn an Häßlichkeit noch übertroffen zu haben. Als sie nach Voltaires Tod als reiche Gutserbin sich nochmals ver heiratet hatte und eines Morgens einen zins zahlenden Bauern, wie das gegen damalige Sitte nicht verstieß, in ihrem Schlafzimmer empfing, wußte der brave Landmann beim Anblick der beiden, mit gleichartigen Schlaf hauben geschmückten Gattenköpfe nicht, an wen er sich zu wenden hatte. ,,M e s - s i e u r s ," fragte er also, „wer von Urnen beiden ist denn die Madame?“ Crebillon der ältere, von dem Verleumder behaupteten, seine Tragödien rührten von einem gelehrten Karthäuser her, wurde einst von Duclos gefragt, welches sein bestes Werk wäre. „Das weiß ich nicht,“ erwiderte Cre billon, „aber das wenigst gelungene ist dieses“, und er zeigte auf seinen Sohn. „Na. na,“ fiel der jüngere Cröbillon ein, „weiß man denn, ob Ihre Werke auch von Ihnen sind?“ * Palaprat gehörte zwar nicht zu den größten französischen Lustspieldichtern, er bewies aber noch in seiner Sterbestunde, daß er Witz hatte. Dem Geistlichen, der ihn an sei nem Krankenbett im Hotel Dieu aufsuchte und fragte: „Wie stehen Sie mit Gott?“ aut wortete er: „Gut! Sie sehen mich ja in seinem Hotel.“ * Als Victor Hugo an den ersten spiritisti schen Sitzungen zu Jersey im Hause der Frau de Jardin teilnahm, bedünkte ihm das Ganze weidlich lustig. Immerhin ließ er sich be kehren, die Sache etwas ernster zu nehmen, und willig hörte er sich die Stimmen der zitierten Geister Chateaubriands und Racines an, auch Dante, Ariost, Byron und Shake speare. Nur wenn sie ihre Verse rezitierten, blieb er nicht still. Dann erlaubte er sich jeweils, die Geister zu verbessern. * Ein Freund Viktor Hugos zeigte sich un gläubig in punkto Unsterblichkeit und ver focht seine Meinung mit einer Anmaßung, die Hugo peinlich berührte. „Vielleicht haben Sie recht“, sagte Hugo. „Es gibt Sterbliche und Unsterbliche. Eines Tages zum Beispiel notierte Dante zwei Verse auf eindn Bogen Papier. Er ließ den Bogen liegen und machte einen Spaziergang. - ,Wie glücklich bin ich,' sagte der erste -Vers, ,daß ich ein Vers von Dante bin.: ich bin unsterblich!' — ,Glaubst du wirklich?' entgegnete der zweite, .ich glaube nicht an die Unsterblichkeit.' — Als Dante zuriick- kehrte, überlas er die beiden Verse nochmals, und da er ihm mißfiel, strich er den zweiten.“ 691